Volksabstimmung in der Schweiz Kann das „Vollgeld“ Kreditblasen verhindern?

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Auch in Deutschland Ableger der Vollgeldinitiative

Bis zur Finanzkrise 2008. Bis ein aufgepumptes Kreditsystem kollabierte und Staatsmilliarden flossen, um „systemrelevante“ Geldhäuser zu retten. Seither wurde viel reguliert, es entstanden neue Marktwächter wie die europäische Bankenaufsicht. Doch die meisten Ökonomen sind sich einig: Krisen komplett verhindern können die neuen Regeln und Aufseher nicht. Vor diesem Hintergrund sind Träume von der monetären Revolution verständlich. Auch in Deutschland gibt es inzwischen einen Ableger der Vollgeldinitiative.

„Das Anliegen, über alternative Geldsysteme nachzudenken, sollte man nicht verteufeln“, meint auch Hans Gersbach, Ökonomie-Professor an der ETH Zürich. Allerdings ist er sicher: „Die Einführung des Vollgeldsystems hätte drastische Folgen für das Schweizer Finanzsystem.“ So heißt es im Gesetzentwurf: „Der Bund allein schafft Münzen, Banknoten und Buchgeld als gesetzliche Zahlungsmittel.“ Entscheidend ist der Zusatz „und Buchgeld“. In der Realität dürften Banken also nur noch jene Mittel weiterverleihen, die ihnen Kunden explizit zur Verfügung stellen. Die Folgen für die Kreditvergabe und damit die Gewinne der Geschäftsbanken wären beträchtlich. Derzeit belaufen sich die Kredite der Banken in Europa und den USA auf rund das Hundertfache ihrer Einlagen. Vollgeld wäre daher „wie Sand im Getriebe unseres Kreditwesens“, warnt der Schweizer Notenbankpräsident Thomas Jordan. Die Banken könnten nicht mehr so umfangreich auf die Kreditnachfrage ihrer Kunden reagieren – was sich nachteilig auf den Konsum und die Investitionen auswirke.

Gängelung der Notenbank befürchtet

Vollgeldvorkämpfer Wüthrich, ein 32-jähriger Journalist, beeindruckt dieses Argument nicht. Wem nütze die gute Konjunktur, wenn ihr Preis in ein paar Jahren der Absturz sei? Beim Vollgeld seien die Einlagen der Kunden krisensicher. Sie lägen auf Konten bei der Zentralbank und könnten im Krisenfall nicht zur Sanierung der Banken verwendet werden. Ein Bank Run wäre ausgeschlossen.

Worüber Wüthrich weniger gern redet, sind die mutmaßlichen politökonomischen Kollateralschäden des Vollgelds. „Der Ruf nach Finanzierung von Projekten und Staatsausgaben über die SNB würde unweigerlich stärker“, warnt die Notenbank. Sie sieht ihre „unabhängige Geldpolitik“ und damit die Erfüllung ihres Mandats gefährdet. Sollte die Volksabstimmung pro Vollgeld ausgehen, wäre der Auftrag an die Notenbank, die Wirtschaft mit Geld zu versorgen, sogar in der Verfassung festgeschrieben – und hätte Vorrang vor dem klassischen Notenbankjob, für Preisstabilität zu sorgen. Wie gefährlich regierungsamtliche Einflussnahmen auf die Geldpolitik sind, dafür liefert die Geschichte viele drastische Beispiele. Die jüngsten stammen aus Venezuela und der Türkei.

Daher dürfte die größte Gefahr in einer Überforderung der Zentralbank liegen: Sie müsste sich der politischen Wünsche nach diskretionären Ausweitungen der Geldversorgung, etwa zur Bekämpfung von konjunkturellen Schwächephasen, erwehren. In den Achtzigerjahren hat sich die SNB schon mal an einer Geldmengensteuerung versucht. Das Ergebnis: eine Inflation über sechs Prozent und eine Blase am Immobilienmarkt.

Das Fazit von Ökonom Gersbach: „Ein kleines Land wie die Schweiz, dessen Banken multinational aufgestellt sind, ist als Experimentierfeld für geldpolitische Revolutionen ungeeignet.“

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