Städteranking 2018 Was macht Städte wirtschaftlich stark?

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Kulturelle Offenheit wird oft unterschätzt

Welche Rolle spielt kulturelle Offenheit für die Standortqualität?
Eine unterschätzte! Mittelfristig werden wir unseren Fachkräftebedarf nicht ohne Zuwanderung decken können. Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Ausschreitungen wie unlängst in Chemnitz sind daher für die Anwerbung von Fachkräften und ausländischen Investoren fatal – erst recht für Städte abseits der großen Zentren. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, dass ausländische Wissenschaftler das gesellschaftliche Klima in einigen Regionen Ostdeutschlands mittlerweile als unangenehm empfinden. Auch Zuwanderer zieht es übrigens nicht unbedingt in die Provinz. Sie gehen lieber in die Großstädte, wo es oft landsmannschaftliche Netzwerke und eine kulturelle Szene aus dem Heimatland gibt.  

Eine der größten wirtschaftlichen Problemregionen Deutschlands ist das Ruhrgebiet. Warum geht es im Revier nur so langsam voran?
Es gibt zwei zentrale Probleme: Das eine ist unverschuldet, das andere selbstverschuldet. Schädlich ist vor allem das verbreitete Kirchturmdenken einzelner Ruhrgebietsstädte. Die wirtschaftlichen Synergien werden in dieser Region noch nicht ausreichend ausgeschöpft, da läuft vieles ineffizient, etwa in der Wirtschaftsförderung. Auf der anderen Seite hat das Ruhrgebiet einen weit schärferen Strukturwandel erleben und managen müssen als andere Regionen in der Welt. An der Spezialisierung auf Kohle und Stahl hat das Ruhrgebiet lange gut verdient. Duisburg etwa war in den Sechzigerjahren eine der Städte mit dem höchsten Pro-Kopf- Einkommen in Deutschland. Die Globalisierung, der Aufstieg Chinas und der Fall des Eisernen Vorhangs haben dieses Geschäftsmodell aber zerstört. Wobei auch nicht alles schlecht läuft. In den USA mit dem „rust belt“ oder in Nordengland sind alte Industriereviere komplett unter die Räder gekommen. Das ist an Rhein und Ruhr nicht geschehen. Es ist Politik, Wirtschaft und Hochschulen gelungen, einen nachhaltigen Strukturwandel zumindest in Gang zu setzen.

Und was ist mit dem Osten? Wie weit geht auf kommunaler Ebene die Schere zwischen west- und ostdeutschen Kommunen noch auseinander? 
Leipzig und Dresden können mithalten, aber die durchschnittliche ostdeutsche Stadt hat immer noch eine deutlich schwächere Wirtschaftskraft als die durchschnittliche westdeutsche Kommune.

Den großen Städtetest der WirtschaftsWoche gewinnt seit Jahren immer die gleiche Stadt: München. Ist die bayerische Metropole in puncto Wirtschaftskraft uneinholbar?
Nein. Man kann auch an seinem eigenen Erfolg ersticken. Der „Economist“ hat unlängst das Silicon Valley als „Peak Valley bezeichnet, also als Region, die ihren Zenit überschritten hat. Wenn alles immer teurer, immer knapper und immer enger wird, schauen sich Unternehmen und Einwohner irgendwann nach anderen Standorten um. Im Fall des Silicon Valley sind das dann zum Beispiel Seattle oder Florida. Eine solche Abstimmung mit den Füßen ist langfristig auch in München denkbar.

Wie kommt es, dass in Deutschland ausgerechnet in der Provinz so viele Weltmarktführer sitzen?
Das Phänomen der Hidden Champions ist eine absolute deutsche Besonderheit. Diese Struktur ist historisch gewachsen, auch durch die deutsche Teilung und die Insellage Berlins. Viele Familienunternehmen haben nach dem Krieg Berlin verlassen und sind in der Provinz gelandet. Das hat auch deshalb gut funktioniert, weil Deutschland viel dezentraler organisiert ist als andere Staaten. Hinzu kommt die Unternehmensstruktur: Die meisten Hidden Champions kommen aus dem verarbeitenden Gewerbe, da verlagert man einmal etablierte Produktionsstäten eher selten. Gleichzeitig droht allerdings ein „Lock-in-Effekt“, wie Ökonomen es nennen: man kommt irgendwann nicht mehr weg. Durch den Sog der Metropolen werden sich die Hidden Champions aus der Provinz künftig ganz schön strecken müssen, um Hidden Champions zu bleiben.

Deutschlands zukunftsfähigste Städte
Heidelberg Quelle: AP
Regensburg Quelle: imago images
Karlsruhe Quelle: imago images
Jena Quelle: imago images
Ingolstadt Quelle: imago images
Wolfsburg Quelle: dpa
München Quelle: dpa

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