Konjunkturexperte „Der Lockdown ist nicht die einzige Ursache für den konjunkturellen Einbruch“

Der Hamburger Hafen während des Lockdowns. Quelle: dpa

Der Ökonom Gunther Schnabl über die volkswirtschaftlichen Nebenwirkungen der Pandemie – und die Hoffnungen auf einen baldigen Exit.

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In der vergangenen Woche hat Gunther Schnabl an der Universität Leipzig seine erste Vorlesung im neuen Sommersemester abgehalten – online via Zoom. In Zeiten von Corona eine ganz neue Erfahrung für den Professor und seine Studierenden. Nicht alltäglich war auch das, was am vergangenen Mittwoch mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizierten: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt werde wegen der Krise 2020 um 4,2 Prozent einbrechen. Im Interview erklärt der 53-jährige Experte für Geld und Währungen, was er davon hält.

Herr Schnabl, die Gemeinschaftsdiagnose der großen Forschungsinstitute klingt vergleichsweise optimistisch angesichts der Vergleiche der Corona-Pandemie mit der Großen Depression und der Finanzkrise. Die Ökonomen gehen von minus 4,2 Prozent Wachstum in diesem Jahr aus. Ist das realistisch?
Die Diagnose erfolgt unter schweren Bedingungen und ist unweigerlich mit hoher Unsicherheit behaftet. Man muss jedoch bedenken, dass nicht nur der Lockdown die Ursache für den konjunkturellen Einbruch ist.

Was denn noch?
Der ifo-Geschäftsklimaindex hatte bereits seit 2019 auf eine Rezession hingedeutet. Zudem hatte sich ausgehend von den Repo-Märkten in den USA, an dem sich Banken über Nacht mit frischem Geld versorgen, seit Dezember 2019 eine neue Finanzkrise abgezeichnet. Geht man von einer dreifachen Krise aus – Lockdown, konjunktureller Abschwung, globale Finanzkrise –, dann könnte es noch deutlich stärker nach unten gehen. Allerdings sind die ökonomischen Entwicklungen und Meldungen derzeit noch erratischer als sonst. Es wird dauern, bis sich eine klare Entwicklung herauskristallisieren wird.

Gunther Schnabl, 53, ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. Quelle: PR

Die Institute legen ihrer Prognose einen fünfwöchigen Lockdown von Mitte März bis Mitte April zugrunde. Müssen wir nicht davon ausgehen, dass sich die Zeit des Stillstands verlängern wird?
Ich gehe davon aus, dass der Ausstieg aus dem Lockdown bald erfolgen wird. Denn die Bürger verlieren die Geduld und die gesamtwirtschaftlichen Kosten steigen. Nicht alle Maßnahmen sind zielführend und die neu gemeldeten Infektionszahlen scheinen abzuflachen.

Welche Maßnahmen halten Sie konkret für fragwürdig?
Die Freizügigkeit der Bürger sollte nicht eingeschränkt werden, wenn sich daraus keine Infektionsgefahren ergeben. Eine Fahrt mit dem Auto an die Küste ist in dem Sinne unbedenklich. Geschäfte, Restaurants und Hotels können unter bestimmten Abstandsregeln wieder öffnen. Unternehmen könnten ihre Produktion und Büroarbeit in einem Zweischichtbetrieb wieder aufnehmen.

Wird sich der Lockdown auf die Preise auswirken?
Ja. Kurzfristig besteht aufgrund der Kaufzurückhaltung der verunsicherten Konsumenten eher ein Deflationsdruck. Viele bereits produzierte Güter wie Autos werden nicht verkauft, so dass die Preise fallen. Allerdings ist in einzelnen Marktsegmenten auch Preisdruck nach oben sichtbar. Die Lebensmittelgeschäfte haben zwar meist nicht die Preise erhöht, aber es gibt deutlich weniger Sonderangebote. Manche Produkte wie Hefe sind ausverkauft und sind nur deutlich teurer im Internet zu haben.

Und längerfristig?
Längerfristig dürfte die Inflation zunehmen. Denn das Angebot an Gütern und Dienstleistungen ist wegen der Schließungen und stillstehender Produktionen gesunken. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird zugleich über den Lockdown hinaus eine immense Menge neuer Liquidität in die Märkte geben. Allein dies wird zu mehr Inflation führen. Die Frage ist nur, wo und wann.

Wegen ihrer Abhängigkeit von China, wo das Corona-Virus Ende 2019 ausgebrochen ist, denken viele Firmen darüber nach, Lieferketten zu diversifizieren oder wieder in Europa zu produzieren. Was bedeutet das volkswirtschaftlich?
Die Konsumentenpreise würden steigen, wenn internationale Lieferketten unterbrochen und Güter oder Vorprodukte wieder im Inland produziert werden müssten. Das träfe auch zu, wenn etwa die Produktion von Medikamenten ins Inland zurückgeholt würde, um die Versorgung sicherzustellen. So wie lange Zeit die Verlagerung der Produktion ins Ausland die Inflation tiefgehalten hat, würde die Rückverlagerung von Produktion zu höheren Inflationsraten führen.

In der Finanzkrise vor gut zehn Jahren stiegen in Reaktion auf die geldpolitische Krisentherapie der Notenbanken nicht die Preise für Konsumgüter, sondern die Vermögenspreise. Erwarten Sie, dass das jetzt wieder passiert?
Ja, das ist möglich. Die Aktienkurse in den USA steigen bereits wieder. Bei den Immobilien wird zumindest kein Rückgang erwartet. Allerdings könnte das Vertrauen in bestimmte Anlageklassen verloren gehen. Aktien könnten leiden, weil Unternehmen teilverstaatlicht werden. Das hätte einen negativen Einfluss auf deren Leistungsfähigkeit. Immobilien, das bisherige Betongold, könnten als Anlageform an Attraktivität verlieren, da Mieten staatlich kontrolliert werden. Die Wahrscheinlichkeit von Mietausfällen steigt.

Und was ist mit Edelmetallen oder Kryptowährungen?
Die erneute immense Ausweitung der EZB-Bilanz könnte dazu führen, dass das Vertrauen in das Geldsystem schwindet. Wir beobachten bereits eine starke Kapitalflucht aus dem Eurogebiet in die USA. Dann dürfte der Gold- und Bitcoin-Preis in Euro weiter stark steigen. Im Extremfall könnten auch haltbare Konsumgüter als „neue Währung“ angesehen werden. Die Hamsterkäufe sind ein erstes Indiz dafür. Die lange verschwundene Konsumentenpreisinflation wäre zurück.

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