G20-Gipfel China: Diese 3 Grafiken offenbaren Deutschlands Abhängigkeit

Seit zwei Jahrzenten ist China die treibende Kraft der Weltwirtschaft. Quelle: imago images

In den vergangenen Jahren hat die Abhängigkeit Deutschlands vom Chinageschäft massiv zugenommen. Dagegen helfen keine Appelle von Politikern, sondern nur die Kräfte des Marktes. 

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750 Jahre ist es her, dass Marco Polo, Spross einer venezianischen Kaufmannsfamilie, zu seiner berühmten Reise nach Asien aufbrach. Erst ein knappes Vierteljahrhundert später kehrte er voll von Eindrücken vom exotischen Leben in Fernost in seine Heimatstadt Venedig zurück. So lange wie Marco Polo wird Olaf Scholz nicht in Asien verweilen. Dank der modernen Transportmittel düst Deutschlands Regierungschef in diesen Tagen binnen weniger Stunden durch mehrere asiatische Länder, trifft in Hanoi den vietnamesischen Ministerpräsidenten, spricht in Singapur zu Konzernchefs und konferiert in Bali mit den Regierungschefs der G-20-Länder. 

Auf der indonesischen Ferien- und Surferinsel geht es an diesem Dienstag um die große Weltpolitik, um den Krieg in der Ukraine und den Zustand der globalen Wirtschaft. Während diese noch unter dem Krieg Russlands gegen die Ukraine leidet, wachsen im Westen die Sorgen über den nächsten schwarzen Schwan, der das Weltgeschehen aus den Angeln heben könnte. Beobachter verorten ihn in China. 

Das Reich der Mitte fordert den Westen seit längerem mit der ostentativen Demonstration seiner Macht heraus – technologisch, wirtschaftlich und militärisch. Das Horrorszenario in den westlichen Hauptstädten ist ein Überfall Chinas auf Taiwan. Es wäre der casus belli wohl auch für die USA. Europa könnte in den militärischen Konflikt ebenfalls hineingezogen werden. Zumindest käme es zu einem Wirtschaftskrieg, gegen dessen destruktive Wirkungen sich der Ukraine-Feldzug Russlands wie ein Kindergeburtstag ausnähme. 

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Die deutschen Autorhersteller hängen am Tropf Chinas

Seit zwei Jahrzehnten ist China die treibende Kraft der Weltwirtschaft. Der rasante Aufstieg des Landes, seine Öffnung für ausländische Investoren und die Einbindung in die internationale Arbeitsteilung haben Wohlstand in China geschaffen und ihn im Westen vermehrt. 

Allen voran Deutschland mit seiner hohen Exportquote und Konzentration auf hochwertige Investitionsgüter hat von der hohen Nachfrage aus China nach Maschinen, Autos und Anlagen profitiert. Lenkte Deutschland Anfang des Jahrtausends gerade einmal 1,6 Prozent seiner Exporte nach China, waren es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 7,1 Prozent. 



Die deutschen Automobilhersteller hängen geradezu am Tropf Chinas. 2021 lieferten sie Autos und Autoteile für 26,7 Milliarden Euro in das fernöstliche Land. Sollten sich die Abkoppelungstendenzen Chinas vom Westen fortsetzen oder China gar Taiwan überfallen und der Westen mit Sanktionen reagieren, hinterließe dies üble Bremsspuren in den Bilanzen der deutschen Autokonzerne. So verkauft VW 37 Prozent seiner Fahrzeuge in China. Bei Mercedes und BMW rollt jedes dritte verkaufte Auto in China vom Hof.

Auch wenn China insbesondere bei E-Autos die deutschen Hersteller bereits überholt hat und der Anteil deutscher Hersteller auf dem chinesischen Markt in den vergangenen fünf Jahren von 25 auf 17 Prozent geschrumpft ist, bleibt der chinesische Markt für Deutschlands Autokonzerne vorerst unverzichtbar. 

Kein arbeitsmarktpolitisches Armageddon

Auch die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, die Hersteller von Prüf- und Messinstrumenten sowie die Pharma- und Medizinindustrie erwirtschaften einen großen Teil ihrer Gewinne in China. Allerdings heißt das nicht, dass ein Einbruch des Chinageschäfts Massenarbeitslosigkeit hierzulande nach sich zöge. „Gerade einmal rund drei Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland hängen direkt und indirekt vom Export von Waren und Diensten nach China ab“, sagt Jürgen Matthes, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Das ist kein Pappenstiel, aber auch kein Grund für ein arbeitsmarktpolitisches Armageddon. 

Ausgeprägter als beim Export ist die Abhängigkeit Deutschlands vom Chinageschäft auf der Einfuhrseite. Rund 13 Prozent aller Importe nach Deutschland stammen aus China. Mit einem Einfuhrwert von 143 Milliarden Euro ist China der wichtigste ausländische Lieferant für deutsche Unternehmen und Konsumenten. Weit vor den Niederlanden, die mit einem Lieferwert von 105 Milliarden Euro auf dem zweiten Platz folgen. Auf Rang drei finden sich die USA mit einem Importwert von 72 Milliarden Euro. „Die deutsche Wirtschaft“, sagt Matthes, „ist sehr viel abhängiger von China als umgekehrt“.



Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fordert die deutschen Unternehmen denn auch immer wieder dazu auf, ihre Bezugs- und Absatzmärkte regional stärker zu diversifizieren statt allein auf China zu setzen. Bei mittelständischen Firmenlenkern scheint er durchaus auf offene Ohren zu stoßen. Nicht so jedoch bei den großen Konzernen. Die Diversifizierung sei keine Sache von wenigen Jahren, sondern von Jahrzehnten, heißt es in den Konzernzentralen. Und so sind die aus Deutschland stammenden Direktinvestitionen in China in den ersten sechs Monaten dieses Jahres weiter munter gestiegen. Mit 10 Milliarden Euro überschritten sie die Direktinvestitionen in allen Gesamtjahren seit 2000. 

Mehr Transparenz über geopolitische Klumpenrisiken

Der anhaltende Boom bei den Direktinvestitionen reflektiert das Bestreben der Unternehmen, einen möglichst großen Teil der Wertschöpfung vor Ort in China zu generieren. Der Grund dafür dürfte nicht allein der riesige chinesische Absatzmarkt sein. Es sind auch Push-Faktoren, die die Unternehmen von Deutschland nach Fernost treiben: die aus dem Ruder laufenden Energiekosten, die extrem hohen Steuern und die immer restriktivere Umweltbürokratie hierzulande. 



Mancher Konzernlenker dürfte darauf bauen, dass die Bundesregierung große Unternehmen im Krisenfall nicht einfach über die Wupper gehen lässt. Sollte etwa durch einen Einmarsch Chinas in Taiwan das Geschäft der großen deutschen Autokonzerne in China zerbröseln, dürfte die Bundesregierung nicht lange zögern, mit Rettungsmilliarden auf Kosten der Steuerzahler herbeizueilen. 

Um dem vorzubeugen und die Unternehmen zu mehr Risikobewusstsein zu disziplinieren, fordert IW-Ökonom Matthes, die Unternehmen zu mehr Transparenz über ihre geopolitischen Klumpenrisiken in der Bilanzberichterstattung zu verpflichten. Zudem sollten die Unternehmen für den Risikofall Notfallpläne erarbeiten. Rating-Agenturen könnten dann auf Basis dieser Informationen die Risikostruktur der Unternehmen besser einschätzen und Anleger diese Informationen in ihre Renditeforderungen einbeziehen.

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So könnten die Mechanismen des Marktes genutzt werden, um die Unternehmen zu risikobewusstem Verhalten mit Blick auf das Chinageschäft zu veranlassen. Lange Reden und Apelle deutscher Politiker vor Unternehmern auf Asienreisen wären dann überflüssig.  

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