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Musik-StreamingWieso Spotify noch immer kein Geschäftsmodell hat

Die Branche hat ihre Zukunft an den Erfolg von Streaming gehängt. Doch Diensten wie Spotify läuft die Zeit davon, ein Geschäftsmodell aufzubauen.Stefan Hajek 22.10.2016 - 11:20 Uhr

Reichster Streamer – Dr. Dre

Sein gewaltiges Jahreseinkommen von geschätzten 620 Millionen Dollar im vergangenen Jahr verdankt der als André Romell Young geborene ehemalige Gangsterrapper dem Verkauf des von ihm mitbegründeten Streamingservices und Kopfhörerherstellers Beats an Apple. Rund drei Milliarden Dollar legte der iPhone-Bauer im Mai 2014 auf den Tisch. Sein Einkommen allein mit seiner Musik über die Freuden des Ghettoalltags mit Pornografie, Marihuana oder Autobomben einzunehmen, wäre für den zuletzt vor allem als Produzent für Rapper wie Eminem tätigen Musiker aus Los Angeles schwierig gewesen.

Foto: AP

Erfolgreichster Streamer  - Ed Sheeran

Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte, dass dank Streaming Aussehen in der Musik weniger zählt als zu Zeiten des Musikfernsehens MTV, dann hat ihn Ed Sheeran geliefert. Mit seinen roten Haaren und der oft sehr bunten und lässigen Garderobe entspricht der ehemalige Straßenmusiker keinem gängigen Geschmack. Doch seine beiden Alben + und x verkauften sich weltweit nicht nur fast acht Millionen Mal. Die bislang gut 80 Songs des 24-jährigen Vielschreibers holten sich die Streaming-Kunden allein im vergangenen Jahr mehrere Milliarden Mal auf ihre Geräte.

Foto: AP

Erfolgreichste Streamerin – Rihanna

So klar der beliebteste Sänger der neuen Mietmusik feststeht, so unklar ist die Rangfolge bei den Sängerinnen. Das liegt nicht nur daran, dass in Ranglisten die ersten Plätze Männer belegen und die ersten Frauen erst ab Platz fünf folgen. Je nach Quelle liegt jeweils eine andere Künstlerin vorne. Beim Markführer Spotify heißt die Queen of Stream Rihanna. Doch in den Statistiken anderer Anbieter wie Deezer liegt vor der als Robyn Rihanna Fenty geborenen 27-jährigen Sängerin die Kalifornierin Katheryn Elizabeth Hudson, besser bekannt als Katy Perry.

Foto: AP

Erfolgreichster Neuling – Ariana Grande

Zum Star zu werden geht dank Streaming quasi über Nacht. Das zeigt niemand besser als Ariana Grande. Im Frühjahr 2012 lud die Musical-Sängerin noch von ihr gesungene Versionen bekannter Hits von Lady Gaga auf YouTube hoch. 2013 kam nach anderthalb Jahren Arbeit das erste Album und im Sommer 2014 war die heute 21-jährige mit mehreren hundert Millionen gestreamter und fast zehn Millionen verkaufter Songs ein Weltstar.

Foto: AP

Erfolgreichste Band – Coldplay

Während die beliebtesten Einzelkünstler meist relativ jung sind, dominieren bei den Bands die reiferen Herren. Allen voran Coldplay, die sich Mitte der neunziger Jahre zusammenfanden. Dass die vier Briten vor Neulingen wie Imagine Dragons oder Teenidolen wie One Direction lagen, ist erstaunlich. Nicht nur, weil ihre Fans zur Altersgruppe ab 30 gehören, die sich mit dem Streaming noch etwas schwer tut. Ihr jüngstes Album Ghost Stories gaben sie erst ein gutes halbes Jahr nach dem Erscheinen zum Streamen frei. Doch seitdem läuft es selbst bei den Plattenkäufern und neuen Fans rauf und runter - wie auch ihre sieben Studio- und drei Live-Alben.

Foto: dapd

Album des Jahres – Sam Smith – In The Lonely Hour

Eine solide Ausbildung und das Hocharbeiten durch Kooperation lernte der als Samuel Frederick geborene Brite von seiner Mutter, einer erfolgreichen Bankerin. So tingelte der kleine Sam durch Talentshows zwischen London und den umliegenden Grafschaften – bis er den Manager des britischen Weltstars Adele traf. Der brachte ihn in Kontakt mit dem Elektroduo Disclosure, deren Hit „Latch!“ Smith veredelte, und schließlich mit dem DJ Naughty Boy, dessen Song La La La dank der wandlungsfähigen Stimme von Smith zum Welthit wurde. Diese Songs und sein eigenes Stück „Money On My Mind“  zogen schließlich auch sein Debüt-Album an die Spitze.

Foto: dpa

Europas Lied des Jahres– Clean Bandit feat. Jess Glynne – Rather Be

Weltweit machte Pharrell Williams mit „Happy“ das Rennen um den Titel Lied des Jahres. In Europa lag das Titellied aus dem Film „Ich einfach unverbesserlich“ trotz des Filmerfolgs knapp hinter der klassisch angehauchten britischen Elektroband Clean Bandit.Deren Song „Rather Be“ machte die Sängerin Jess Glynne zum Welthit. Doch auch wenn Streaming Lieder weltweit bekannt macht, fördert es auch nationale Künstler wie die Sängerin 吳雨霏, deren 留不低 in Hongkong ein Smash-Hit ist. In Deutschland sorgte Mark Forster mit "Au Revoir" in 2014 für einen Toptitel – auch er weil zur Fußball-WM gleich zwei Versionen rund um den Erfolg des deutschen Teams veröffentlichte.

Foto: dpa Picture-Alliance

Erfolgreichster Wiedergänger – Michael Jackson

Es ist makaber: Mit ihren Plattenverkäufen kommen Stars früherer Jahrzehnte meist nur noch dann in die Charts, wenn sie sterben. Beim Streaming ist das anders. Hier sorgt gerade die wachsende Zahl älterer Streamingkunden für einen dauerhaften Erfolg. Denn – so sagen die Marktforscher der Unterhaltungsbranche – ab einem Alter von 33 Jahren hören gut 90 Prozent eigentlich keine Musik neuer Künstler, sondern die Musik ihrer Jugend. Und das prägt zunehmend auch die Streamingdienste, weil die reiferen Fans aus Bequemlichkeit ihre Popklassiker auch dann anrufen, wenn sie die CDs oder Vinylscheiben im Schrank haben. Das hilft zwar auch rüstigen Rock-Rentnern von den Rolling Stones oder The Eagles. Im vergangenen Jahr aber gelangte Michael Jackson an die Spitze, der mit seiner notdürftig zum Album gepackten Restesammlung Xscape auch seine alten Hits in den Stream zog.

Foto: AP

Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, die beiden Schweden, die derzeit die Musikindustrie auf den Kopf stellen. Eric Wahlforss, Gründer der Streamingplattform Soundcloud, ist Musiker, DJ und Protagonist des Berliner Nightlife. Obwohl Chef eines Unternehmens mit geschätzt 20 Millionen Euro Umsatz, legt er nachts oft in der Szenedisco Berghain auf. Daniel Ek, Chef von Spotify, arbeitet meist 15 Stunden am Tag. Der Programmierer spricht selten öffentlich. Wenn Spotify Soundcloud kauft, wie Brancheninsider zu wissen glauben, haben die beiden immerhin eines gemeinsam: horrende Verluste.

Denn trotz stark wachsender Nutzerzahlen und immer mehr Bezahlabos haben es die Streamingdienste bisher nicht geschafft, profitabel zu arbeiten. Nun drängt die Zeit: Aggressive Angreifer wie Apple, Google oder Amazon drängen in den Markt. Und Investoren, anfangs begeistert, geben neue Finanzspritzen nur noch gegen immer härtere Konditionen. Zudem ist der Geist der Raubpiraterie wiederauferstanden, der die Branche fast in den Ruin trieb: Das Stream-Ripping breitet sich epidemieartig aus: Software, mit der sich die gestreamte Musik mitschneiden lässt. Gelingt nicht bald die Wende, könnte sich mit dem Streaming bald ein Geschäftsmodell überholen, das die Musikbranche als ihren Heilsbringer betrachtet.

Der Kauf der hoch defizitären Soundcloud mutet fast wie eine Verzweiflungstat an: die Claims abstecken, bevor der Markt verteilt ist und das Nutzerwachstum nachlässt. Die beiden Anbieter ergänzen sich gut. Spotify, an dem die drei global agierenden Plattenfirmen Universal, Sony und Warner beteiligt sind, bedient den musikalischen Mainstream. Soundcloud wiederum ist bei Musikern populär und bietet auch vertragslosen Künstlern ein Forum. Zusammen decken beide fast den ganzen Musikmarkt ab.

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Für die Musikindustrie steht viel auf dem Spiel: Unter dem Eindruck der Raubkopierwelle ab Mitte der Neunzigerjahre, die sie die Hälfte ihres Umsatzes kostete, hat die Branche mit Diensten wie Spotify und Deezer voll auf die Streamingtechnologie gesetzt. Pioniere wie Ek versprachen den Plattenbossen nicht weniger als den Sieg über die Piraterie: Gäbe es ein billiges, technisch einfaches Musikangebot, würde der größte Teil der Konsumenten illegalen Websites den Rücken kehren und wieder freiwillig für Musik bezahlen. Und: eine kleine monatliche Flatrate, von Millionen Kunden bezahlt, würde reichen, um die entgangenen Umsätze aus MP3-Downloads und CDs mehr als zu kompensieren.

Die Hoffnung geht auf. Seit 2013 wachsen die Umsätze wieder, nachdem sie seit 1999 Jahr für Jahr gefallen waren, fast ausschließlich dank Streaming. Das Problem ist nur: Den Streamern selbst geht das Geld aus. Sie müssen weltweit expandieren und zugleich mächtige neue Konkurrenten wie Apple oder YouTube auf Distanz halten.

Vieles hängt vom Marktführer Spotify ab, der global 42 Prozent Marktanteil bei Bezahlabos hat und mit 40 Millionen Abonnenten mehr als doppelt so viele zahlende Kunden wie Apple. Die Nummer drei im Markt, Deezer, kommt auf 16 Millionen Kunden, die ebenfalls hoch defizitäre Tidal, an der Musikstars wie Beyoncé und Jay-Z beteiligt sind, nur auf vier Millionen.

Die Streaming-Anbieter im Internet
Aupeo
Deezer
Last.fm
Pandora
MOG
Napster
rara.com
Rdio
Simfy
Spotify

Spotify und Apple beherrschen zusammen zwei Drittel des Markts. Jüngsten Daten zufolge sinken die absoluten Nutzerzahlen aller anderen Anbieter sogar leicht. „Scheitert Spotify, würde das Geschäft bald ganz von den IT-Giganten Apple, YouTube und Amazon beherrscht“, sagt Michael Pachter, Chefanalyst für IT und Medien bei Wedbush Securities. Das seien aber nicht die Verhandlungspartner, die sich die Musikindustrie wünsche oder denen sie exklusiv den digitalen Absatz ihrer Produkte überlassen wolle. Denn sie verlangen ihr viel ungünstigere Konditionen ab als etwa Spotify. Die reinen Streamer haben aus Industriesicht einen großen Vorteil: Ihre Apps laufen auf allen Smartphones. Apple Music ist dagegen nur auf dem iPhone erhältlich.

Im Markt stört aber eine merkwürdige Dissonanz: Es sind die Labels selbst, die mitverantwortlich sind für die finanziellen Nöte der Streamer. Die drei Majors Warner, Sony und Universal verdienen gut an Spotify, Deezer und Co. Nach Zahlen des globalen Verbands der Phonoindustrie IFPS stieg der Umsatz aus Streamingabos, also ohne Werbeeinnahmen, 2015 auf zwei Milliarden Dollar; die Zahl monatlich zahlender User stieg um 66 Prozent auf 68 Millionen. Um Zugriff auf die Rechtekataloge der Musikverlage zu bekommen, müssen die Streamer pauschal rund 70 Prozent ihrer Umsätze an die Plattenindustrie abführen. Das starre Modell sei „eine enorme Einschränkung, weil Streamer – anders als andere Start-ups mit weltweit funktionierendem Geschäftsmodell – ihren Gewinn nicht exponentiell steigern können, auch wenn es mal läuft“, sagt Wagniskapitalmanager André Burchart, der früher selbst in Streamer investierte.

Spotifys Wachstum ist eindrucksvoll, aber sehr teuer: 2015 machten die Schweden 2,18 Milliarden Dollar Umsatz; laut einem in Luxemburg geleakten Geschäftsbericht beliefen sich die Zahlungen an die Musikindustrie („royalty, distribution and other costs“) auf 1,83 Milliarden Dollar, 85 Prozent mehr als 2014. Spotify musste demnach 2015 ganze 84 Prozent seines Umsatzes bei den Labels abliefern; zu Lizenzgebühren kamen Zahlungsabwicklung und Vertriebsgebühren. Nach Abzug der Kosten machte Spotify netto 193 Millionen Dollar Miese, 2014 waren es 165 Millionen und 2010 gerade mal 21,9 Millionen. Die kleinere Konkurrenz häuft ebenfalls dramatische Verluste an. Und selbst die ganz Großen wie Apple, Amazon und Google arbeiten im Musicstreaming nicht profitabel.

Was Kunden am Musik-Streaming schätzen
Platz 6
Platz 5
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Platz 3
Platz 2
Platz 1

Bisher sprangen den Start-ups stets neue Wagniskapitalgeber mit frischem Geld zur Seite, um die Expansion voranzutreiben. In acht Finanzierungsrunden sammelte Spotify 1,6 Milliarden Dollar Eigenkapital von 27 Investoren ein. Die Schweden werden mit rund acht Milliarden Dollar bewertet. Doch die Investoren sehen das Geschäft immer kritischer. Konnten sich vor ein, zwei Jahren die bekannten Namen im Geschäft noch sicher sein, dass sich neue Investoren bei Finanzierungsrunden um ihre oft künstlich knapp gehaltenen Anteile balgten, hat sich jetzt eine viel zurückhaltendere Stimmung breitgemacht. Im März konnte sich Spotify nochmals eine Milliarde Dollar besorgen – allerdings nur per Kredit und zu äußerst investorenfreundlichen Bedingungen.

Die Investoren wetten auf einen baldigen Börsengang der Schweden. 2018, besser noch 2017, sollte der klappen. Doch es zeichnet sich neues Unheil ab. Der größte Trumpf der Streamingbefürworter ist, dass sie mit dem Todfeind der Musikindustrie aufgeräumt hatten: dem Raubkopieren.

Doch Stream-Ripping, bei dem Millionen Menschen mittels einfach erhältlicher Software die gestreamte Musik mitschneiden, breitet sich rasant aus. Spotify äußert sich zum Problem nur ausweichend und sagt, man habe ein „sehr gutes, kostenloses Produkt gegen Piraterie am Markt“. Laut IFPS entgehen der Industrie aber bereits mehr Umsätze durch Ripping als durch illegale Downloads. „Das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn die User regelmäßig und langfristig bezahlen“, sagt Pachter, „daher ist Ripping eine immanente Gefahr.“

Schließen sich die zwei Schweden Ek und Wahlforss demnächst tatsächlich zusammen, wissen sie immerhin, welchen Feind es als ersten anzugreifen gilt.

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