Fast jeder Elektroautofahrer kennt diese Situation: Man ist schon eine Weile unterwegs auf der Langstrecke, der Ladestand der Batterie neigt sich dem Ende zu. Zum Glück zeigt das Navi ein paar freie Säulen in der Nähe an. Doch dann beginnt der Ärger: Die Säule lässt sich aus irgendeinem Grund nicht freischalten. Weder per Karte, noch mit dem via QR-Code hastig aufgerufenen Link zur Webseite des Betreibers. Leichte Panik kriecht ins Cockpit: Nochmal versuchen? Oder lieber weiterfahren zur nächsten Ladesäule in der Nähe? Auf die Gefahr hin, dass von der kargen Restladung im Auto noch mehr vergeudet wird und die nächste wieder keinen Strom herausrückt?
Vor allem im Ausland, wenn auch noch fremdsprachige Anleitungen an der Säule und Call Center im Spiel sind, kann das schnell zur Nervenprobe werden. Auch Michael Lohscheller kennt das Problem. In vielen Ländern Europas gebe es erst „eine Handvoll Ladestationen“, sagt der Chef des Autobauers Opel. Aus seiner Sicht ist die Ladeinfrastruktur für E-Autos noch zu lückenhaft und fehleranfällig – und damit das größte Hindernis bei der Elektrifizierung der Mobilität.
„Wir nehmen den Klimawandel wirklich sehr ernst“, beteuert Lohscheller im Podcast Chefgespräch mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli, „wenn ich mit meinen Kindern rede, ist das das einzige, das sie an meiner Arbeit interessiert.“ Tut ihr genug? Fragten die, so Lohscheller. „Baut ihr genug Elektroautos?“ Doch die Autoindustrie könne das Problem nicht alleine lösen, meint Lohscheller. Am Ausbau der Ladeinfrastruktur müssten sich auch andere beteiligen. Und ohne diese Infrastruktur würden die Kunden langfristig nicht in der nötigen Masse auf Elektroautos umsteigen. Ob diese Klage aber berechtigt ist, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein. Schließlich macht es der Elektro-Pionier Tesla seit Jahren vor, dass Autokonzerne sich auch um die Ladesäulen kümmern können. Tesla-Kunden finden in ganz Westeuropa und Nordamerika im Schnitt etwa alle 80 Kilometer eine freie Schnellladesäule entlang der Autobahnen und Interstate-Highways. Warum sollte das nicht auch den anderen, teils viel größeren Herstellern gelingen?
Andererseits ist der Vergleich nicht ganz fair. Tesla hat keine Altlasten: keine Pensionsverpflichtungen, keine überalterte Belegschaft, deren Qualifikationen mehr auf mechanische Präzision denn auf Elektrochemie, Leistungselektronik und Software ausgelegt sind. Keine teuren Maschinen und Fabriken, die nur Verbrennungsmotoren produzieren können und die noch nicht abgeschrieben sind. Keine Politiker und Gewerkschafter im Verwaltungsrat. Und keine Aktionäre, die jährliche Dividenden sehen wollen – sondern Investoren, denen es vor allem um die Perspektiven für die Zukunft geht. Und die dafür bereit waren, horrende Verluste in der Gegenwart zu akzeptieren.
Netz noch lückenhaft
Berechtigte Klage oder nicht: Opel-Boss Lohscheller rührt an einen wunden Punkt. Wenn 2030 wirklich jedes zweite Auto ein E-Auto sein soll, wie es die Klimaziele und CO2-Flottengrenzwerte der EU implizit vorsehen, dann muss die entsprechende Ladeinfrastruktur zwingend mitwachsen. Sonst werden die Kundinnen die E-Autos trotz noch so hohen staatlichen Zuschüssen, trotz Begeisterung über Fahrspaß und geringe Wartung, schlicht nicht kaufen. Vernünftig laden zu können, ist schließlich kein Luxus. Und, keine Frage, die Ladeinfrastruktur lässt in Teilen noch sehr zu wünschen übrig. Zwar wird sie nach und nach ausgebaut und die Bundesregierung fördert diesen Ausbau mit Milliardensummen, bringt inzwischen auch Gesetze auf den Weg, die diesen Ausbau weiter befördern sollen.
Doch Europas Ladenetz weist immer noch große Lücken auf. Zwar kommen per Ende 2020 auf knapp eine Million E-Autos rund 200.000 öffentliche Ladepunkte. Private Wallboxen zu Hause und halbprivate bei Unternehmen, Autohändlern oder in nicht barrierefreien Garagen und Parkplätzen nicht mitgezählt. Fünf Autos pro öffentliche Säule – das sollte doch ausreichen, möchte man denken. Doch wie so oft sagt der bloße EU-Durchschnitt nicht viel aus. Denn die Ladesäulen sind sehr ungleich verteilt. Ob man bequem durch den elektromobilen Alltag kommt, hängt extrem davon ab, wo genau man sich in der EU bewegt.
76 Prozent der 200.000 derzeit verfügbaren Ladepunkte konzentrieren sich auf nur vier Länder, hat der europäische Autoherstellerverband ACEA Ende 2020 herausgefunden. Führend sind die Niederlande mit rund 51.000 Ladepunkten – fast ein Viertel des gesamten europäischen Angebots befindet sich also in dem relativ kleinen Land. Auch Deutschland steht nicht so schlecht da: Immerhin rund 41.000 Ladepunkte gibt es hierzulande inzwischen. Es folgen Frankreich mit 30.000 und Großbritannien mit knapp 29.000 Ladepunkten.
Große Lücken in Süd- und Osteuropa
„Auch in Skandinavien, Dänemark, Österreich und der Schweiz ist das Angebot inzwischen sehr gut“, sagt Martin Klässner, CEO von Has-to-Be aus Salzburg. Das Unternehmen entwickelt Software für Ladesäulenbetreiber und bietet deren Fernwartung an. „Schwierig werden kann es mitunter in Südeuropa, und je weiter man nach Osten fährt, desto brenzliger wird es“, so Klässner. Betroffen sind leider auch die beliebten Urlaubsländer Spanien, Portugal, Italien, Kroatien und Griechenland. In Griechenland hat der ACEA nur 61 Ladepunkte gezählt. Davon fast ein Drittel im Großraum Athen. Da wird klar: die Fahrt aufs Land muss man hier entlang der wenigen Ladepunkte planen.
„Von einer fast flächendeckenden Autostrom-Versorgung wie in den Niederlanden oder Kalifornien, oder gar einer Rundumversorgung wie mit Benzintankstellen, sind einige Regionen Ost- und Südeuropas leider noch sehr weit entfernt“, sagt Christian Hahn, CEO von Hubject in Berlin. Das Unternehmen baut für Stromversorger und Ladesäulenbetreiber in vielen europäischen Ländern eine Roamingplattform auf; so sollen auch E-Autofahrer im jeweiligen Ausland bequem an Strom kommen, ohne gleich Verträge mit den lokalen Anbietern abschließen zu müssen. Ganz so, wie man es vom Mobiltelefonieren im Ausland kennt.