Tauchsieder

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

Seite 2/4

Er ist der letzte Kapitalist in Frankfurt


Herrhausens frappierende Aktualität drückt sich zunächst einmal darin aus, dass er die Ambivalenz der Moderne als ihr entscheidendes Merkmal respektiert und scheinbar Gegensätzliches mühelos zusammen denkt: Macht und Verantwortung, Freiheit und Bindung, Staat und Wirtschaft, Führung und Moderation. Herrhausen weiß, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist - es sei denn auf Kosten des Gesamtüberblicks, zum Preis der Wirklichkeitsverzerrung. Herrhausen verabscheut Einseitigkeiten, die "geistige Verengung" seiner Zunft und ihrer Vertreter, den "Ressortegoismus", die Fokussierung auf den "Wachstumszwang", die "Konzentration auf das Nur-Ökonomische".

Die größten Risiken und Probleme der Deutschen Bank
Libor-Skandal Über Jahre versuchten internationale Großbanken den Referenzzins zu manipulieren, um höhere Gewinne zu erzielen. Daran waren auch Beschäftigte des Dax-Konzerns beteiligt. Mehrere Investmentbanker der Deutschen Bank mussten gehen. Das Institut schließt nach internen Untersuchungen aber aus, dass das höhere Management an Manipulationen beteiligt war. In die Kritik geraten war auch Jain, der seit Jahren das Investmentbanking verantwortet. Die drei Konkurrenten Barclays, Royal Bank of Scotland und UBS mussten bereits hohe Strafen zahlen. Das droht auch der Deutschen Bank. Quelle: dpa
Kirch-ProzessIm Dauerclinch um die Pleite des Medienimperiums des inzwischen gestorbenen Leo Kirch wurde die Bank vom Münchner Oberlandesgericht grundsätzlich zu Schadensersatz verurteilt. Die Höhe steht noch nicht fest. Die Bank wehrt sich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen den Schuldspruch, bildete in diesem Fall aber auch erstmals Rückstellungen. Die Kirch-Seite macht die Bank für die Pleite der Medienunternehmens 2002 verantwortlich und fordert gut zwei Milliarden Euro Schadenersatz. Einen Vergleich lehnte die Deutsche Bank bislang ab. Im April sah sich das Institut zu einer außerordentlichen Hauptversammlung gezwungen, weil Kläger aus dem Kirch-Lager erfolgreich Beschlüsse des letzten regulären Aktionärstreffens im Mai 2012 angefochten hatten. Quelle: dapd
USADas Land ist einer wichtigsten Märkte für die Deutsche Bank. Die Politik dort will nun die Kapitalregeln für Auslandsbanken verschärfen. Das würde die Deutsche Bank besonders zu spüren bekommen. Zudem kämpft das Institut wegen Geschäften aus den Zeiten vor der Finanzkrise 2007/08 mit zahlreichen Klagen. Oft geht es um Hypothekengeschäfte. Quelle: AP
AbbausparteDer Bereich wird auch als „Bad Bank“ der Deutschen Bank bezeichnet. In der Sparte hat sie alle Geschäfte und Anlagen geparkt, von denen sie sich trennen möchte. Dazu gehören auch einige verlustreiche Ladenhüter wie das einst von der Bank finanzierte Kasino Cosmopolitan in Las Vegas und der US-Hafenbetreiber Maher, die schon seit Jahren auf einen Verkauf warten. Der eigentlich schon vereinbarte Verkauf der Frankfurter BHF-Bank an die Finanzgruppe RHJ stockt seit Monaten, weil die Finanzaufsicht kein grünes Licht gab. Quelle: Presse
VermögensverwaltungGern hätte das Institut im vergangenen Jahr einen Großteil dieses Geschäfts verkauft. Die Verhandlungen verliefen aber im Sande, da die Gebote zu niedrig waren. Nun will die Bank die Sparte selbst weiterentwickeln. Doch die Konkurrenz wird größer. Immer mehr Institute buhlen um reiche Kunden in aller Welt, da dieses Geschäft als vergleichsweise stabil gilt. Die Deutsche Bank findet sich international in der Vermögensverwaltung bislang nur auf einem der hinteren Plätze. Quelle: REUTERS

Als Sprecher der Deutschen Bank, der er seit 1985 ist, hat er eben nicht nur die schwarzkünstlerischen Selbstvermehrungskräfte des Geldes an den Kapitalmärkten, die Verwöhnung seines Instituts mit ausreichend Eigenkapital und Rendite im Sinn, sondern auch und vor allem das "Rollenverständnis" der Banken. Die gewinnträchtige Bewirtschaftung von Kapital empfindet er als selbstverständliche Managerpflicht; die ständige Standortbestimmung der Wirtschaft in der Gesellschaft als seinen staatsbürgerlichen Auftrag.

Alfred Herrhausen lässt keinen Zweifel daran, dass die Deutsche Bank sich "nicht allein darauf beschränken" kann, "gute Geschäfte zu machen"; dass sie im Gegenteil "auf Akzeptanz angewiesen" ist, je größer ihre Gebäude, je abstrakter ihre Produkte, je globaler ihre Geschäfte werden. Sein unternehmerisches Handeln stellt er daher unter "dauernden Begründungszwang". Stets ist er um eine "bestimmte Autorität", um "gesellschaftliche Verantwortung" und um die "Auslegung unserer Funktion" bemüht, also darum, "sich und anderen die Bezogenheit unserer... Einzelaufgabe zum Ganzen" bewusst zu machen. Man könnte auch sagen, dass Alfred Herrhausen der letzte Kapitalist in Frankfurt ist, der ein echtes, ehrliches Interesse an der Einbettung von Quartalszahlen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext offenbart: Handlungsreisender und Verantwortungsethiker in einer Person, zugleich homo oeconomicus und zoon politicon, gleichzeitig Globalmanager und demokratievernarrter Patriot. Man kann sich Alfred Herrhausen in den Achtzigerjahren jederzeit als Staatssekretär vorstellen, als Minister, als Chef der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, als Honorarprofessor für Sozialökonomie - oder als Bundespräsidenten. Die meisten Staatschefs würden die meisten seiner Reden gerne halten.

Mit beinahe kindlicher Zuversicht glaubt Herrhausen an eine Identität von Fortschritt und Vernunft, an die Aufwärtsentwicklung einer aufgeklärten Menschheit. Mit der Kant’schen Aufforderung, das Wissen zu wagen, verbindet er die Hoffnung auf eine glückliche Überwindung von Vorurteilen und Ideologien, auf die Rationalität einer Handlungsmoral kraft Verstand, Evidenz und Erfahrung. "Richtiges, fehlerfreies Denken" nennt Herrhausen das. In seinem ständigen Bemühen um eine "Abbildung von Wirklichkeit, so wie sie ist", beruft er sich auf den Philosophen Karl Popper und die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." 

 

Natürlich könnte Herrhausen sich dabei auch Jürgen Habermas verpflichtet fühlen; beiden gilt der "Sachverhalt" als kommunikatives Projekt; beide suchen "Wahrheit" im Konsens vernünftiger Sprecher; beide wollen einem freien Diskurs normative Realitäten abgewinnen, mit denen der gesellschaftliche Fortschritt zugleich bezeugt und formiert wird. Nur auf diese Weise, im faktenbasierten Wägen und Wiegen der Tatsachen und Sichtweisen, so Herrhausen, und im Vertrauen auf eine Moral, die bereit ist, sich klug zu machen, können sich die "Dissonanzen des Fortschritts", das "Problem des Umweltschutzes, der Entwicklungsländer, der Frage der Vermögensverteilung" als produktive, "schöpferische Unruhe" erweisen, als "Quelle für neue Kraft zur positiven Veränderung, zur besseren Gestaltung... - wenn wir es wollen".

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%