Katastrophenfall-Analyse Das nächste Covid: Wie gut ist Deutschland für ein großes Erdbeben gerüstet?

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Es fehlt an Konzepten, Personal und Material

Für einen Schadensfall diesen Ausmaßes, stellen die Experten fest, seien Staat und Strukturen in keiner Weise gerüstet. So komme es bereits kurzfristig „zur Überlastung der medizinischen Versorgung“. Wegen der Vielzahl der Verletzten müssten Ärztinnen und Ärzte die Behandlung der Patienten nach Erfolgsaussichten priorisieren und eine sogenannte „Triage“ vornehmen. Das bedeutet, Erdbebenopfer mit geringeren Überlebenschancen blieben im schlimmsten Fall unversorgt. Insgesamt müssten Intensivpatienten im gesamten Bundesgebiet, möglicherweise auch in benachbarte EU-Länder verteilt werden. So wie deutsche Kliniken in der gegenwärtigen Coronakrise Intensivpatienten aus Nachbarstaaten versorgen.

Auch Helfer und Gerät für die technische Rettung – von kommunalen Feuerwehren bis zu den regionalen Kräften des technischen Hilfswerks – reichen laut der Analyse vorne und hinten nicht aus. Die „Gefahrenabwehr des Katastrophenschutzes [stößt] an ihre Grenzen“. Verschärft werde die Situation dadurch, dass Einsatzkräfte wegen des Ausfalls der Alarmsysteme weder aktiviert noch über Funk erreicht werden könnten. Auch die Zahl der für die Notstromversorgung benötigten Aggregate sei nicht bloß insgesamt zu gering. Die vorhandenen Geräte seien zudem teils mehrfach verplant und damit „im Krisenfall nicht frei verfügbar“. 

Wohin man im Bericht blättert: Knappheit und Mangel allerorten! Es fehle an Konzepten, Personal und Material, um die große Zahl von Opfern und Betroffenen erfassen zu können. 



Nicht einmal die Behörden selbst seien ausreichend vorbereitet, die eigene Funktionsfähigkeit in der Katastrophe sicherstellen zu können, monieren die Katastrophenplaner. Und was die Bewertung der Schäden angehe, so fehle es nicht bloß an Bauexperten und Statikern, um der Masse der Einsatzorte Herr zu werden. Auch für den Einsatz der Baufachberater selbst gebe es bisher keinerlei Planungen.

All das, so mahnen die Autoren des Berichtes, sei keineswegs eine vollständige Liste der erwartbaren Schwierigkeiten. Die Übersicht erhebe „keinen Anspruch auf Vollständigkeit“. Die Analyse diene in erster Linie dazu, die Vielzahl bisher ungelöster Probleme zu umreißen, mit denen die Bundesrepublik bei Schadensfällen vergleichbaren Typs und Ausmaßes konfrontiert sein könne. 

Was also tun? Unter anderem fordern die Experten, die Strukturen fürs Krisenmanagement auf allen Verwaltungsebenen massiv zu verbessern. 

Vorbild Japan: Selbstschutzkurse in der Schule

Es brauche dringend Planungen, wie die Behörden selbst in der Katastrophe arbeitsfähig bleiben können. Evakuierungs-, Betreuungs- und Erfassungskonzepte müssten über Städte-, Kommunal- und Kreisgrenzen hinweg abgestimmt, Versorgungs-„Leuchttürme“ vorgeplant und eingerichtet werden. Daneben müsse auch die Bevölkerung in den erdbebengefährdeten Regionen besser als bisher für Erdbebengefahren sensibilisiert werden. Möglichkeiten für den Selbstschutz sollten bereits im Schulunterricht vermittelt werden; so wie das etwa in Japan längst üblich ist. 


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Gerade bei der Selbsthilfe sind die Lücken besonders groß, seit die Politik den Zivilschutz vor rund 30 Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges weitestgehend abgebaut hatte. Aufgrund der Annahme, künftig nur noch „von Freunden umzingelt“ zu sein, hatten Bund und Länder nicht nur Notfallkrankenhäuser, Medikamentenlager sowie zusätzliche ehrenamtliche Hilfskräfte abgeschafft beziehungsweise entlassen. Auch die für Schulungen der Bevölkerung zuständige Bundesanstalt für Zivilschutz wurde in den Jahren nach der deutschen Einheit abgeschafft. Die zuvor für die Katastrophenabwehr verplanten Mittel wurden als sogenannte „Friedensdividende“ für andere Vorhaben verplant.

Dass das ein Fehler gewesen sein könnte, darauf hatten die Autoren der Risikoanalyse Bevölkerungsschutz schon 2012 hingewiesen, als sie ihr Modi-SARS-Szenario entwickelten. Ohne damit allerdings bei Bund oder Ländern auf größere Resonanz zu stoßen. Das hat nicht zuletzt der massive Mangel an Schutzkleidung und potenziellen medizinischen Hilfskräften in der gegenwärtigen Coronapandemie offenbart. 

Es bleibt zu befürchten, dass das kaum anders ist, sollte das skizzierte große Beben tatsächlich den Niederrhein treffen – oder irgendeine andere erdbebengefährdete Region der Republik. Immerhin, wenigstens das Katastrophenszenario gibt es dann ja schon: In der Bundestagsdrucksache 19/23825.

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