Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Inflation gekommen ist, um zu bleiben, so haben ihn die jüngsten Preisdaten aus Amerika erbracht. Im September stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem Vormonat um 0,4 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat müssen die US-Bürger nun 8,2 Prozent mehr für ihre Einkäufe auf den Tisch legen. Zwar lag die Teuerungsrate damit leicht unter dem Augustwert von 8,3 Prozent. Allerdings war dies in erster Linie auf die volatilen Benzinpreise zurückzuführen, die sich im Berichtsmonat parallel zum Weltmarktpreis für Öl ermäßigt hatten.
Dass der unterliegende Preisdruck in den USA weiterhin sehr hoch ist und sogar noch zunimmt, zeigt die Kernrate des Verbraucherpreisindex. Sie misst die Teuerung ohne die volatilen Preise für Energie und Nahrungsmittel. Im September kletterte die Kernrate auf 6,6 Prozent, das höchste Niveau seit 40 Jahren. Für US-Präsident Joe Biden und die Demokraten, die den Bürgern versprochen haben, die Inflation mit zusätzlichen Staatsausgaben unter Kontrolle zu bringen, ist das so kurz vor den Kongresswahlen im November eine schlechte Nachricht.
Ein Grund für die Inflationspersistenz ist der anhaltende Aufwärtstrend der Mieten, die ebenso wie in Deutschland ein hohes Gewicht im Verbraucherpreisindex aufweisen. Auch die Preise für Dienstleistungen kennen derzeit nur eine Richtung: nach oben. Weil der Wettbewerbsdruck durch ausländische Anbieter bei Diensten im Vergleich zu handelbaren Waren gering ist, fällt es den Unternehmen in diesem Sektor leicht, die mit Raten von mehr als fünf Prozent kräftig steigenden Lohnkosten in den Preisen an die Kunden weiterzureichen.
Damit ist eingetreten, wovor sich die Notenbanker der Fed fürchten. Die Inflation hat sich verfestigt, hat sich in die Erwartungsbildung der Bürger und Unternehmen eingeschlichen und via Zweitrundeneffekten selbst beschleunigt. Für die Notenbank gibt es daher keine andere Wahl als die geldpolitischen Zügel weiter kräftig anzuziehen, will sie das Inflationsgespenst wieder in die Flasche verweisen, aus der sie es durch ihre viel zu lockere Geldpolitik hat entweichen lassen.
Die Staatsschulden engen den Spielraum der Fed ein
Die Teilnehmer an den Finanzmärkten rechnen daher für November mit einem erneuten Zinsschritt der Fed von 75 Basispunkten, dem im Dezember ein weiterer Anstieg um 50 Basispunkte folgen dürfte. Anfang nächsten Jahres werden die Leitzinsen mit rund fünf Prozent ihren Höhepunkt erreichen, erwartet die Mehrheit der Auguren.
Ob das reicht, die Inflation zu besiegen, ist allerdings fraglich. Denn um die Preiserwartungen der Bürger zu drehen und so der Inflation den Garaus zu machen, müssen die Zinsen nach Abzug der Inflation positiv werden. Die Inflation müsste im nächsten Jahr also nachhaltig unter die Marke von fünf Prozent rutschen. Das dürfte ohne eine Rezession, die den Arbeitsmarkt und damit den Lohnauftrieb deutlich abkühlt, kaum zu schaffen sein.
Ob Fed-Chef Jerome Powell den Mut hat, wie weiland sein Vorgänger Paul Volcker Anfang der Achtzigerjahre die Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen, um die Stabilität der Preise wieder herzustellen, muss sich erst noch zeigen. Damals lag die Schuldenquote des Staates bei etwa 40 Prozent. Das erleichterte es der Regierung, den Schuldendienst trotz der hohen Volcker-Zinsen von in der Spitze 20 Prozent zu finanzieren. Mittlerweile liegt die Staatsschuldenquote in den USA um fast 100 Prozentpunkte höher. Die Fed, die in den vergangenen Krisen zum Hauptfinanzier des Staates geworden ist, dürfte kaum Interesse daran haben, die Regierung durch allzu kräftige Zinserhöhungen in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben. Das spricht dafür, dass die Inflation den Amerikanern länger erhalten bleibt als die meisten Bürger es sich wünschen.
Lesen Sie auch: Die steigenden Preise schrumpfen die Löhne der Angestellten, zeigt unser großer Gehaltsreport 2022. Wer zahlt den besten Reallohn?