IT-Anbieter Suse „Der größte Flaschenhals in Deutschland ist der IT-Fachkräftemangel“

Mellissa Di Donato fordert mehr Engagement des deutschen Staates in Sachen digitaler Transformation – und beim Thema Bildung. Quelle: PR

Melissa Di Donato, Vorstandschefin des Nürnberger Linux-Spezialisten Suse, fordert mehr Engagement des deutschen Staates in Sachen digitaler Transformation – und beim Thema Bildung.

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Frau Di Donato, Sie leiten den deutschen IT-Anbieter Suse von London aus. Wie steht es um die digitale Transformation Deutschlands aus der Perspektive jenseits des Ärmelkanals?
Melissa Di Donato: Die digitale Transformation wird das wirtschaftliche Modell Deutschlands umkrempeln. Und zwar weil internationale Player in den letzten zehn Jahren vor allem in digitale Innovationen investiert haben und jetzt die Früchte ihrer Investitionen ernten – und so die Vorherrschaft der deutschen Industrie massiv bedrohen. Denken Sie hier etwa an die Automobilbranche: Tesla beispielsweise hat jahrelang nicht nur auf Elektromobilität gesetzt, sondern auch die Entwicklung von Autosoftware vorangetrieben – das merken die etablierten deutschen Hersteller jetzt. Genau deswegen investieren diese jetzt so stark, nicht nur in Elektromobilität, sondern eben auch in ihre Software. Ähnliches sehen wir auch in anderen Industrien. 

Die Automobilbranche investiert, aber sind die Bemühungen der deutschen Wirtschaft insgesamt ausreichend?
Nein. Deutschland als Standort muss noch deutlich mehr tun, alle industriellen Eckpfeiler der Wirtschaft müssen in die Digitalisierung investieren. Und zwar noch schneller und umfassender. Diese Investitionen sind zwingend erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu sichern. Ohne sie droht die Deindustrialisierung.

Das klingt recht düster. Haben Sie Hoffnung, dass Deutschland den Weg in die digitale Zukunft noch schafft?
Ja, durchaus. Denn die Wirtschaft ist insgesamt sehr stark, aber sie muss jetzt eine gewisse Durststrecke durchlaufen. Den Pfad in die digitale Zukunft hat die Bundesregierung im Sommer vorgelegt. Sie hat skizziert, wie die deutsche Wirtschaft bis 2025 zum Rest von Europa aufschließen soll.

Zur Person

Das heißt, der politische Rahmen ist der richtige? Auch daran gab es doch zuletzt immer wieder Kritik.
Ich setze große Hoffnung in solche Zukunftsinitiativen. Der Rahmen ist gesteckt, jetzt geht es darum in die Umsetzung zu gehen. Hier muss Deutschland Tempo gewinnen, aber auch mutiger werden. Wenn wir über die Grenzen Deutschlands schauen, beispielsweise nach Frankreich zur Initiative French Tech, da ist Digitalisierung und der Ausbau von Schlüsseltechnologien Chefsache.

Die Vorgaben der deutschen Regierung sind das eine. Die Umsetzung in der Wirtschaft das andere. Haben die Unternehmen die Notwendigkeit zur digitalen Transformation wirklich verstanden?
Ich denke, spätestens im Jahr 2024 wird Deutschland nicht nur aufschließen, sondern dann auch zum Überholen ansetzen. Lassen Sie es mich so sagen: Verstehen Unternehmenschefs die Notwendigkeit? Ja. Haben sie bereits alle Antworten? Nein. Denn neben der Digitalisierung gibt es viele andere aktuelle Herausforderungen wie steigende Zinsen, Inflation oder eine drohende Rezession. Das passiert alles gleichzeitig. Damit Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit behält, sollte der Staat stärker in digitale Infrastruktur investieren, die sowohl öffentliche Anbieter als auch private Unternehmen wie der Mittelstand nutzen können.

Aber der öffentliche Sektor in Deutschland tut sich mit der Digitalisierung doch noch schwerer als Unternehmen. Wie kann der Staat hier Vorreiter sein?
Zur Wahrheit gehört auch: Als IT-Industrie haben wir es dem öffentlichen Sektor sehr schwer gemacht, neue Technologien wie etwa Cloud Computing zu nutzen. Es gibt noch keine einheitliche europäische Cloud-Plattform; die von der Bundesregierung im Jahr 2019 gestartete Cloud-Initiative Gaia-X ist bestenfalls mittelmäßig erfolgreich – und hat die Cloud-Nutzung für Behörden eher noch komplexer gemacht.

Warum?
Wie so häufig hakt es an der Umsetzbarkeit in der Praxis: Regularien und Gesetze, an welche sich Behörden halten müssen, halten nicht mit der Entwicklung neuer Technologien und deren Anforderungen mit. Bei Gaia-X zum Beispiel stehen Behörden vor der Herausforderung, nicht nur die technischen Voraussetzungen für die Nutzung der Cloud zu schaffen, sondern dabei auch alle Vorschriften und Richtlinien im Blick zu haben, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Das erhöht den Rückstau in der Verwaltung, bei gleichzeitig höheren Kosten im Vergleich zu anderen Lösungen. Dabei sollte Gaia-X die Grundlage für eine europäische Datenwirtschaft bieten. Das ist uns nicht gelungen.

Die Politik könnte einiges vom deutschen Mittelstand lernen. Denn der weiß: Wenn er nicht mindestens mit dem Entwicklungsstatus der Top-Konkurrenz in wichtigen Wettbewerberländern mithalten kann, ist er bald mausetot.
von Stephan-Götz Richter

Ist Gaia-X in Ihren Augen also tot?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Gaia-X hat uns eine Menge gelehrt, etwa die Bedeutung von Datenschutz in verschiedenen Ländern und wie die Technologieunternehmen enger zusammenarbeiten können. Europa benötigt eine eigene einheitliche Cloud-Plattform, auf der man Daten austauschen kann.

Was kann die Regierung machen, um hier voranzukommen?
Die Industrie stärker einbinden, in die Ideenfindung als auch Entscheidungsprozesse. Von der Wirtschaft kann der Staat lernen, wie man effektiv in die Digitalisierung investiert und Digitalisierungsprogramme implementiert. Insbesondere Cloud Computing bietet hier massive Einsparpotenziale. Das hat die Wirtschaft bereits erkannt und die richtige Umsetzung wird auch dem Staat einen großen Mehrwert liefern. Europa könnte durch die Digitalisierung Wertschöpfung von 2,8 Billionen Euro generieren – mehr als die Hälfte davon könnte allein durch Cloud Computing erschlossen werden. Wenn Europa zehn Prozent der behördlichen IT-Systeme in die Cloud verlegt werden würden, könnten europäische Steuerzahler mehr als 900 Millionen Euro einsparen – pro Jahr wohlgemerkt. So könnte auch die deutsche Regierung die Digitalisierung weiter vorantreiben.

Aber die Angst, dass Daten in der Cloud statt auf dem eigenen Server im Keller leichter abgegriffen werden können, von Hackern oder Spionen, ist in Deutschland nach wie vor groß.
Ja. Wir müssen uns um das Confidential Computing, also die vertrauenswürdige Datenverarbeitung, bemühen. Statt auf Hardware im eigenen sicheren Rechenzentrum zu setzen, geht es darum, die Daten in der Cloud sicher zu umzäunen und dadurch abzusichern. Ich glaube, dieses Konzept könnte Deutschland bei der digitalen Transformation sehr helfen. Denn dann müsste man sich gar keine Gedanken mehr über die Cloud machen und darüber, in welchen Ländern Daten genau gespeichert sind. Alle Sicherheitsargumente gegen die Cloud wären so obsolet.

Was macht Sie zuversichtlich, dass so eine Initiative funktioniert – denken Sie etwa an Gaia-X, das bis heute nicht wirklich von der Stelle gekommen ist.
Gaia-X ist letztlich die Orchestrierung vieler unterschiedlicher Komponenten – von Cloud-Anbieter über Daten und Anwendungen bis hin zur Infrastruktur. Zudem ist es ein sehr kompliziertes Konsortium verschiedener Anbieter, die alle zusammenarbeiten müssen. Bei Confidential Computing geht es hingegen nur um den Schutz der Daten – das ist alles. Durch diesen klaren und entscheidenden Fokus glaube ich, dass das Konzept erfolgreich sein kann.

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Wie sehr behindert der Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung die Unternehmen bei den Herausforderungen des Jahres 2023 wie Inflation oder eine drohende Rezession?
Der größte Flaschenhals in Deutschland ist der IT-Fachkräftemangel. Es gibt viel mehr offene Stellen als qualifizierte Bewerber. Wir müssen viel stärker für die digitale Transformation schulen und außerdem Fachkräfte aus dem Ausland überzeugen zu uns zu kommen. Jeder – ob Politiker oder Unternehmenschef, ob Lehrer oder Eltern – sollte sich darum bemühen, die Digitalkompetenzen der deutschen Bevölkerung zu verbessern. Bildung ist unsere wichtigste Hausaufgabe.

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