Ja, schon klar, steht alles im Konjunktiv. Aber, mit Verlaub: Die Vorstellung, die Armin Laschet seit zwei Wochen abliefert und die am Donnerstag in einer der skurrilsten Pressekonferenzen mündete, die der Berliner Politikbetrieb je erleben durfte, lässt sich nun wirklich nicht mehr als Groteske beschreiben, sondern nurmehr als politischer Surrealismus. Ein Parteitag irgendwann, ein moderierter Prozess irgendwie, vielleicht doch noch ein Jamaika-Bündnis unter irgendwem - die CDU überschreitet in diesen Wochen die Grenze, diesseits derer sie noch Achtung vor sich selbst entwickeln könnte.
Es ist im Übrigen auch nicht zu erkennen, dass Laschet gegenüber Söder das kleinere Ego besäße - und schon gar nicht, dass der bayerische Schmutzler einen genauso großen Anteil an der Niederlage der Union gehabt hätte. Wer bitteschön zieht denn „sein Ding“ auf fremde Kosten rücksichtsloser durch seit einem halben Jahr? Wer sabotiert seit sechs Monaten die Machtoption der Union? Wer vor allem hat 50 CDU-Abgeordneten die Karrierepläne durchkreuzt und die Union von den Fleischtöpfen der Macht vertrieben?
Wer in einer solchen Lage „mangelnde Loyalität“ und „fehlende Geschlossenheit“ beklagt, versteht nicht die Grundlagen der Parteipolitik - oder will sie aus Interesse nicht verstehen. Versteht nicht, dass natürlich jetzt kritisiert und gestritten werden muss - wann denn sonst? Versteht nicht, dass natürlich jetzt die Boxhandschuhe überziehen muss, wer von sich annimmt, er könnte besser als andere die CDU oder auch die Union insgesamt in die richtige Richtung führen - denn jetzt wird die Macht verteilt. Versteht nicht, dass er ausgerechnet jetzt mit dem Beschwören der UNION nur einmal mehr die skandalöse Hybris der Armin-Laschet-CDU bekräftigt, die glaubte, dass das Land politisch ihr allein gehört.
Diese CDU meinte, ein Abonnement aufs Kanzleramt zu haben und daher abermals „im Schlafwagen“ dort einziehen zu können, vorbei an der eigenen Fraktion, den eigenen Parteimitgliedern und auch am Wahlvolk, mit einem im Hinterzimmer ausgeklüngelten Kandidaten, um der kleinen Schwester in München zu zeigen, wo der Hammer hängt - und kraft eines sonnenköniglichen Selbstverständnisses: „L'état c'est CDU“: Was für ein grandiose Anmaßung. Es ist, man muss es so deutlich sagen, ein Segen, dass die meisten Deutschen dieser CDU die Rote Karte gezeigt haben.
Kann Laschet in diesem Drama noch Regie führen? Kann ausgerechnet er, der Slow-Motion-Meister aller Karriereenden, jetzt die Diadochenkämpfe mäßigen, die vor allem Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier und er selbst mit ihrer Entscheidung für ihn als Kanzlerkandidat der Union ausgelöst haben? Kann er den Richtungsstreit temperieren, von dem er selbst sagt, er müsse jetzt zügig und „geschlossen“ entschieden werden? Schwer vorstellbar.
Nach Kramp-Karrenbauer scheitert in Laschet bereits der zweite Parteichef mit dem Anspruch einer Repositionierung der CDU in der ortlosen Merkel-Mitte - das stärkt die vermeintlichen Akzentsetzer, die neokonservativen (Selbst-)Profilierer und Traditionsidentitären mit ihren blassen Ausrufezeichen-Formeln aus den Neunzigerjahren. Sie wähnen sich jetzt endlich an der Reihe und werden nicht ruhen - zumal dann nicht, wenn es für die Union wirklich in die Opposition geht und sie glauben, mit leitkultur-konservatorischen Mitteln hochmotivierten Ampelpolitikern in die Parade fahren zu müssen, um zu retten, was sie für substanziell und unverrückbar halten.
Die Zeit drängt. Nicht nur machtpolitisch mit Blick auf die nächsten Landtagswahlen im Frühjahr (Schleswig-Holstein, Saarland, NRW). Sondern eben auch sachpolitisch mit Blick auf das Riesenrad, das die drei ambitionierten Ampelpartner gerade zu drehen versuchen: Regieren die rot-gelb-grünen Ikarusse das Land vier Jahre erfolgreich, wird eine programmatisch entkernte Union es sehr schwer haben, je wieder Tritt zu fassen - und eine programmatisch rückwärts gesinnte Union sowieso.
Mit wem? Falsche Frage. Entscheidend ist: Mit was? Die Union ist ein weißes Blatt Papier, umstellt von einer Herrenriege mit gezückten Stiften, die das Papier jetzt zutiefst entschlossen mit ihren Hohlformeln beschriften wollen. „Wir brauchen einen deutschen Sebastian Kurz!“, so JU-Chef Tilman Kuban vor kaum einer Woche. Ausgerechnet. Es ist, als bezeugte man einen historischen Totentanz.
Mehr zum Thema: Sie diskutieren bei Pasta und Painkillern, streiten und tasten sich heran an die Macht: Der Politnachwuchs von Grünen und FDP trifft sich schon seit Jahren und lotet Gemeinsamkeiten aus. Der neue Jugendstil und wie er die Politik verändert