Gefälschte Medikamente Das schmutzige Geschäft der Pillen-Mafia

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Giftige Kapseln

Auch diese Fälscherwerkstatt für Viagra befand sich in China in der Provinz Henan. Sie wurde im August 2005 entdeckt und durchsucht – der beschuldigte Betreiber wurde verhaftet. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)

Anderen Pharmaunternehmen ergeht es kaum besser: Auch das zeitweise sehr gefragte Grippemedikament Tamiflu von Roche wurde vielfach kopiert, außerdem Schmerzmittel, Diuretika, Krebsmittel. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mindestens 50 Prozent der im Internet vertriebenen Medikamente und etwa zehn Prozent aller weltweit verkauften Arzneimittel Fälschungen.

Die hohe Kunst der Fälscher besteht dabei längst nicht mehr im Pillenpressen allein. Das ist der leichteste Teil der Übung. Perfektion erlangen die Fälscher vor allem darin, Lieferwege und Sicherheitsschranken so gut zu durchschauen, dass Prüfer auf gefälschte Sicherheits- und Analysezertifikate hereinfallen.

So etwa jüngst bei einer völlig unwirksamen Fälschung des Biotechkrebsmedikaments Avastin. Sie gelangte über mehrere Zwischenhändler von Europa über Ägypten nach Großbritannien und in die USA.

Eine zentrale Rolle spielt dabei Klaus-Rainer Tödter, Chef und Eigentümer des Handelshauses Hadicon aus dem schweizerischen Zug. Er verkauft Arzneimittel von einem Land ins nächste. Parallelimporte preiswerter Pillen aus Drittstaaten in Hochpreisländer bieten satte Gewinnmargen.

Doch Tödter ist, wie er der WirtschaftsWoche sagte, noch nie einem gefälschten Produkt aufgesessen – bis jetzt. Doch die Verpackungen der inhaltstofffreien Glasfläschchen, die Tödter vom ägyptischen Zwischenhändler Sawa bezog, sahen täuschend echt aus. Sie waren so gut, dass selbst der Hersteller des Originalpräparats, das Schweizer Unternehmen Roche, Mühe hatte, die Fälschungen zu erkennen.

Perfekt nachgemacht

Tödter hatte schon mehrfach von Sawa gekauft, ohne getäuscht worden zu sein. Doch diesmal hatten die Ägypter über einen syrischen Mittelsmann 167 Packungen des teuren Krebsmedikaments aus der Türkei bezogen. Tödters Hadicon verkaufte sie an den dänischen Zwischenhändler Caremed, der sie wiederum nach Großbritannien lieferte. Dort fiel der Schwindel auf, die britische Gesundheitsbehörde zog im November vorigen Jahres 126 Packungen ein. Drei Monate später tauchten fünf der noch 41 vermissten Packungen in den USA auf.

Tödter hat nach dem GAU alle seine Sicherheitssysteme und behördlich geprüften Prozesse überprüft. Doch die Schwierigkeit, eine solche Fälschung zu erkennen, bleibt. Denn bei Produkten wie Avastin versiegelt der Hersteller jede Verkaufsverpackung. Nur der Arzt darf sie öffnen – und geöffnet darf sie nicht weiterverkauft werden, so Tödter: „Das heißt, wir können weder den Flascheninhalt noch die Flasche sehen, sondern nur die Umverpackung.“

Auch in diesem Fall hatten sich Fälscher ihr Wissen über Sicherheitsstandards zu eigen gemacht. Besonders perfide: Das Versiegeln soll an sich dem Schutz der Patienten dienen und verhindern, dass der Flascheninhalt manipuliert wird. Die Fälscher brauchten sich deshalb nicht die Mühe zu machen, die Substanz selbst nachzuahmen, sie kopierten nur die Packungen.

Um das kriminelle Treiben einzudämmen, hat die EU im vorigen Sommer eine Richtlinie verabschiedet, die auf neue und fälschungssichere Kennzeichnungsformen wie Hologramme oder zweidimensionale Barcodes setzt. Diese werden auf digitalen Tickets schon heute eingesetzt. Damit soll sich jede einzelne Pillenpackung jederzeit identifizieren lassen.

In Deutschland haben sich Arzneimittelhersteller, Pharmagroßhändler und Apotheken inzwischen zur Initiative Securpharm zusammengetan, um das System des 2-D-Datamatrixcodes zu testen. Einige Hersteller werden in einem 2013 beginnenden Pilotprojekt erste rezeptpflichtige Präparate damit kennzeichnen. Die am Projekt beteiligten Apotheken werden mit Scannern ausgestattet. Der Vorteil der neuen Technik liegt laut designiertem Securpharm-Geschäftsführer Reinhard Hoferichter darin, dass jede Medikamentenpackung zweimal kontrolliert wird: beim Eintritt in die Vertriebskette und beim Austritt.

Für Waren, die wie beim Heparin die Vorlieferanten der Pharmaunternehmen betreffen, sind solche Kennzeichnungen noch nicht geplant. Hier investieren die Firmen vermehrt in lückenlose Kontrollen der komplexen Kette – im Zweifelsfall vom Schwein bis zur Spritze. Nicht ohne Grund gebe Amgen bis 2015 allein 300 Millionen Dollar für solche präventiven Schutzmaßnahmen aus, sagt VanTrieste.

Weitere Bausteine im Schutzwall vor der Molekül-Mafia sind globale Netzwerke wie RX-360. Tatsächlich gehen dort nun laufend Meldungen über Auffälligkeiten im Pharmageschäft aus aller Welt ein.

Eine der jüngsten Sauereien stammt wieder aus China: Dort untersuchen seit Mitte April Polizeibehörden 43 Unternehmen und nahmen 53 Personen fest. Sie stehen im Verdacht, mit giftigem Chrom verseuchte Gelatinekapseln in Umlauf gebracht zu haben. In diese Kapseln füllen Pharmahersteller ihre Medikamente. Die angeblich essbare Gelatine hatten die Beschuldigten aus Lederabfällen wie geschredderten Schuhen gewonnen. Die sollten recycelt werden – zu Lederjacken.

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