Aus und vorbei. Die Zeiten, in denen die deutsche Wirtschaft mit hohen Wachstumsraten ein ums andere Mal überraschte, gehören vorerst der Vergangenheit an. Das hat nun auch die Bundesregierung eingesehen – und ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,0 auf 0,5 Prozent halbiert. Damit reiht sie sich sogar deutlich unter die Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute und des Sachverständigenrats ein, die beide ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,8 Prozent erwarten.
Das konjunkturelle Understatement der Regierung hat nicht nur ökonomische Gründe. Zwar haben Aufträge, Produktion und Exporte in den vergangenen Monaten enttäuscht, ihr Trend ist nach unten gerichtet. Doch wichtige Stimmungsindikatoren haben zuletzt Anlass zur Hoffnung gegeben, dass sich die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte zum Besseren wenden könnte. Insofern hätte die Bundesregierung durchaus die Wachstumsprognose der führenden Wirtschaftsinstitute von 0,8 Prozent übernehmen können, so wie sie es in der Vergangenheit meist getan hat.
Dass sie diesmal nach unten davon abweicht, hat vor allem polit-ökonomisch Gründe. Die Wachstumsprognose der Regierung ist die Grundlage für die in den nächsten Wochen anstehende Steuerschätzung durch die Vertreter von Instituten, Sachverständigenrat, Ländern und Kommunen. Die Steuerschätzung wiederum legt den Verteilungsspielraum für die Ausgabenwünsche der einzelnen Ministerien fest.





In den vergangenen Boom-Jahren haben sich die Ressortchefs daran gewöhnt, ihre Ausgabenwünsche lediglich anmelden zu müssen. Frei nach dem Motto: Geld ist dank der guten Konjunktur für jeden und alles da, auch für fragwürdige Projekte.
Jetzt, da der Konjunktur die Puste ausgeht, droht aus dem Strom der Steuereinnahmen ein kleines Bächlein zu werden. Um die Ausgabenwünsche der Kabinettskollegen in Schach zu halten, ergibt es aus Sicht des Finanzministers Sinn, die Wachstumsprognose und somit die zu erwartenden Steuereinnahmen möglichst niedrig anzusetzen. Im Juli will die Bundesregierung den Haushalt für das nächste Jahr verabschieden, im Herbst legt sie ihn dem Bundestag vor.
Die Halbierung der Wachstumsprognose von 1,0 auf 0,5 Prozent führt dazu, dass allein im Bundeshaushalt rechnerisch zwei bis drei Milliarden Euro an Steuereinnahmen fehlen, schätzt Eckart Tuchtfeld, finanzpolitischer Experte der Commerzbank. Der Staat insgesamt (Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen) muss sich sogar auf Einnahmenverluste von rund zehn Milliarden Euro einstellen.
Gemessen an der Steuerschätzung von Ende Oktober 2018, als die Bundesregierung noch ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent unterstellte, „muss der Bund sogar auf fünf Milliarden Euro an Einnahmen verzichten“, sagt Tuchtfeld. Für den Staat insgesamt entsteht im Vergleich zur alten Steuerschätzung ein Minus bei den Einnahmen von 15 bis 16 Milliarden Euro.
Für Bundesfinanzminister Olaf Scholz sind solche Zahlen handfeste Argumente, mit denen er die Begehrlichkeiten seiner Kabinettskollegen abwehren kann. Fragt sich nur, ob er die Zahlen auch gegen seinen Parteigenossen, Arbeitsminister Hubertus Heil, ins Feld führt. Dessen Lieblingsprojekt einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung droht den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung in den nächsten Jahren massiv in die Höhe zu treiben und zu einer milliardenschweren Belastung für die Steuerzahler zu werden.
Olaf Scholz kann nun zeigen, ob ihm das Wohl der Steuerzahler oder die Parteiräson wichtiger ist.