Für die chinesische Staatszeitung „Global Times“ ist völlig klar, dass die hohe Inflation die USA noch lange beschäftigen wird. „Es ist jetzt an der Zeit, dass die Amerikaner über sich selbst nachdenken“, schrieb das Blatt vor einigen Tagen in einem Kommentar zur Preisentwicklung beim Klassenfeind. „Ohne Reflexion und politische Umkehr wird die US-Wirtschaft in noch größere Schwierigkeiten geraten.“ So klingt Schadenfreude auf Chinesisch.
Dass die US-Inflationsrate im Juni mit 9,1 Prozent den höchsten Stand seit 40 Jahren erreichte, ist für die Führung in Peking ein Beleg dafür, wie rasant es mit der noch größten Volkswirtschaft wegen der angeblich miserablen Wirtschaftspolitik Washingtons bergab geht. In Europa sieht es nicht besser aus: Dort lag die Inflation im Juni bei 8,6 Prozent.
China ist in der Tat von solch massiven Preisanstiegen verschont geblieben. Im Juni lag der chinesische Konsumentenpreisindex (CPI) 2,5 Prozentpunkte höher als im Vorjahr. Das ist zwar ebenfalls der höchste Stand seit zwei Jahren – im Vergleich zum Westen fallen die Preisanstiege aber moderat aus.
Dafür, dass die Inflation dort kräftig zugelegt hat, machen Ökonomen eine ganze Reihe von Gründen aus. Einerseits führen sie die extrem lockere Geldpolitik der Notenbanken an, die durch ihre Maßnahmen die Wirtschaft in vergangenen Krisen stets am Laufen hielt.
Zudem sind während der Coronapandemie die globalen Frachtkosten massiv in die Höhe geschossen. Sowohl Europa als auch die USA mussten zuletzt vor allem für Importe aus China deutlich höhere Kosten hinnehmen. Erst fehlte es an Containern, dann herrschte wegen der strengen chinesischen Null-Corona-Politik Chaos in den Häfen von Tianjin bis Shenzhen.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Obendrauf zahlen die Amerikaner auch wegen der gegen China verhängten Strafzölle mehr an der Kasse. US-Präsident Joe Biden hat in den letzten Wochen immer wieder offen mit der Idee gespielt, die von Donald Trump verhängten Zölle zumindest teilweise zurückzunehmen, um die Inflation abzukühlen. In China hört man das gerne. Doch schon hat der Westen wegen des Krieges in der Ukraine mit weiteren Preisanstiegen vor allem für Energie und Nahrung zu kämpfen.
China setzt auf günstige Energie aus Russland
Auf die chinesische Inflationsrate wirken sich all diese Faktoren nur eingeschränkt aus. Die Zentralbank in Peking ging in den vergangenen Jahren mit größerer Zurückhaltung vor. Und extrem hohe Seefrachtkosten fallen natürlich auch nicht an, wenn chinesische Fabriken den Binnenmarkt beliefern. Der Krieg in der Ukraine treibt zwar auch in China die Preise für Energie. Da sich Peking jedoch weder an einem Öl- noch an einem Gas-Boykott gegen Moskau beteiligt, kann es dort weiterhin vergleichsweise günstig einkaufen.
Doch eine größere Rolle spielt die wirtschaftliche Schwäche im eigenen Land. Vor allem die harten Corona-Maßnahmen haben dazu geführt, dass die chinesische Wirtschaft im zweiten Quartal kaum noch gewachsen ist. In der Krise ist den Chinesen die Lust am Shoppen vergangen. Der schwache Binnenkonsum bremst somit auch die Preisanstiege aus.
Wie China die Inflationsrate berechnet
Zum Teil hängt die geringere Inflation aber auch mit statistischen Unterschieden zusammen. So verwendet China einen anders zusammengesetzten Warenkorb für die Berechnung der Inflationsrate. Während das chinesische Statistikamt Kleidung und Lebensmitteln mehr Gewicht beimisst, legen die USA mehr Gewicht auf Wohnkosten und Transport, die mehr von den Energiepreisen abhängen. Besonders der Preis für Schweinefleisch spielt bei der Berechnung der chinesischen Inflation traditionell eine große Rolle.
Laut Schätzungen macht er allein 2,4 Prozent des chinesischen Warenkorbs aus. Und hier zeigt sich ein Sondereffekt. Noch kurz bevor im Winter 2020 die Coronapandemie begann, gab es in China nur ein Thema: Die Schweinepest.
Landesweit mussten Millionen Tiere getötet werden, um die Krise in den Griff zu kriegen. Die Preise schossen extrem in die Höhe. Langsam konnten die Landwirte ihre Bestände wieder füllen – bis es zuletzt wieder ein Überangebot an Schweinen gab. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres sind die Preise für Schweinefleisch nun um 37 Prozent gefallen. Ein klassischer Schweinezyklus.
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