Europäische Zentralbank Die EZB muss Kurs halten und die Zinsen weiter anheben

 Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, im Kampf gegen die hohe Inflation wie im Februar die Schlüsselsätze um einen halben Prozentpunkt anzuheben. Quelle: dpa

Es war absehbar, dass der Zins-Turnaround der EZB nicht ohne größere Blessuren in der Finanz- und Realwirtschaft bleiben würde. Aber die Notenbank muss die Zinsen weiter anheben. Auch wenn die Lage an den Finanzmärkten ungemütlich wird. Ein Kommentar.

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Was macht eine Zentralbank, wenn die Inflation aus dem Ruder läuft, die Konjunktur schwächelt und die Banken wackeln? Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Frage am Donnerstag für sich beantwortet. Sie hat die Leitzinsen erhöht und damit getan, wozu sie per Gesetz verpflichtet ist: für stabile Preise zu kämpfen.

Das ist für die EZB, in der die inflationsaffinen Vertreter aus den Südländern der Eurozone die Mehrheit haben, nicht selbstverständlich. Schon gar nicht, wenn an den Finanzmärkten wegen des Bankenbebens, das die Pleite der amerikanischen Silicon Valley Bank und die Rettungsaktion zugunsten der schweizerischen Großbank Credit Suisse ausgelöst haben, das Szenario einer neuen Finanzkrise herumgereicht wird.

Insofern gebührt der EZB Respekt, dass sie geliefert hat, was nötig ist, um die Inflation zurückzudrängen. Andererseits: Hätte die EZB auf die seit Wochen angekündigte Zinsanhebung um 50 Basispunkte auf nunmehr 3,0 Prozent für den Einlagensatz und 3,5 Prozent für den Hauptrefinanzierungssatz verzichtet, hätte sie die Märkte noch mehr verunsichert. Die Investoren hätten dies als Zeichen interpretiert, dass die Geschäftsbanken noch mehr Leichen im Keller haben, von denen die EZB als Bankenaufseherin weiß.

Die Abstürze der Credit Suisse und der Silicon Valley Bank lassen die Finanzwelt beben. Sie sind keine Einzelfälle. Der überfällige Zinsanstieg wird weitere Banken durchrütteln.
von Melanie Bergermann, Malte Fischer, Julian Heißler, Matthias Hohensee, Michael Kroker, Theresa Rauffmann, Anton Riedl, Dieter Schnaas, Hendrik Varnholt, Sascha Zastiral, Lukas Zdrzalek

Um die Märkte zu beruhigen, wies EZB-Chefin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz am Donnerstag mehrfach darauf hin, dass die Banken in der Eurozone deutlich resilienter gegenüber Schocks seien als dies in der Finanzkrise 2008 der Fall war. Die Kernkapitalquoten seien höher, die Liquiditätsreserven besser gefüllt als damals. Dennoch: Sollten die Banken in Schwierigkeiten geraten, verfüge die EZB über die nötigen Instrumente, um sie mit Liquiditätshilfen zu unterstützen. Dabei erwähnte Lagarde die Möglichkeit, bei Geldleihgeschäften die Abschläge von den Anleihen, die die Banken als Sicherheiten einreichen müssen, zu reduzieren sowie die Möglichkeit, den Rahmen der akzeptierten Sicherheiten auszuweiten. All dies sind Maßnahmen, mit denen die Notenbank bereits in der Eurokrise Erfahrung gesammelt hat.

Dass sich die Frankfurter Notenbank in dem Dilemma befindet, zwischen Preis- und Finanzstabilität abzuwägen, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Viel zu lange hat sie unter Beschwörung angeblicher Deflationsgefahren die Leitzinsen bei null Prozent festgetackert, hat wie verrückt Staatsanleihen gekauft und berechtigte Warnungen vor einer Rückkehr der Inflation in den Wind geschlagen. All dies getrieben von dem Bemühen, die Finanzierungskonditionen für die hoch verschuldeten Südländer der Währungsunion so niedrig zu halten, dass diese keine Probleme mit der Bedienung ihrer Schulden haben.

Mit ihrer ultralockeren Geldpolitik und dem jahrelangen Niedrigzinsversprechen haben die Notenbanker nicht nur den Druck von den Finanzministern der Eurozone genommen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Die Notenbanker haben auch das Risikobewusstsein an den Finanzmärkten sediert und die Investoren auf der Suche nach einem Quäntchen Extrarendite in fragwürdige Investments getrieben, sei es bei Aktien, Immobilien oder Start-ups.

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Daher war absehbar, dass der Turnaround bei den Zinsen, wie er durch die Rückkehr der Inflation unumgänglich wurde, nicht ohne größere Blessuren in der Finanz- und Realwirtschaft bleiben würde. Die Normalisierung der Zinsen deckt Fehlinvestitionen schonungslos auf, bestraft Managementfehler in der Risikoabsicherung der Banken und entzieht unrentablen Geschäftsideen die finanzielle Grundlage. Der Zinsschock, der die Finanz- und Immobilienmärkte nun durchschüttelt, wirkt wie ein reinigendes Gewitter. „Der Abstieg“, schrieb der österreichische Ökonom Ludwig von Mises (1881–1973) über den Bust, „vernichtet nicht Werte, er wertet nur illusionsfrei und nüchtern“. In diesem Sinne ist er „wirtschaftlicher Fortschritt“. Denn er sorgt dafür, dass die knappen Ressourcen wieder dorthin wandern, wo sie den größten Nutzen stiften.



Der Kampf der EZB gegen die Inflation, die sie mit ihrer ultralockeren Geldpolitik höchstselbst verursacht hat, dürfte mit der Zinsentscheidung vom Donnerstag noch nicht beendet sein. Die Kernrate der Inflation (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) hat mit 5,6 Prozent den höchsten Stand seit dem Beginn der Währungsunion erreicht und liegt weit über dem Zielwert der EZB von zwei Prozent. Der Kostendruck, der von den Löhnen ausgeht, nimmt zu. Zweitrundeneffekte drohen. Die EZB muss daher Kurs halten und die Zinsen weiter anheben.

Ob sie dies tut und wie weit sie dabei geht, werden die nächsten Monate zeigen. Eine unkonditionierte Zusage für weitere Zinsschritte wollte Lagarde jedenfalls nicht geben. Die künftigen Zinsentscheidungen seien von der Datenlage abhängig, zu der neben dem unterliegenden Inflationstrend auch die Wirtschafts- und Finanzdaten sowie die geldpolitische Transmission zählen, sagte sie. Das darf man wohl so interpretieren, dass eine Fortsetzung des Zinserhöhungszyklus auch davon abhängt, wie sich die Situation im Bankensektor und an den Anleihemärkten entwickelt.

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Lässt die EZB aus Sorge um die Finanzmärkte und die Finanzierungskonditionen für die Finanzminister der Eurostaaten die Zügel demnächst wieder schleifen, droht sie nicht nur den Kampf gegen die Inflation, sondern auch ihr wichtigstes Kapital zu verlieren: die Glaubwürdigkeit. Es steht viel auf dem Spiel – für die EZB, die Sparer und die Zukunft des Euro.

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