Brexit Aufstand der Abgeordneten

Brexit: Londons Aufstand der Abgeordneten Quelle: imago images

Das Unterhaus in London hat gegen den Willen der Regierung Abstimmungen über alternative Brexit-Pläne erzwungen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dabei wirklich etwas herumkommt.

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Zeichnet sich ein Ausweg aus der Sackgasse ab, in die Großbritannien sich in Sachen Brexit manövriert hat? Die Abgeordneten des Unterhauses des Parlaments in London scheinen nicht länger gewillt zu sein, den Brexit-Prozess alleine der Regierung von Premierministerin Theresa May zu überlassen. Am Montagabend stimmten sie dafür, noch diese Woche über Alternativen zu Mays Brexit-Deal abzustimmen. Diese Abstimmungen sollen am Mittwoch erfolgen.

Die Abgeordneten haben damit nicht nur Theresa May die Kontrolle über den Brexit-Prozess ein Stück weit aus der Hand genommen. Gleich drei Juniorminister legten ihre Ämter nieder, damit sie gegen die Regierung stimmen konnten. Die wenige Autorität, die May derzeit noch besitzt, schwindet damit noch mehr.

Entsprechend heftig kritisierte das Brexit-Ministerium die Entscheidung der Abgeordneten. Diese hätten mit ihrer Entscheidung „das Gleichgewicht zwischen unseren demokratischen Institutionen umgekehrt“ und einen „gefährlichen, unberechenbaren Präzedenzfall für die Zukunft“ geschaffen, hieß es in einer Erklärung.

Die Lage in London sah zuletzt hoffnungslos verfahren aus. Die Abgeordneten des Unterhauses haben zwei Mal – Mitte Januar und Mitte März – mit überwältigender Mehrheit gegen den Brexit-Deal gestimmt, den Theresa May Ende des vergangenen Jahres aus Brüssel mit nach Hause gebracht hat. Da Großbritannien deswegen auf einen chaotischen Brexit zusteuerte, bei dem das Land die EU ohne ein Abkommen verlassen würde, haben die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten vergangene Woche einen Aufschub gewährt: Sie beschlossen, den Brexit-Termin – der bereits diesen Freitag gewesen wäre – auf den 22. Mai zu verlegen, falls die Abgeordneten noch für Theresa Mays Deal stimmen sollten. Tun sie das nicht – und danach sieht es aus –, wird der 12. April zum neuen Brexit-Termin.

Bis Mittwoch sollen sich die Abgeordneten, die hinter der Abstimmung vom Montag stehen, und der „Speaker“ des Unterhauses, John Bercow, darüber verständigen, in welcher Weise die Abstimmungen am Mittwoch durchgeführt werden sollen und über welche möglichen Alternativpläne abgestimmt wird.

Doch schon jetzt droht weiterer Ärger: Denn Theresa May hat durchblicken lassen, dass sie die eventuellen Entscheidungen der Abgeordneten ignorieren könnte.

In einer Rede am Montagnachmittag räumte May zunächst noch ein, dass sie nicht noch einmal versuchen wolle, die Abgeordneten über ihren Brexit-Deal abstimmen zu lassen. Dafür gebe es „noch nicht“ die notwendige Unterstützung, sagte die Premierministerin.

Kurz darauf deutete May allerdings an, dass sie sich weigern könnte, Entscheidungen vom Mittwoch anzuerkennen. „Ich muss zugeben, dass ich skeptisch bin, wenn es um solche Abstimmungsprozesse geht“, sagte May. Solche Testabstimmungen hätten in der Vergangenheit immer „widersprüchliche oder überhaupt keine Ergebnisse“ geliefert. May unterstrich, dass Großbritannien sowohl die Zollunion als auch den Binnenmarkt verlassen müsse, wenn es die EU verlässt. Anders lautende Forderungen werde sie ablehnen, erklärte sie trocken.

Doch vielleicht kommt es gar nicht so weit. Denn die Chancen, dass sich die Abgeordneten am Mittwoch auf einen alternativen Brexit-Kurs einigen werden, stehen schlecht. Das einzige, worauf sich das Unterhaus bislang verständigen konnte, war, dass ein ungeordneter Brexit vermieden werden soll. Doch solange es keine Alternative zu Theresa Mays Brexit-Deal gibt, steuert das Land weiter auf einen solchen superharten Brexit zu.

Für keinen vorstellbaren Alternativplan ist derzeit eine Mehrheit erkennbar. Für einen Brexit-Stopp – wie ihn derzeit immer mehr Briten fordern – gibt es im Unterhaus im Moment genau so wenig eine Mehrheit wie für ein zweites Referendum. Die walisische Regionalpartei Plaid Cymru, die schottischen Nationalisten von der SNP und die Liberaldemokraten werden jedoch kaum für etwas anderes stimmen. Ihre Stimmen dürften fehlen, wenn über den „sanfteren“ Brexit abgestimmt wird, bei dem das Land in einer Zollunion der EU bleiben würde. Einen solchen Brexit strebt Labour an. Die Brexit-Hardliner bei den Tories wiederum, die eine entscheidende Rolle beim derzeitigen Stillstand spielen, sind für sich genommen eine Randgruppe, die aus ein paar Dutzend Abgeordneten besteht. Ihre Vorschläge dürften alle abgeschmettert werden.

Am Ende könnte der Aufstand der Abgeordneten in London also scheitern – und Theresa May hätte, fürs Erste, wieder die Zügel in der Hand.

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