Tauchsieder Ich lebe, also bin ich?

Die Deutschen leben lang und immer länger. Biologen versprechen, den Prozess der Alterung verzögern und womöglich ausschalten zu können. Allein auf die entscheidende Frage haben Anti-Ager keine Antwort: Was eigentlich spricht für ein langes Leben und Unsterblichkeit?

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Was spricht für ein langes Leben und Unsterblichkeit? Quelle: Marcel Stahn

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Worin besteht des Menschen Sonderstellung unter den lebendigen Wesen? Das waren im 20. Jahrhundert noch Fragen, die die hellsten Philosophen-Köpfe beschäftigten, Max Scheler etwa oder Arnold Gehlen. In den einschlägigen Abhandlungen ist viel von der Vernunftfähigkeit des Menschen die Rede, von seiner Fähigkeit zum Triebaufschub, von seinem Vermögen, eine Wahl zu treffen.

Der Mensch sei kein Sklave seiner Instinkte und Körperfunktionen, heißt es, er habe ein Bewusstsein von sich selbst, sei zur Reflexion und (Selbst)-Kritik begabt, verfüge über „Seele“ und „Geist“. Warum? Nun, anders als ein Tier sei der Mensch nicht nur in die Welt eingelassen, sondern halte sich als denkendes Wesen zugleich in ihr als auch außerhalb von ihr auf: Mensch sein, so Scheler und Gehlen, heißt außer sich selbst und auf Distanz zur Welt sein.

Der vielleicht schönste Gedanke zum Thema aber stammt von Martin Heidegger, der das Bewusstsein vom Tod ins Zentrum des menschlichen Lebens rückt und das Sterben zum grundlegendsten Ausdruck dessen erklärt, was „human“ genannt werden kann: „Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt: den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich.“

Anders gesagt: Für Heidegger ist das Bewusstsein des Todes die Voraussetzung dafür, dass der Mensch sich selbst zu eigen macht - der Existenzschock, den es braucht, damit der Mensch sein Leben als Leben begreift - als Möglichkeit, sein bloßes Dasein in selbst-bewusste „Eigentlichkeit“ zu verwandeln, seinem Leben als „Vorlaufen zum Tod“ einen Sinn beizumischen.

Heideggers paradoxe Formel vom Tod als Urgrund des humanen Lebens ist - vor allem in seiner Umkehrung - ein sehr populärer Topos in Kunst und Philosophie: Unsterblichkeit, da sind sich von Richard Wagner („Der fliegende Holländer“) bis Jorge Luis Borges („Der Unsterbliche“) alle einig, ist kein Wunsch-, sondern ein Albtraum.

Fast zeitgleich mit „Sein und Zeit“ (1927) erschien beispielsweise „Die Sache Makropulos“ (1926), eine Oper von Leoš Janácek, in der die Protagonistin des Stückes zeit ihres Lebens 42 Jahre alt bleibt - solange sie ein Elixier einnimmt. Weil sich Elina Makropulos jedoch nach einigen hundert Jahren in einem Zustand der „Langeweile, Gleichgültigkeit und Kälte“ befindet, so der Philosoph Bernard Williams 1978 in einem beispielhaften Aufsatz zum Thema, weigert sie sich schließlich, das Elixier weiterhin einzunehmen - und stirbt.

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