Globale Wette zum Start der IFA: Dieser Chip wird über die Zukunft von Intel entscheiden
Mit einer neuen, speziell für KI-Anwendungen optimierten Prozessorgeneration will der Chipkonzern verlorenes Terrain in der Computerwelt wieder zurückgewinnen.
Foto: REUTERSWer durch die Ausstellungshallen der Elektronikmesse IFA in Berlin schlendert, die in diesem Jahr ihr Hundertjähriges feiert und deren Kürzel nicht mehr für „Internationale Funkausstellung“ stehen soll, sondern für Innovation for All – Innovation für alle –, kommt an zwei Begriffen kaum vorbei: „Künstliche Intelligenz“, kurz „KI“, und „Intel“. Und in vielen Fällen hängt das eine sogar mit dem anderen zusammen.
KI ist allgegenwärtig
Tatsächlich ist KI allgegenwärtig: Sei es in Form eines kugeligen, zweirädrigen Haushaltsassistenten „AI Home Hub“, der auf dem Messestand des koreanischen Elektronikkonzerns LG als Mischung aus elektronischem Schoßhund und servilem Sprachassistenten durch die Gegend rollt und auf Ansprache das Licht dimmt oder Märchen erfindet und erzählt.
Sei es als „AI Taste Assistant“: eine App, die Nutzern vernetzter Samsung Kühlschränke auf Basis der darin gelagerten Lebensmittel und der persönlichen Fitnessbedürfnisse individualisierte Rezeptvorschläge macht. Sei es in neuen Hörgeräten des Herstellers Phonak, in denen mit Millionen von Soundmustern trainierte KI-Algorithmen menschliche Sprache klarer denn je aus dem Soundbrei der Umgebungsgeräusche destillieren.
Der LG AI Home Hub.
Foto: Thomas KuhnVor allem aber sind es neue Computer verschiedenster Hersteller, in denen sich KI-Funktionen finden. Ob Acer, Asus, Lenovo oder Samsung: Überall präsentieren die Produktverantwortlichen neue, für künstliche Intelligenz optimierte Laptops. Sogenannte Copilot-Plus-Computer, wie der Windows-Konzern Microsoft eine von ihm definierte neue Rechnergattung genannt hat.
Die Computer sind dank spezieller Chipsätze in der Lage, KI-Anwendungen nicht bloß besonders schnell, sondern auch lokal ohne Einschaltung der Cloud auszuführen. Und hier kommt Intel ins Spiel. Denn fast so prominent, wie einst das „Intel inside“-Logo auf High-End-Rechnern prangt auf dem Großteil der in diesen Tagen Berlin vorgestellten KI-Computer wieder ein Intel-Logo: „Core Ultra Prozessor 200V-Series“ steht da.
Hoffnungsträger Lunar Lake
Es ist der Name des jüngsten und speziell für KI-Anwendungen in PCs optimierten Hochleistungs-Chips, den der angeschlagene US-Chipkonzern kurz vor dem offiziellen Messestart in einem aus Berlin weltweit gestreamten Launch-Event offiziell vorgestellt hat. „Lunar Lake“, so der bisherige Codename der neuen Chipgeneration, ist der große Hoffnungsträger für Intel. Mit ihm will der Konzern wieder zu den Konkurrenten AMD und Qualcomm aufschließen, die dem langjährigen Branchen-Dominator in dem Segment zuletzt bei Leistungsfähigkeit oder Energieeffizienz enteilt waren.
Mit den neuen Chips will Intel – speziell im Zukunftssegment der KI-Computer – die technologische Führung zurückerobern. Und die IFA in Berlin soll dafür der Startschuss sein. Und vielleicht auch ein Hoffnungszeichen des Konzerns, der unter heftigen Verlusten leidet und dessen Pläne für den milliardenschweren Neubau einer riesigen Chipfabrik bei Magdeburg aktuell mindestens wackeln.
„Lunar Lake ist der schnellste, effizienteste und gemessen an der Leistung zugleich kühlste Prozessor, den Intel bisher entwickelt hat“, sagt Sonja Pierer, Diplom-Informatikerin und seit Ende Juni neue Geschäftsführerin von Intel in Deutschland. „Gegenüber dem Vorläufer braucht er bis zu 50 Prozent weniger Strom, bietet aber drei Mal so viel AI-Power wie der Vorgänger und knapp ein Drittel mehr Grafikleistung als die Generation zuvor“, schwärmt IT-Managerin Pierer im Interview zum IFA-Start.
25 Hardwarepartner machen mit
„Mit den neuen Lunar-Lake-Prozessoren hat Intel technologisch tatsächlich einen großen Sprung nach vorne gemacht und gerade für KI-Anwendungen auf PCs einen sehr wettbewerbsfähigen Chipsatz vorgestellt“, lobt auch Emmanuel Fromont, Präsident des Europageschäfts beim Computerhersteller Acer, nach der Vorstellung der ersten Acer-KI-Laptops mit Intels neuen Prozessoren in Berlin. Und steht mit dieser Einschätzung offensichtlich nicht allein: Mehr als 25 Hardwarepartner werden zur IFA oder kurz danach an die 100 neue KI-Computer mit Intels neuen Prozessoren auf den Markt bringen.
Mindestens so wichtig wie die deutliche Leistungssteigerung ist dabei, dass Intel überhaupt entsprechende Chipsätze anbieten kann. Denn als Microsoft in diesem Sommer erstmals seine neuen, besonders auf KI-Anwendungen ausgerichteten Copilot-Plus-PC auf den Markt brachte, kamen in den Geräten zunächst nur sogenannte Snapdragon-X-Chips des Herstellers Qualcomm zum Einsatz. Intel hatte zu dem Zeitpunkt seine Lunar-Lake-Prozessoren noch nicht fertig.
Qualcomm setzt bei seinen Prozessoren auf die Architektur des britischen Chipentwicklers Arm, ebenso wie der Computerbauer Apple, der zwischen 2020 und 2022 von Intel-Chips auf seine eigenen, ebenfalls Arm-basierenden Prozessoren gewechselt war und Intel damals erstmals heftig im PC-Geschäft unter Druck gesetzt hatte. Prozessoren auf Arm-Basis gelten als besonders energieeffizient, erlauben unter anderem längere Laufzeiten und sind daher auch im Smartphone-Bau weit verbreitet. Derweil waren Intels Versuche, im Handymarkt mit eigenen Chips Fuß zu fassen, unter anderem daran gescheitert, dass diese nicht mit Qualcomms Handy-Prozessoren konkurrenzfähig waren.
Intel-Chips als De-facto-Standard
Umgekehrt ist allerdings die von Intel entwickelte X86-Prozessor-Architektur in der Computerwelt bis heute der de-facto-Standard für die Entwicklung von Betriebssystemen und Anwendungsprogrammen. Angesichts der anderen Architektur muss Windows-Software für Computer mit Arm-Prozessoren entweder umgeschrieben werden oder mit Hilfe einer Übertragungssoftware ausgeführt werden, was wiederum Rechenpower bindet und die Leistungs- beziehungsweise Effizienzvorteile der Arm-Chips zumindest teilweise wieder zunichtemacht.
„Mit Lunar Lake bieten wir jetzt nicht nur die leistungsstärksten, sondern auch die kompatibelsten PC-Prozessoren an“, unterstreicht auch Intel-Deutschlandchefin Pierer. „Ob Anwendungsprogramm oder Computerspiel, KI-Assistent oder eines von mehr als 500 optimierten KI-Modellen – wir haben das derzeit beste Angebot für alle diese Szenarien.“
Entsprechend groß sind die Hoffnungen der Hersteller auf die neuen KI-Computer der Hersteller, die in der zweiten Septemberhälfte in die Läden kommen sollen. „Die neuen KI-Computer sind eine große Chance für die seit einiger Zeit schrumpfende Computerbranche, der es länger schon an großen Innovationen fehlte,“ sagt Acer-Europamanager Fromont. „Zu den spannendsten Neuerungen gehört etwa die Möglichkeit, generative KI-Anwendungen auf dem lokalen Rechner auszuführen, ohne persönliche oder sensible Unternehmensdaten in die Cloud laden zu müssen, die auf dem Rechner gesicherten Informationen analysieren oder Computerspiele mithilfe von KI individueller und variabler gestalten zu können.“
KI für die Mittelklasse
Noch gibt es die erweiterten KI-Funktionen nur in den Top-Modellen der Computerhersteller, die preislich kaum unter 1000 Euro zu haben sind. Doch bereits 2025 werden die Preise deutlich fallen und KI auch in Mittelklasserechnern zunehmend verfügbar werden. Auf der IFA 2027, kalkulieren Marktforscher, dürfte die Technik in zwei von drei Computern Standard sein.
Spätestens dann hofft Intel noch einen weiteren Rückstand aufgeholt zu haben. Denn so ausgefeilt und leistungsstark die neuen High-End-Prozessoren auch sein, Intel hat sie zwar entwickelt und macht das Packaging, lässt die Wafer aber in den Werken des taiwanischen Konkurrenten TSMC produzieren.
Doch das werde sich wieder ändern, versichert Intel-Managerin Pierer: „Der Lunar-Lake-Nachfolger, Codename ‚Panther Lake‘ kommt wieder aus unserer eigenen Produktion.
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