Ukraine-Konflikt Selenskyjs Affront gegen Steinmeier hat einen Grund

Dass Selenskyj glaubt, nach der Ausladung Steinmeiers den Bundeskanzler als Ersatzspieler einladen zu können, zeigt seine durch Krieg und verständliche Angst getrübte Wahrnehmung. Quelle: Imago

Mit der Ausladung des Bundespräsidenten schadet Staatschef Selenskyj nur den Ukrainern. Der Unmut trifft Steinmeier aber nicht zufällig. Anlass für die SPD, ihre historischen Verklärungen zu überprüfen. Ein Kommentar.

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Man kann und muss nicht jede Aktion der ukrainischen Regierung mit dem Hinweis entschuldigen, dass der Krieg im eigenen Land die Grenzen der Diplomatie und manchmal auch die des guten Benehmens verschiebt. Die deutsche Politik sieht sowohl dem ukrainischen Botschafter in Berlin als auch dem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oft genug Äußerungen nach, die in Friedenszeiten einen Eklat ausgelöst hätten. Das beginnt mit historisch schrägen Vergleichen und endet nicht bei Forderungen, die die zahlreichen Versäumnisse der Regierung in Kiew aus der Vergangenheit völlig außer Acht lassen.

Obwohl in der Ukraine vor dem Krieg hunderte Millionen Euro an EU-Mitteln verschwunden sind, weil Korruption und Intransparenz an der Tagesordnung waren, tritt Deutschland immer noch als größter Geldgeber auf. Unterstützung besteht eben nicht nur aus Panzern und Raketen, sondern zeigt sich auch in beachtlichen Zuschüssen. Wenn Selenskyj jetzt glaubt, er müsse den deutschen Bundespräsidenten öffentlich mit der Begründung ausladen, Steinmeier habe ein „Spinnennetz“ an Kontakten zur russischen Politik gewoben, dann schadet er letztlich nur sich und seinen Landsleuten.

Die Ukraine ist auf jeden Staat angewiesen, der ihr hilft, ob mit Waffen, mit Geld oder mit der (ebenfalls sehr teuren) Bereitschaft, hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Ein kluger Präsident spuckt nicht einfach auf eine ausgestreckte Hand. Dass Selenskyj dann auch noch glaubt, nach der Ausladung Steinmeiers den Bundeskanzler als Ersatzspieler einladen zu können, zeigt seine durch Krieg und verständliche Angst getrübte Wahrnehmung.

Allerdings trifft der Unmut der ukrainischen Führung Steinmeier nicht ohne Grund. Als Außenminister hat der Sozialdemokrat in Diensten von Gerhard Schröder planvoll daran mitgewirkt, die Beziehungen nach Moskau kräftig auszubauen. Das geschah natürlich auch, um den Interessen der deutschen Wirtschaft in Russland eine politische Schneise zu schlagen. Bestes Beispiel dafür ist die verhängnisvolle Energie-„Partnerschaft“, in deren Geleit viele profitable Geschäfte gemacht wurden – bis hin zur Anstellung des deutschen Ex-Kanzlers Schröder bei Gazprom & Co.


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Aber der getrübte Blick der deutschen Linken auf Russland hängt auch mit jener gewachsenen Verklärung zusammen, die im Westen mit Willy Brandts Ostpolitik begann und die in der DDR in Form der deutsch-sowjetischen Freundschaft ihre sozialistische Entsprechung fand. Diese traditionelle Nähe von deutschen Sozialdemokraten und Sozialisten zu den russischen „Brüdern“ hielt auch nach dem Mauerfall an.

Nichts gegen Völkerverständigung, aber wir haben uns von Putin und seinen Leuten täuschen lassen. Nicht jeder Genosse räumt diese Irrtümer offen ein – und sie lassen sich auch nicht mit einer einzigen Kanzlerrede und der Ausrufung der „Zeitenwende“ außer Kraft setzen. Die Ausladung Steinmeiers ist ein Affront und politisch höchst unklug, aber trotzdem sollte sie der SPD als Anlass dienen, über ihre Verklärungen und Irrtümer der Vergangenheit nachzudenken.

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