Nun also soll es Super-Mario richten. Am Mittwoch bestellte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, zum Gespräch ein. Er bat ihn, Italien aus der Regierungskrise zu befreien, in die das Land gerutscht ist, nachdem Matteo Renzi, Chef der Kleinpartei Italia Viva, dem bisherigen Regierungschef Giuseppe Conte im Streit über die Verwendung der Corona-Hilfsgelder die Unterstützung entzogen hatte. Draghi sagte zu, es mit der Regierungsbildung zu versuchen.
Beobachter sehen gute Chancen, dass ihm dies gelingt. Ob es am Ende ein Mitte-Rechts-Bündnis unter Beteiligung von Forza Italia, der Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi wird oder eine Mitte-Links-Koalition unter Einschluss mehrerer Kleinparteien, ist noch offen. Den Teilnehmern an den Finanzmärkten dürfte das eh egal sein, Hauptsache Draghi gibt den Kurs vor. Denn dieser genießt an den Börsen einen Ruf wie Donnerhall. Mit seiner Whatever-it-takes-Rede in der Eurokrise 2012 hatte Draghi den Euro und mit ihm die Banken und die Finanzmärkte vor dem Kollaps bewahrt.
Tatsächlich ist Draghi ein mit allen politischen Wassern gewaschener Stratege. Als Generaldirektor des italienischen Finanzministeriums war er in den Neunzigerjahren maßgeblich an den umfangreichen Privatisierungen in Italien beteiligt. Danach heuerte er bei der Investmentbank Goldman Sachs an, anschließend war er fünf Jahr lang Chef der italienischen Zentralbank. Von dort gelang ihm der Sprung an die Spitze der EZB, die er von 2011 bis 2019 führte.
Retter des Euro
Als oberster Notenbanker Europas setzte Draghi alles daran, den Euro zu erhalten. Dabei hat er nach Ansicht von Kritikern mit dem Ankauf von Staatsanleihen jedoch das Mandat der EZB überdehnt und gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen. Bei seinen Entscheidungen dürfte er immer auch das Ziel im Auge gehabt haben, Italien in der Währungsunion zu halten. Die Regierungen ermahnte er in seinen Reden zu Reformen, um so den Druck von der EZB zu nehmen. Als Regierungschef in Rom muss er sich daher künftig an seinen eigenen Worten und Ermahnungen messen lassen und Italien, das in der Eurozone wirtschaftlich immer weiter zurück fällt, einer Radikalkur unterziehen.
Ob ihm das gelingt, ist jedoch fraglich. Schon einmal, von 2011 bis 2013 hatte eine Technokratenregierung unter dem früheren EU-Kommissar Mario Monti versucht, Italien auf den Weg der Reformen zu bringen. Vergeblich. Trotz einiger Sparmaßnahmen, etwa bei den Pensionen, kletterte der Schuldenstand des Staates munter weiter. Mittlerweile liegt er bei 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem leidet das Land unter einer höchst ineffizienten Verwaltung, dysfunktionalen Justiz, hoch regulierten Arbeitsmärkten und dem ubiquitären organisierten Verbrechen.
Ob sich daran unter Draghi Entscheidendes ändert, ist zweifelhaft. Zumal der Handlungsdruck für ihn deutlich geringer ausfällt als für seinen Vorgänger Monti. Als Monti zu Reformen ansetzte, zahlte Italien für zehnjährige Staatsanleihen Zinsen von bis zu sieben Prozent. Der Druck der Märkte zur Konsolidierung des Staatshaushalts war groß. Heute liegen die Renditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen bei gerade einmal einem halben Prozent.
Die EZB drückt Italiens Zinsen
Der Grund dafür sind die umfangreichen Anleihenkäufe der EZB, die unter Draghis EZB-Regentschaft in Frankfurt beschlossen wurden und nun von seiner Nachfolgerin Christine Lagarde weitergeführt werden. Im Gefolge der Coronakrise hat Lagarde die Anleihenkäufe sogar massiv ausgeweitet. Das 2020 beschlossene Pandemie-Notfallprogramm, das Wertpapierkäufe von insgesamt 1850 Milliarden Euro vorsieht, gewährt der EZB maximale Flexibilität bei der Auswahl der Anleihen.
Hatte die EZB sich bei dem unter Draghi aufgelegten Ankaufprogramm für Staatsanleihen (PSPP) noch verpflichtet, die regionale Aufteilung der Anleihenkäufe an den Anteilen der Länder am EZB-Kapital auszurichten, so hat sie diese Selbstbindung beim PEPP faktisch über Bord geworfen. Auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Infektionswelle im März und April vergangenen Jahres kaufte die EZB zur Beruhigung der Märkte deutlich mehr italienische Staatsanleihen als es dem Anteil des Landes am EZB-Kapital von knapp 17 Prozent entspricht.
Aktuell liegen die kumulierten PEPP-Käufe italienischer Staatsanleihen Berechnungen der Commerzbank zufolge um etwas mehr als zwei Prozentpunkte über dem Wert, der mit dem Kapitalanteil Italiens vereinbar ist. Beim PSPP-Programm beläuft sich der übermäßige Kauf von Italo-Bonds auf 1,3 Prozentpunkte.
Derzeit plant Italien für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit von etwas mehr als acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist auch im europäischen Maßstab viel. Dennoch dürfte das Land keine Schwierigkeiten haben, die dafür nötigen Anleihen am Markt zu platzieren. Im Gegenteil. Berechnungen der Commerzbank zufolge wird die EZB in diesem Jahr so viele italienische Staatsanleihen erwerben, dass diese sich trotz des hohen Fehlbetrags im römischen Staatshaushalt am Kapitalmarkt verknappen. Das drückt die Renditen und senkt den Reformdruck.
Geldgeschenke für Italiens Banken
Auch die mit notleidenden Krediten vollgestopften italienischen Banken sonnen sich im Schutz der EZB – nicht zuletzt als Folge der von Draghi konzipierten Zinspolitik. Zwar brummt die EZB den Geschäftsbanken in der Eurozone einen Strafzins von 0,5 Prozent auf Einlagen auf, die diese bei der EZB halten. Unter Berücksichtigung der gewährten Freibeträge belastet dies die italienischen Banken mit 968 Millionen Euro, zeigen Berechnungen der französischen Privatuniversität IESEG.
Auf der anderen Seite aber subventioniert die EZB die Geschäftsbanken indem sie ihnen bei Geldleihgeschäften quasi Geld schenkt. So können sich die Banken Zentralbankgeld zum Negativzins von bis zu einem Prozent leihen, um damit Kredite an Unternehmen zu vergeben. Das entlastet die italienischen Banken um rund 3,6 Milliarden Euro. Per Saldo profitieren sie daher mit etwa 2,7 Milliarden Euro von der Negativzinspolitik der EZB, so die Ökonomen der IESEG.
Anders sieht es hingegen für die deutschen Banken aus. Diese zahlen per Saldo 676 Millionen Euro mehr an Strafzinsen an die EZB als diese ihnen bei der Geldleihe schenkt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich im Zuge der Kapitalflucht aus den Südländern nach Deutschland über das Zahlungsverkehrssystem der Zentralbanken (Target) hierzulande hohe Einlagen der Geschäftsbanken bei der Bundesbank angesammelt haben, auf die Strafzinsen erhoben werden.
Weiter in die italienische Währungsunion
Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Die italienischen Geschäftsbanken leihen sich Geld bei der EZB und werden dafür mit Subventionen belohnt. Anschließend fließt das Geld über das Targetsystem nach Deutschland, wo die deutschen Geschäftsbanken dann Strafzinsen darauf zahlen müssen. So hat Draghi die Eurozone in seiner Amtszeit zu einer gigantischen Transfer- und Haftungsunion umgemodelt.
Wird er Regierungschef in Rom, kann er daher weitestgehend unbehelligt vom Druck der Märkte agieren. Die Börsen wiederum können darauf wetten, dass Italien trotz seiner mancherorts dem Status eines Entwicklungslandes gleichenden Wirtschaftsstruktur weiterhin Mitglied der Währungsunion bleiben wird. Echte Reformen wird es angesichts dieser Umstände mit Draghi wohl nicht geben. Weder bei den Staatsfinanzen, noch bei den Banken.
Für die EZB heißt dies, dass sie weiter Ausputzer und Hauptfinanzier der Regierungen bleiben wird. Zumal Draghi – künftig von Rom statt von Frankfurt aus – wohl weiter daran arbeiten wird, die Eurozone nach dem Vorbild und den Vorstellungen Italiens umzugestalten.
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