Globalisierung Bleibt Ceta ein ewiges Provisorium?

Quelle: Bloomberg

Deutschland und die EU wollen den Investitionsschutz beim Freihandelsabkommen Ceta nachverhandeln. Kanada sträubt sich. Dem Handel schadet das kein bisschen.

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Der Streit dauert bereits seit mehr als 20 Jahre. Zeit, in der – so sagen die einen – das kleine Dorf Roșia Montană in den rumänischen Karpaten sehr reich hätte werden können. Die anderen sind überzeugt, dass ihr Widerstand im Gegenteil das sichere Ende der Gemeinde verhindert habe. Bis jetzt. Denn das letzte Wort hat ein Schiedsgericht der Weltbank

Es geht um Europas angeblich größte Goldmine in Roșia Montană, dem ehemals siebenbürgischen Goldberg. Um eine börsennotierte kanadische Firma etwas zweifelhaften Rufs, die sie unbedingt ausbeuten will. Und um eine Regierung in Bukarest, der wegen Untersagung solcher Aktivitäten die Zahlung von 5,7 Milliarden Dollar droht. Zum Vergleich: Rumäniens Defizit im Staatshaushalt 2023 umfasst umgerechnet knapp 15 Milliarden Dollar. 

Weil das Investorenschutz-Sondergericht in einem bilateralen Abkommen verankert wurde, das Rumänien bereits in den 90er Jahren mit Kanada geschlossen hatte, wird die verhinderte Goldgrube in den Karpaten häufig zitiert.

Immer dann nämlich, wenn Kritiker sich gegen Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen auflehnen. Aus Sorge davor, dass Konzerne künftig Regierungen mit ruinösen Klagen überziehen, weil vor allem die Bekämpfung des Klimawandels zu massiven Konflikten zwischen dem Gemeinwohl und privaten Profitinteressen führen könnte, wurde das im Herbst 2016 unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, kurz Ceta, bisher erst von 17 der 27 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert. 

Ceta seit 2017 nur vorläufig in Kraft

Ceta ist deshalb seit 2017 nur vorläufig in Kraft. Als der Bundestag im vergangenen Dezember das Abkommen mit einiger Verspätung und einer den Investor-Schutz einschränkenden Zusatzerklärung ratifizierte, bestand kurz Zuversicht. Womöglich war nun der Knoten endlich durchschlagen, und die restlichen Skeptiker wie Frankreich, Italien, Griechenland und Belgien würden nachziehen. Doch das Provisorium wird nach Einschätzung in Kanada von Dauer sein. 

„Es bleibt vermutlich in der Schwebe“, schätzt Jason Langrish. Der Zankapfel Schiedsgerichte habe überproportional viel Bedeutung in der öffentlichen Diskussion erlangt.

Als Vorsitzender des Canada Europe Roundtable vertrat Langrish die Interessen von Industrieunternehmen bei den Ceta-Verhandlungen. Der Roundtable war 1999 im Rahmen der sich vertiefenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Kanada gegründet worden. Seine Mitglieder, Führungskräfte multinationaler Unternehmen, gaben Politikempfehlungen zur Ausweitung des Handels. 

Mitglieder der kanadischen Regierung wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Von der jüngsten Sitzung des Gemeinsamen Ceta-Ausschusses im Dezember, wurden nun allerdings einige Inhalte auch zum Thema Schiedsgerichte bekannt. Die kanadischen Vertreter, unter ihnen auch Handelsministerin Mary Ng, erkannten demnach die Bedeutung an, die eine Klärung strittiger Fragen für die EU und ihre Mitgliedstaaten hat.

Sie sicherten eine konstruktive Zusammenarbeit zu, verwahrten sich jedoch dagegen, dass Interpretationen zu mehr Konfusion als Klarheit führen könnten. Zusätze im Abkommen, die ein Vertragsänderungsverfahren mit dem Zwang zur erneuten Ratifizierung in allen Parlamenten nach sich ziehen würde, schlossen sie strikt aus. 

Abkommen spricht von „indirekten Enteignungen“

Das ist jedoch genau das Problem. Der EU-Kommission geht es nun nachträglich wie der Bundesregierung um die im Ceta-Abkommen verankerten Standards der „fairen und billigen Behandlung“ von Investoren sowie deren Schutz vor „indirekter Enteignung“.

Nach übereinstimmender Auffassung mehrerer Juristen ist die Zusatzerklärung, die vor allem Abgeordneten der Grünen im Bundestag die Zustimmung zur Ratifizierung erlaubte, rechtlich völlig unwirksam. „Kurz gesagt steht in diesem Text nichts, was Kritiker besänftigen oder legitime Sorgen bezüglich Ceta und anderen Investitionsabkommen abmildern könnte,“ formuliert es J. Benton Heath in einer Stellungnahme für die Grünen-Fraktion im EU-Parlament. Der Assistant Professor an der Law at Temple University in Philadelphia betrachtet die Hindernisse für einen ökologischen Wandel als „systemisch und tief in der Struktur von Abkommen wie dem Ceta-Investitions-Kapitel verankert.“

Ein weiteres Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltinstituts in München kommt zu dem Schluss, dass die Regelungen der Handelsagenda der Bundesregierung widersprechen. Die Regierung setze nämlich auf Investitionsabkommen, die den Investitionsschutz für Unternehmen im Ausland wörtlich „auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren“. Die missbräuchliche Anwendung des Instruments – auch bei noch ausstehenden Abkommen – wolle sie verhindern. 

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Das Abkommen spricht aber eindeutig auch von „indirekten Enteignungen“. Gegen eine solche indirekte Enteignung klagte beispielsweise 2009 der Energiekonzern Vattenfall wegen besonders strenger wasserrechtlicher Auflagen beim Betrieb des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg. Schadenersatz erhielt der Konzern nicht. Indirekte Enteignungen gibt es nach deutschem Recht nämlich nicht. 

Bilateraler Handel um 30 Prozent gestiegen

Der Gemeinsame Ceta-Ausschuss von EU und Kanada hat sich aber mitnichten den Wunsch der Bundesregierung zu eigen gemacht und die deutsche Interpretations-Formel entsprechend übernommen. Kann er auch gar nicht, betonten die Juristen: „Der Gemeinsame Ausschuss kann zwar in bestimmten Fällen Protokolle und Anhänge des Abkommens ändern, dies gilt allerdings ausdrücklich nicht für den Bereich des Investitionsschutzes. Eine entsprechende Erklärung würde also – weil sie die potentiell geschädigten Investoren belastet – mit hoher Wahrscheinlichkeit von Ceta-Schiedsgerichten, die an den Vertragstext gebunden sind und diesen auslegen müssen, nicht beachtet werden.“

Wenn die Bundesregierung Änderungen wolle, sei dies nur mit einem Vertragsänderungsverfahren möglich, heißt es weiter. Das aber würde bedeuten, dass die Vertragsstaaten sich zunächst schriftlich einigen und dann erneut die jeweiligen nationalen Ratifizierungsprozesse durchlaufen müssen. Was Kanada ausschließt.

Ludwig Essig, Handelsreferent am Umweltinstitut, ist entsprechend verärgert: Die Untersuchungen der Völkerrechtler zeigten deutlich, dass die Interpretationserklärung „nur als Vorwand diente, die Grüne Fraktion zur Zustimmung zu Ceta zu bewegen. Ganz offensichtlich wurde hier sowohl der Bundestag als auch die die Öffentlichkeit getäuscht, um die Ratifizierung von Ceta voranzutreiben.“

Eine Neuverhandlung steht außer Frage. Mit dem Schwebezustand scheinen beide Seiten allerdings ganz gut leben zu können. So wie deutsche Unternehmer hier zu Lande wie auch in Kanada hervorheben, dass es kaum mehr Zölle auf Industriegüter gebe, dafür aber einen deutlich besseren Zugang zum kanadischen Markt und weniger Kosten für den Mittelstand durch gemeinsame Regeln, lobt auch Langrish die Vorteile: Ceta habe Kanada weniger abhängig vom mächtigen Nachbarn USA gemacht. Beim jüngsten Treffen des Gemeinsamen Ausschusses wurden Zahlen genannt. Der bilaterale Handel sei in den vergangenen fünf Jahren um gut 30 Prozent gestiegen. 

Das Handelsvolumen betrug zuletzt 60,7 Milliarden Euro. Nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums ist besonders intensiv der Warenhandel von Maschinen, pharmazeutischen Produkten, landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Rohstoffen und Fahrzeugen beziehungsweise Fahrzeugteilen. Auf Deutschland bezogen belief sich das Warenhandelsvolumen mit Kanada demnach im Jahr 2021 auf 14,5 Mrd. Euro. Dies entspreche einem Anstieg von 11,5 Prozent im Vergleich zur Situation vor Beginn der vorläufigen Anwendung von Ceta.

Urteil war bereits für Ende 2022 geplant

In Rumänien erwarten derweil alle Beteiligten mit Spannung das Urteil des Schiedsgerichts. Ursprünglich war es bereits für Ende 2022 angekündigt worden. Nun kann es jeden Tag soweit sein.

Das kanadische Unternehmen Gabriel Resources hat zwar keine Erfahrung mit so komplizierten Bergbauprojekten, für die vier Berge pulverisiert und drei Dörfer umgesiedelt werden müssten. Hochgiftiges Zyanid soll das Gold aus dem Gestein lösen, der Abraum anschließend in einem benachbarten Tal gelagert und durch einen 185 Meter hohen Damm gesichert werden.

Der rumänisch-australische Firmen-Gründer Frank Timiş ist womöglich ein ehemaliger Mitarbeiter von Diktator Nicolae Ceauşescus Geheimdienst Securitate, sicher aber ein in Australien verurteilter Heroindealer. 

Man munkelt, dass Korruption im Spiel war, als er Ende der 90er Jahre die Lizenz zur Ausbeutung der Mine erhielt. Den rumänischen Staat beteiligte Timiş mit 20 Prozent. Weil schon die Römer hier Stollen tief in die Erde bohrten auf der Suche nach Edelmetall, hatte jedoch der Antrag der amtierenden Regierung bei der Unesco Erfolg: Roșia Montană ist seit 2021 Weltkulturerbe.

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