Für Jens Südekum ist die Sache klar. „Für die Frage, ob eine Stadt arm oder reich ist, dürfte in wenigen Jahren die geografische Lage eine geringere Rolle spielen als die digitale Infrastruktur“, sagt der Regionalökonom von der Universität Düsseldorf. Im Zeitalter der Digitalisierung müsse „ein Start-up der IT-Branche nicht in Berlin sitzen, sondern kann sich auch in einem Dorf in Brandenburg niederlassen“.
Doch es sind nicht nur Glasfaserversorgung und schnelles Internet allein, die künftig zu einem zentralen Faktor für die Wirtschaftskraft einer Stadt oder Region werden. Es sind auch die Unternehmen selbst, beziehungsweise: ihr Geschäftsmodell in Zeiten von Industrie 4.0.
„Nur mit technologisch versierten, hochproduktiven und innovativen Unternehmen lässt sich die Zukunft von Regionen gestalten“, sagt der Ökonom Hanno Kempermann vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das Problem ist nur: Wie stark sich Betriebe auf den Megatrend der Digitalisierung einlassen und in ihre Produktion, Produkte und Planungen einfließen lassen, werde „regional nahezu gar nicht analysiert“.
In einem Gemeinschaftsprojekt haben die WirtschaftsWoche, die IW-Tochter IW Consult sowie der Immobiliendienstleister ImmobilienScout24 daher jetzt den Versuch unternommen, die „Industrie-4.0-Readiness“ der Unternehmen in deutschen Großstädten zumindest annäherungsweise zu bestimmen. Zu diesem Zweck analysierte der Datendienstleister beDirect in 71 kreisfreien Städten mit über 100.000 Einwohnern die Homepages von insgesamt 600.000 Unternehmen. Die Betriebe mit Website bilden rund 50 Prozent der Grundgesamtheit in den Städten ab. Da Industrie 4.0-affine Unternehmen grundsätzlich technologisch aufgeschlossen sind und dementsprechend eine Website haben dürften, ist in dieser Stichprobe mithin das Gros der relevanten Unternehmen enthalten.
Und so lief das Projekt ab: Die 600.000 Websites wurden per „Webcrawler“ nach Begriffen mit Bezug zu Industrie 4.0 durchsucht. Dazu zählten etwa Oberbegriffe wie Big Data, Augmented Reality, Cloud Computing, Smart Factory, Predictive Analytics oder Smart Services. Insgesamt flossen 25 solche Oberbegriffe sowie über 100 Synonyme in die Analyse ein (beim Oberbegriff 3D-Druck zum Beispiel „Laser-Sinter-Verfahren“). Sobald mindestens zwei dieser Begriffe auf einer Website auftauchten, bekam das Unternehmen das Siegel „Industrie 4.0-ready“.
Die Ergebnisse zeigen eine breite Streuung in Deutschland. An der Spitze der Tabelle steht die Unternehmerwelt von Frankfurt, gefolgt von Wolfsburg, Stuttgart, Darmstadt, Karlsruhe und München. Am Ende stehen Mülheim/Ruhr, Solingen, Fürth, Gelsenkirchen und Bottrop. Interessant ist auch der Vorjahresvergleich. Da war Bottrop zwar auch schon Letzter, an der Spitze stand da aber noch die VW-Stadt Wolfsburg. Und was insgesamt Hoffnung macht: In fast allen 71 getesteten Städten hat sich der Anteil der Industrie-4.0-affinen Betriebe in diesem Jahr erhöht.
Wo Digitalisierung für Betriebe kein Fremdwort ist | ||
Anteil der auf Industrie 4.0 fokussierten Firmen an allen relevanten Unternehmen (2018) | ||
Rang | Stadt | Wert |
1 | Frankfurt am Main | 8,4 |
2 | Wolfsburg | 8,3 |
3 | Stuttgart | 8,3 |
4 | Darmstadt | 8,2 |
5 | Karlsruhe | 8,1 |
6 | München | 7,7 |
7 | Ulm | 7,6 |
8 | Jena | 7,1 |
9 | Erlangen | 6,7 |
10 | Düsseldorf | 6,7 |
11 | Mannheim | 6,6 |
12 | Ingolstadt | 6,6 |
13 | Nürnberg | 6,5 |
14 | Bonn | 6,5 |
15 | Ludwigshafen am Rhein | 6,3 |
Quelle: IW Consult, beDirect, Sreening der Homepage von rund 600.000 Unternehmen |
Die detaillierten Ergebnisse finden Sie im großen Städtetest von WirtschaftsWoche, ImmobilienScout24 und IW Consult.