Vor dem Parteitag der Linken Die Linke starrt blind auf die AfD

Der Vorwurf von Gregor Gysi, seine Partei sei „saft- und kraftlos“ trifft zu. Der Leitantrag des Vorstands gegen die AfD klingt kämpferisch, hat deren Wählern aber wenig zu bieten.

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Gregor Gysi Quelle: dpa

An Sprachgewalt können es wenige mit Gregor Gysi aufnehmen. Früher traf er damit die Regierenden, nun, da er nicht mehr Partei- oder Fraktionschef der Linken ist, schont er auch seine eigene Partei nicht länger. Die sei „saft- und kraftlos“, hatte er pünktlich zum Magdeburger Parteitag an diesem Wochenende verkündet. Die AfD laufe der Linken ihren Status als Stimme des Protests gegen die etablierten Parteien ab.

Zumindest in ihrem Verhältnis zur AfD sitzt die Linke tatsächlich mit den anderen Bundestagsparteien in einem Boot: Die Angst vor der neuen Konkurrenz bestimmt derzeit die Strategie-Diskussion. Die AfD kann sich darüber nur freuen. Denn sie ist dadurch selbst bei einem Parteitag der Linken das interessanteste Thema der Berichterstattung.

Auch bei der Suche nach Rezepten gegen die Wählerverluste ähneln die Reaktionen der Linken-Spitze denen der SPD und der Union in ihrer Hilflosigkeit. „Noch engagierter“ will sich Fraktionschef Dietmar Bartsch dem Rechtspopulismus stellen. Partei-Chef Bernd Riexinger will „deutlich machen, dass sie [die AfD] in den sozialen Fragen nichts zu bieten hat." Kurz gesagt: Man blickt – wie bisher auch die Regierungsparteien – wie gebannt auf den neuen Gegner, versucht ihn – weiterhin – zu entlarven. Bislang sollte dabei dessen Nazi-Charakter offenbar werden. Da dies nicht gelang, soll nun dessen programmatische Leere Thema sein.

Als ob es nur darum ginge, besser zu kommunizieren, macht man sich die Parole Kaiser Wilhelms zu eigen: „Der Kurs bleibt der alte, und nun Volldampf voraus!“ Kein gutes Vorbild. Denn der Schuss kann leicht nach hinten losgehen. Er könnte dafür sorgen, dass die Programmatik der AfD bald bekannter wird als die der etablierten Parteien, inklusive Linke.

Mehr Realismus, weniger Moralismus

Statt blinder Attacke sollte sich die Linke ebenso wie die anderen Parteien vielleicht eher mal Gedanken machen, was sie selbst den zur AfD übergelaufenen Wählern zu bieten hat. Die Phantastereien im Leitantrag des Parteivorstands über einen angeblichen „Rechtsruck“ in Deutschland und die abstruse Behauptung, die AfD sei eine „Vermögensverwalterin der Reichen“, sind kein Angebot, das Wähler wieder zurück zur Linken treibt.

Der erste Schritt wäre: Mehr Realismus, weniger Moralismus. Dazu würde für die Linke genauso wie für die SPD die Akzeptanz der Tatsache gehören, dass es nach aktueller Lage nicht die so genannten „Reichen“ sind, die die sozialen Kosten der Einwanderung zu tragen haben, sondern die eigene Klientel. Wenn die Integration der Einwanderer gut gelingt, werden sie vor allem mit einheimischen Geringverdienern um Jobs konkurrieren. Wenn sie schlecht gelingt, wird der Druck auf die Sozialsysteme noch stärker steigen.

Auch dann werden einheimische Hartz-IV-Empfänger nicht zu den Gewinnern zählen.  Die daraus entstehende Abstiegsangst vieler Menschen macht sich die AfD mit ihrer „Querfront-Strategie“ erfolgreich zunutze, die auf potentielle Linkswähler zielt.

Sozialistische Politik war beim Wähler immer erfolgreich, wenn sie der Maxime Ferdinand Lasalles folgte: „das laut zu sagen, was ist“. Mit einem weniger von Sentimentalität getrübten Blick auf die entscheidende Schnittstelle von Einwanderungs- und Sozialpolitik hätte die Linke vermutlich durchaus Chancen, der AfD den einen oder anderen Wähler wieder abzujagen. Doch dazu müsste sie mehr bieten als Riexingers Phrase von einer Gesellschaft, „die nicht ausgrenzt und nicht nach unten tritt.“

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