Mobile World Congress: Apple treibt die Branche mal wieder vor sich her
„Wir glauben, dass die Einführung der eSim ein Wendepunkt für die Branche ist“, sagt Counterpoint-Research-Experte Malhotra.
Foto: dpa Picture-AllianceEigentlich übertrumpfen sich Smartphonehersteller mit immer neuen Superlativen, ob bei Displaygrößen oder Kameraauflösungen. Derzeit aber kommt eine der wichtigsten Innovationen der Branche minimalistisch daher. Wenn sich am Montag in Barcelona die Größen der Mobilfunkszene wieder zum Mobile World Congress (MWC) versammeln, dem wichtigsten Branchentreff des Jahres, zählt ausgerechnet ein winziger Mikrochip zu den wichtigsten Messethemen: Die sogenannte eSim, die die klassischen Sim-Plastikchips im Handy ersetzt. Auf den Chip können Handybesitzer ihre Kundendaten und Telefonnummer direkt aus dem Netz der Mobilfunkanbieter laden, anstatt sie auf der bekannten Chipkarte ins Telefon einlegen zu müssen.
Der nur wenige Quadratmillimeter große Winzling, der ab Werk im Gerät verbaut ist, ermöglicht Mobilfunkkunden in Zukunft eine bisher ungekannte Flexibilität beim Einsatz ihrer Smartphones, Tablets, Notebooks, Fitnessuhren sowie vieler weiterer vernetzter Alltagsgegenstände. Durch den Verzicht auf die hakeligen Einschübe lassen sich die Handys leichter gegen eindringenden Schmutz oder Wasser abdichten, sie werden zudem leichter und robuster. Und nicht zuletzt wird die eSim das Verhältnis zwischen Mobilfunkanbietern und -kunden grundlegend ändern.
An die 40 spezialisierte Anbieter, Diskussionsrunden und Themenschwerpunkte widmen sich in Barcelona den disruptiven Mikrochips. Doch so viel Aufmerksamkeit die Branche ihm in Barcelona auch widmet, formal gesehen ist die Technik dahinter gar nicht neu. Erste Vorgaben zur eSim hatte der Branchenverband GSMA bereits 2015 veröffentlicht. Lange aber blieb die Technologie auf den industriellen Einsatz, etwa beim Einbau von Notrufmodulen in neue Autos, beschränkt. Speziell die Zurückhaltung der Netzbetreiber, die um ihre direkten Kundenbeziehungen fürchteten, und der Mangel an eSim-tauglichen Mobiltelefonen bremste die Verbreitung. Das aber ändert sich gerade.
Das belegt auch die Vorstellung von Samsungs Galaxy S23-Serie wenige Tage vor Beginn des MWC, die ebenfalls eSim-tauglich ist. Einer der wichtigsten Treiber des Umschwungs aber ist ausgerechnet ein Gerätehersteller, der selbst auf dem MWC gar nicht vertreten ist: Apple.
Denn der kalifornische Techkonzern treibt die Branche mit seinem jüngsten Spitzenmodell, dem iPhone 14, wieder einmal vor sich her. Apples im Herbst 2022 vorgestelltes neues Smartphone nämlich besitzt in seiner US-Version keinen Einschub mehr für eine klassische Plastik-Sim. Wer das Gerät nutzen will, muss seine Zugangsdaten, mit denen sich das Telefon ins Netz einbuchen kann, elektronisch im Gerät speichern.
„Apple setzt den De-facto-Standard“
Zwar stellte der zum chinesischen Lenovo-Konzern gehörende Smartphoneproduzent Motorola bereits 2019 mit dem Moto Razr als erster Hersteller ein Handy vor, das sich ausschließlich mit einer eSim nutzen ließ. Doch das ziemlich teure Klapphandy mit faltbarem Glasdisplay blieb ein Nischenprodukt. Das iPhone 14 hingegen ist das erste massentaugliche Smartphone, das die Technik in Millionenstückzahlen in den Markt bringt.
Anders als in den iPhone-14-Modellen für Nordamerika ist in den Geräten für andere Märkte, neben dem eSim-Chip noch ein herkömmlicher Einschub für die Plastikkarten verbaut. Doch egal ob mit oder ohne Plastikkarte, in den eSim-Chips aller iPhone 14 lassen sich Nutzerprofile für bis zu acht virtuelle Sim-Karten gleichzeitig hinterlegen und die Tarife per Fingerstreich auf dem Display wechseln. „Apple setzt ganz einfach den De-facto-Standard in der Branche“, sagt Ankit Malhotra, Mobilfunkexperte beim Marktforscher Counterpoint Research.
Es spricht viel dafür, dass Malhotra mit der Prognose Recht behält. Denn tatsächlich ist Apple seit Jahren zwar nicht immer der erste Anbieter, der Innovationen im Mobilfunk vorstellt, in der Regel aber derjenige Hersteller, der ihnen zum Durchbruch verhilft. Ob die ins Display integrierte Selfiekamera, die Entsperrung des Telefons per Gesichtserkennung oder auch der Wegfall des klassischen Kopfhörersteckers – immer war es Apple, der die neuen Funktionen mit seinen iPhones in Millionenstückzahlen im Markt etablierte.
Erhebliches Sparpotenzial (nicht nur) bei Auslandsreisen
Und der damit sowohl die Konkurrenz als auch die Netzbetreiber zur Integration entsprechender Funktionen und Angebote in ihre Endgeräte und Handy-Tarif-Pakte nötigte. Denn vor allem letztere taten sich mit der eSim lange schwer. Zum einen, weil durch die drahtlose Übertragung der Zugangsdaten fürs Netz auch der Moment im Shop entfällt, in dem die Anbieter den Kunden in der Vergangenheit noch zusätzliche Tarifmodule oder weiteres Handyzubehör verkaufen konnten.
Zum anderen, weil die Netzbetreiber unliebsame Konkurrenz fürchteten. Schließlich erlaubt es die eSim Handybesitzern, gleich mehrere Nutzerprofile ganz unterschiedlicher Netzanbieter in ihren Handys abzulegen und so per Knopfdruck zwischen den für sie jeweils günstigsten Tarifmodellen zu wechseln. Gerade für Geschäfts- oder Urlaubsreisen außerhalb der EU bietet das für die Kunden erhebliche Möglichkeiten, Geld zu sparen.
In der Vergangenheit war das in der Regel mit umständlichem Gefriemel beim Kauf und dem Einschub zusätzlicher Plastik-Sim-Karten im Ausland verbunden. Neue eSim-Profile hingegen lassen sich ohne großen Aufwand per Scan eines QR-Codes mit der Handykamera oder sogar per Push-Nachricht aufs Handy ins Telefon einspielen. Und während es bisher nur möglich war, jeweils ein Profil aktiv zu schalten, erlaubt es die jüngste Fassung des eSim-Standards sogar, gleich mehrere zu aktivieren und so beispielsweise selbst auf Dual-Sim-Handy über mehr als nur zwei Rufnummern von unterschiedlichen Netzbetreibern erreichbar zu sein.
Entsprechend gering war das Interesse der Telefonkonzerne, eSim-fähige Handys zu verkaufen. Und entsprechend mager blieb lange das Angebot von entsprechenden ausgerüsteten Telefonen. Nun aber dreht sich der Markt. „Wir glauben, dass die Einführung der eSim ein Wendepunkt für die Branche ist“, so Counterpoint-Research-Experte Malhotra.
Tatsächlich wächst die Zahl eSim-tauglicher Smartphones seit dem vergangenen Jahr rasant. Bei Apple erlauben es bereits seit dem 2018 erschienenen iPhones XS alle neuen Modelle, zusätzlich zu einer klassischen Sim auch eine eSim zu aktivieren. Daneben haben inzwischen auch Google, Honor, Huawei, Oppo, Samsung, Sony und weitere Hersteller Geräte vorgestellt, die die virtuellen Sim-Karten unterstützen. Hinzu kommen zahlreiche Hersteller von Notebooks und Tablets sowie Smartwatches, die ebenfalls eSim-Chips besitzen. Spätestens 2025, so Hochrechnungen des Marktforschers Mobilise, dürften gut vier von fünf verkauften Smartphones eSim-fähig sein.
Das wachsende Angebot spiegelt sich schon jetzt deutlich in der Akzeptanz der Kunden für die Technik. Wenige Tage vor Beginn des MWC etwa meldete der deutsche Technologiespezialist Giesecke+Devrient (G+D), einer der weltweit größten Produzenten von Sim-Karten, man habe mit 100 Millionen installierten eSim einen neuen Absatzrekordwert erreicht. „Allein im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der heruntergeladenen eSim um 40 Millionen und damit um fast die Hälfte“, sagt G+D-Vorstandscherf Ralf Wintergerst. In den Jahren zuvor sei der Zuwachs langsam und linear verlaufen, „jetzt aber stehen wir mit der Nutzerakzeptanz am Knick des Hockeystocks“.
Vier von fünf neuen Smartphones mit eSIM
Auch die Mobilfunkanbieter haben ihren Widerstand gegen die virtuellen Sim-Karten mittlerweile aufgegeben. „Rund 60 Prozent der Kunden verzichten beim Vertragsschluss im Onlineshop inzwischen auf die klassischen Plastikchips und nehmen nun die eSim“, sagt etwa Ralf Kaumanns, Technologieexperte bei Vodafone Deutschland. Das deckt sich mit dem Geräteabsatz. Vier von fünf verkauften Smartphones seien bereits eSim-fähig, so der Mobilfunkmanager. Bei der Deutschen Telekom lag die eSim-Quote im vergangenen Jahr bereits bei mehr als 40 Prozent und sei weiter steigend, heißt es aus der Bonner Konzernzentrale.
Tonnenweise Müll- und CO2-Reduktion
Das rechnet sich auch für die Netzbetreiber, denen der Umstieg auf die virtuellen Kundenkarten nicht bloß Massen an Verpackungsmüll, sondern auch Logistikosten in Millionenhöhe spart, wie das Beispiel Vodafone belegt. Als der Konzern etwa im Frühjahr das Format seiner Plastik-Sim-Karten halbierte, bedeutete das für das Unternehmen bei rund zehn Millionen jährlich in Deutschland verschickten Karten bereits eine Reduktion des damit verbunden Plastikmülls um rund 20 Tonnen und des Ausstoßes von klimaschädlichem Kohlendioxid um 300 Tonnen.
Bereits im laufenden Jahr, so Prognosen der Marktforscher von Juniper Research, werde die Zahl eSim-fähiger Telefone weltweit eine knappe Milliarde Stück erreichen und bis 2027 schon auf 3,5 Milliarden Geräte steigen. Das wäre dann bereits mehr als ein Drittel aller seit dem Start der digitalen Mobilfunknetze in den frühen 1990er-Jahren von G+D ausgegebenen klassischen Plastik-Sim-Karten.
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