EU-Gesetzgebung Brüsseler Lobbyschlacht um Künstliche Intelligenz

Beim Thema Künstliche Intelligenz will die EU vorweg gehen und neue Standards setzen – am liebsten mit Wirkungsgrad weltweit. Quelle: imago images

Als erste Region der Welt will Europa Künstliche Intelligenz regulieren. Die Industrie will sich möglichst viel Spielraum erhalten, die Zivilgesellschaft Risiken minimieren. Wer wird sich durchsetzen?

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Die EU-Kommission hatte ihre Ideen noch nicht vorgelegt, da war Google-Chef Sundar Pichai schon zur Stelle. Im Januar vergangenen Jahres, einen Monat bevor die EU-Kommission ihr Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz (KI) vorlegte, flog der CEO des Internetgiganten nach Brüssel und führte vor Publikum seine Vision zu dem Thema aus. Natürlich müsse Künstliche Intelligenz reguliert werden, sagte der gebürtige Inder. Aber er warnte auch vor zu vielen Regeln aus der Politik: „KI steckt noch in den Kinderschuhen, wir müssen die richtige Balance zwischen den Chancen und den Gefahren finden.“

Pichais früher Einsatz kommt nicht von ungefähr. Europa will als erste Region weltweit KI regulieren. Nicht wenige Entscheider in Brüssel träumen davon, so etwas wie einen Goldstandard zu schaffen, den andere Länder übernehmen werden – wie das etwa bei der Datenschutzgrundverordnung gelungen ist. IT-Giganten wie Google wissen, dass die Regeln, die in Brüssel zu KI entstehen, weit über die EU hinaus wirken könnten. Grund genug, die Lobby-Aktivitäten langfristig anzulegen.

An diesem Mittwoch legt die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine KI-Verordnung vor, der das Lobbying weiter befeuern wird. In den kommenden Monaten und Jahren werden Internetkonzerne, Vertreter der Zivilgesellschaft aber auch Normungsorganisationen versuchen, die Regulierung in ihrem Sinne zu formen. „Künstliche Intelligenz ist von strategischer Relevanz“, sagt der CDU-Abgeordnete Axel Voss. Entsprechend heftig dürfte die Auseinandersetzung ausfallen.

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Einen Vorgeschmack auf die Debatten bekamen die Mitglieder der hochrangigen Expertengruppe, deren 52 Mitglieder das Thema im Auftrag der EU-Kommission sondiert haben. Auf der einen Seite standen Vertreter von Industriegiganten wie Google, Bayer und BMW, auf der anderen eine Verbraucherschützerin und ein Gewerkschafter. „Und ganz wenige Leute befanden sich in der Mitte“, erinnert sich der Ökonom Andrea Renda von der Brüsseler Denkfabrik Centre for Europan Policy Studies (Ceps). Nach einem produktiven ersten Jahr, in dem es um die Grundlagen ethischer KI ging, tat sich die Gruppe sehr schwer, Empfehlungen für Sektoren auszuarbeiten, weil Partikularinteressen in die Quere kamen.

Wenn Europa-Abgeordnete und Mitgliedsstaaten künftig an der KI-Verordnung arbeiten werden, drohen ähnliche Konflikte. Alle geben vor, eine sichere, vertrauenswürdige und menschenzentrierte KI anzustreben, doch im Detail stellen sie sich, je nach Interessenslage, etwas ganz anderes darunter vor.

Im Europäischen Parlament steht erst einmal ein Kompetenzgerangel bevor. Noch ist unklar, welcher Ausschuss sich federführend mit KI befassen wird. Davon hängt ab, welcher Abgeordnete zum Berichterstatter ernannt wird. Der kann mit den meisten Terminanfragen von Lobbyisten rechnen. Sollte der Rechtsausschuss zum Zug kommen, hält sich der CDU-Abgeordnete Voss bereit, bekannt für seine Arbeit zum Urheberrecht, die ihm vor über zwei Jahren den Zorn von Aktivisten eingebracht hat. Voss fand sich im Streit um Uploadfilter in einem Shitstorm wieder, nachdem Youtube-Chefin Susan Wojcicki suggeriert hatte, dass die EU das Ende von Videos, wie sie bisher bekannt waren, einleiten würde. Ähnliche Kampagnen mit zehntausenden von E-Mails, die in Morddrohungen gipfelten, erwartet Voss nicht. Aber er weiß: „Ich bin bei meinen Internetfreunden im Fokus.“

Streitthemen wird es genug geben. Die grüne Europaabgeordnete Alexandra Geese beispielsweise plädiert dafür, zwischen KI, die Menschen verwaltet, und technischen Anwendungen klar zu differenzieren. Sie warnt vor Verzerrungen, die entstehen, wenn Daten nicht neutral seien. „Forschungsergebnisse zeigen, dass alle, die nicht weiße Männer sind, benachteiligt werden, etwa bei der Kreditvergabe.“

Die Kommission schlägt vor, dass KI-Systeme, die etwa über Beförderungen oder die Zuteilung von Sozialleistungen entscheiden, von Menschen überwacht werden. Doch kommt das den Beratungsunternehmen gelegen, die öffentlichen Verwaltungen ihre KI-Systeme andienen wollen?

Auch über die Gesichtserkennung dürfte gestritten werden. Die EU-Kommission will sie als Hochrisiko-Anwendung einstufen, sie aber nicht verbieten. Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei, verweist darauf, dass die Zivilgesellschaft weltweit gegen den Einsatz von solchen Technologien protestiert.

Grundsätzlich stehen Abgeordnete und Mitgliedsstaaten vor dem Problem, einen Bereich zu regulieren, der erst am Anfang seiner Entwicklung steht. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber warnt deshalb davor, einer Zukunftstechnologie den Hahn abzudrehen, „bevor wir ihr Potenzial jemals richtig ausschöpfen konnten“.

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Ökonom Renda rechnet mit hitzigen Debatten. „Es wird keine perfekte Regulierung“, prognostiziert der Italiener. „Aber dass die Europäer versuchen die ersten zu sein, ist schon mal ein mutiger Schritt.“

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