Brexit Warum diese Abstimmung ein Meilenstein war

Brexit: Abstimmung im Unterhaus war ein Meilenstein Quelle: dpa

Zum ersten Mal hat das Unterhaus in London über Alternativen zum Brexit-Deal der Regierung abgestimmt. Zwar setzte sich in der ersten Runde keine der Varianten durch. Dennoch zeichnet sich ein möglicher Ausweg aus der Brexit-Krise ab.

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Nach einem langen Tag im Parlament in London, nach langen Debatten und zahlreichen Abstimmungen, fiel die Verkündung der Ergebnisse am späten Mittwochabend zunächst enttäuschend aus: Für keinen der acht alternativen Brexit-Kurse, über die an diesem Tag in Testabstimmungen abgestimmt worden ist, gab es eine Mehrheit.

Am knappsten unterlag der Vorschlag, dass Großbritannien nach dem Brexit in einer Zollunion mit der EU verbleiben soll: Hierfür stimmten 264 Abgeordnete, 272 stimmten dagegen. Noch mehr Abgeordnete sprachen sich dafür aus, eine Volksabstimmung über das finale Brexit-Austrittsabkommen durchzuführen: 268. Gegen diese Variante stimmten allerdings 295 Abgeordnete.

Die favorisierte Brexit-Variante der Hardliner, der „No Deal“-Brexit (bei dem Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlassen würde), erhielt nur 160 Stimmen. 400 Abgeordnete stimmten dagegen.

Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Bereitschaft zum Rücktritt erklärt. Seitens der Brexit-Hardliner heißt es, in diesem Fall könnten sie Mays Deal vielleicht doch zustimmen. Ein Ausweg?

Obwohl sich an diesem Tag keine Mehrheit für einen alternativen Brexit-Kurs herausgebildet hat, waren die Testabstimmungen vom Mittwoch dennoch bedeutend: Denn es war das erste Mal, dass die Abgeordneten sondieren konnten, welche Präferenzen es im Unterhaus für die unterschiedlichen Brexit-Varianten gibt.

Dass diese Abstimmungen überhaupt abgehalten wurden, war für sich genommen schon ein Meilenstein. Denn Premierministerin Theresa May hat während des gesamten Brexit-Prozesses alles daran gesetzt, das Parlament so weit wie möglich aus den wichtigen Entscheidungen herauszuhalten. Vor zwei Jahren entschied May im Alleingang, einen relativ harten Brexit anzusteuern: Großbritannien sollte raus aus dem Binnenmarkt und der Zollunion und nach dem Brexit nicht länger der Gerichtsbarkeit der EU-Gerichte unterstehen. EU-Bürger sollten nicht länger ein Anrecht darauf haben, nach Großbritannien zu ziehen. Diese „roten Linien“ haben die gesamten Brexit-Verhandlungen überschattet und erschwert.

Als May Ende des Jahres ihren Brexit-Deal dem Parlament vorlegte, war dieser so von Kompromissen durchzogen, dass niemand zufrieden war. Und so stimmte das Parlament zwei Mal mit überwältigender Mehrheit dagegen. Anfang der Woche dann ergriffen die Abgeordneten die Initiative: Sie stimmten dafür, gegen den Willen der Regierung durch Testabstimmungen zu sondieren, für welche Pläne es genügend Unterstützung geben könnte.

Dass diese Abstimmungen in der ersten Runde noch keine Mehrheit für einen alternativen Brexit-Kurs hervorgebracht haben, sorgte nach der Verlesung der Ergebnisse am Mittwochabend sogleich für Streit. Die Unterstützer der Regierung und einige Brexit-Hardliner erklärten den Vorstoß des Parlaments für gescheitert. Sie drängten den „Speaker“ des Hauses, John Bercow, dazu, keine weiteren Testabstimmungen zuzulassen. Es kam zu tumultartigen Szenen. Bercow machte jedoch klar, dass die Abstimmungen vom Mittwoch nur der erste Durchlauf gewesen seien.

Brexit-Minister Stephen Barclay erklärte, die Abstimmungen hätten gezeigt, dass es „keinen einfachen Weg nach vorne“ gebe. Das bedeute, dass der Brexit-Deal der Regierung weiter „die beste Option“ sei. „Falls die Abgeordneten die EU mit einem Abkommen verlassen möchten, dass müssen sie das Austrittsabkommen unterstützen“, sage Barclay.

Die ehemalige konservative Abgeordnete Anna Soubry, die kürzlich aus Protest gegen den Kurs der Regierung aus ihrer Partei ausgetreten ist, wies hingegen darauf hin, dass Mays Brexit-Deal im Unterhaus bislang maximal 242 Stimmen erhalten hat. Bei den Testabstimmungen vom Mittwoch hätten sich mehr Abgeordnete für einen Verbleib in der Zollunion und für eine erneute Volksabstimmung ausgesprochen.

Das Unterhaus in London hat gegen den Willen der Regierung Abstimmungen über alternative Brexit-Pläne erzwungen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dabei wirklich etwas herumkommt.
von Sascha Zastiral

Andrew Lansley, der für die Tories im House of Lords sitzt, dem Oberhaus des Parlaments, wies in einem Tweet darauf hin, dass sich die Mitglieder des Kabinetts auf Anraten der Regierung an den Abstimmungen vom Mittwoch nicht beteiligt hätten. Der Vorschlag, in einer Zollunion mit der EU zu bleiben, habe dabei die wenigsten Gegenstimmen enthalten. „Ich interpretiere das so, dass es für diese Option am wahrscheinlichsten eine Mehrheit geben würde, wenn alle Abgeordneten stimmen würden“, schrieb Lansley.

Während die Debatten im Unterhaus auf Hochtouren liefen, setzte Theresa May in einem Versammlungsraum in einem anderen Teil des Parlaments alles daran, ihren Deal doch noch über die Ziellinie zu bringen. Bei einem Treffen mit den konservativen Hinterbänklern stellte May hinter verschlossenen Türen ihren Rücktritt in Aussicht, falls das Parlament doch noch für ihren Deal stimmen sollte. Im Lauf des Nachmittags erklärten daraufhin immer mehr Brexit-Hardliner öffentlich, dass sie ihre Meinung geändert hätten und nun für Mays Deal stimmen würden. Bei vielen Brexit-Unterstützern nimmt derzeit offenkundig die Sorge zu, dass das Land auf einen sanfteren Brexit zusteuern könnte, wenn nicht bald eine Entscheidung fällt. Oder noch schlimmer: dass der Brexit ganz scheitern könnte.

Einer hatte es besonders eilig: Boris Johnson. Der Ex-Brexit-Vorkämpfer und Ex-Außenminister schwenkte nach Mays Rücktrittsangebot sofort um und erklärte, er werde ihren Deal unterstützen. Dabei hatte Johnson noch vor wenigen Tagen breit dagegen gewettert. Was ihn antreibt, ist kein Geheimnis: Johnson möchte ganz offensichtlich schon seit jeher Premierminister werden. Ob ihm seine Kehrtwende vom Mittwoch dabei geholfen hat, ist jedoch fraglich. In den sozialen Medien erntete Johnson für die Aktion viel Spott.

Auch andere Brexit-Hardliner machten mit erstaunlichen Kehrtwenden auf sich aufmerksam. Jacob Rees-Mogg, der Chef der Euroskeptiker bei den Tories und bislang ein erbitterter Kritiker von Mays Brexit-Deal, hat noch am Mittwochmorgen auf der Titelseite des rechtslastigen Boulevardblatts „Daily Mail“ erklärt, er habe seine Meinung geändert und werde sich nun doch hinter Theresa May stellen. Am Mittwochabend dann machte er einen Rückzieher: In einem Fernsehinterview sagte Rees-Mogg, dass er nicht für Mays Deal stimmen werde, falls die nordirische DUP-Partei – die Mays Regierung toleriert – dagegen stimmen sollte. Und die hat am Mittwochabend erklärt, dass sie Mays Brexit-Deal weiter ablehnt.

Damit ist unklar, was aus den Plänen der Regierung wird, den Abgeordneten Mays Brexit-Deal womöglich noch am Freitag ein drittes Mal zur Abstimmung vorzulegen. Die Testabstimmungen über die Alternativen zu Mays Brexit-Kurs sollen am Montag fortgesetzt werden. Dabei wird sich zeigen, ob ein sanfterer Brexit ein möglicher Ausweg aus der Krise sein könnte.

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