Ungerechte Preissteigerung Inflation steigt stark an, belastet aber vor allem eine Gruppe

Inflation steigt an, vor allem eine Gruppe ist stark belastet Quelle: dapd

Die Inflation ist im Mai erstmals wieder über zwei Prozent gestiegen. Angesichts der Nullzinsen verlieren die Deutschen also noch mehr Geld als ohnehin schon. Dabei leidet eine Gruppe besonders stark.

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Es wird eng für den klassischen deutschen Sparer. Noch enger als ohnehin schon, auch wenn viele sich das wohl kaum vorstellen können. Der Nullzins ist längst zur ungeliebten Konstante geworden und mit ihm die Zinsleere auf dem eigenen Konto. Daran dürfte sich auch vorerst nichts ändern: Die Europäische Zentralbank hat heute erneut keine Zinsänderung verkündet. Stattdessen bewegt sich etwas am anderen Ende der Skala – und sorgt dafür, dass die gefürchtete Enteignung der Sparer noch einmal an Fahrt aufnimmt: die Inflation.

Im Mai sprang die Inflationsrate in Deutschland um 0,6 Prozent auf 2,2 Prozent. Wer sein Geld auf einem Giro- oder Tagesgeldkonto liegen lässt, würde so also 2,2 seines Ersparten verlieren. Selbst bei den besten Festgeldangeboten lag der Verlust noch bei mindestens einem Prozent.

Solche Rechnungen sind freilich rein theoretisch. Die Inflation bildet immer nur den Durchschnittswert eines Warenkorbes ab, einzelne Produkte können deutlich stärker teurer geworden sein – oder sogar günstiger. Je nach dem, wofür ein Mensch sein Geld ausgibt, wird er mehr oder weniger stark von der Inflation getroffen. Dieser Effekt ist jedoch nicht rein individuell, sondern spielt sich entlang gesellschaftlicher Linien ab. Das haben zwei Wirtschaftswissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt nun in einer Studie herausgefunden, die den bezeichnen Titel „Pro-Rich Inflation in Europe“ trägt, reichenfreundliche Inflation in Europa.

Fast 80 Prozent der Deutschen zählen sich zur Mittelschicht. Der Staat sieht das an sich ähnlich, definiert jedoch übers Steuersystem einen Teil der Mitte um zur Oberschicht.
von Kristina Antonia Schäfer

Die Kernaussage: Reiche und arme Menschen geben ihr Einkommen für unterschiedliche Sachen aus. Die Dinge, die Arme kaufen, sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker im Preis gestiegen als die der Reichen. Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen leiden also in Realität unter einer viel höheren Inflation als Reiche.

Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler zunächst, wofür die untersten und die obersten zehn Prozent der Bevölkerung in 25 EU-Ländern im Schnitt ihr Geld ausgeben. Dann analysierten sie, wie sich der Preis dieser Warenkörbe zwischen 2001 und 2015 verändert hat.

Das Ergebnis: Der Warenkorb der Armen stieg deutlich stärker im Preis als der Durchschnitt. So lag die generelle Inflation europaweit bei 44,7 Prozent, die Armen mussten jedoch einen Preisanstieg von 55,2 Prozent verkraften. Der Effekt war in Deutschland mit 4,6 Prozent Unterschied deutlich weniger stark ausgeprägt als im EU-Schnitt, aber klar nachweisbar.

Grund für die Ungleichheit ist, dass ärmere Menschen einen großen Teil ihres Einkommens für Wohnen, Essen und Transport aufwenden. Diese Dinge sind im Zeitraum der Untersuchung besonders stark im Preis gestiegen. So wurden Lebensmittel um 48 Prozent teurer, Strom um 106 Prozent und Wasserversorgung sogar um 138 Prozent. Güter, die tendenziell eher wohlsituiertere Menschen kaufen, stiegen hingegen deutlich weniger stark als die durchschnittliche Inflation. So wurden etwa Angebote im Bereich Freizeit und Kultur lediglich um 15 Prozent teurer.

Derselbe Trend zeigt sich aktuell, wenn man tiefer in den Warenkorb der deutschen Mai-Inflationszahlen blickt. Haupt-Preistreiber im Mai war die Energie, die sich um 5,1 Prozent verteuerte. Auch Lebensmittel stiegen mit 3,5 Prozent deutlich stärker als der Schnitt von 2,2 Prozent. Gurken, Salat und Butter wurden sogar um weit über 30 Prozent teurer, während PC-Software und Damenbekleidung im Preis fielen.

Dass es hier um mehr als bloße Preisentwicklungen geht, verdeutlicht der sogenannte Gini-Koeffizienten, der die Ungleichheit einer Gesellschaft misst. Je höher der Gini-Wert, desto höher ist das Risiko sozialer Unruhen in einer Gesellschaft. Noch ist in Europa kein kritischer Wert erreicht, doch der Gini-Koeffizient wächst seit Jahren - und die Preissteigerung hat daran offenbar einen entscheidenden Anteil: Im Untersuchungszeitraum 2001 bis 2015 verdoppelte sich sein Anstieg den Forschern zufolge alleine wegen der Inflation. Die ungleiche Entwicklung könnte also noch für Sprengstoff sorgen.

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