WirtschaftsWoche: Herr Münzer, Sie sind als Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes industrieller Unternehmen in Baden mit rund 300 Autozulieferern in Kontakt. Nun berichten Sie von mieser Stimmung in der Branche. Was läuft schief?
Christoph Münzer: Das Machtverhältnis zwischen Autobauern und Zulieferern war schon immer asymmetrisch. Aber aktuell hat sich die Lage weiter verschlechtert. Es werden viel weniger Autos produziert als ursprünglich gedacht. Und die Autohersteller bauen vor allem die margenträchtigen Autos. Doch damit stimmt die Kalkulation der Lieferanten nicht mehr – denn sie haben den Herstellern die Teile ursprünglich für viel höhere Stückzahlen angeboten. Und während die Autobauer die Preise ihrer Autos für die Endkunden erhöhen und ihnen keine Rabatte mehr einräumen, bleiben viele Zulieferer auf ihren höheren Kosten für nicht abgenommene Teile, Energie und so weiter sitzen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ja. Ich nenne keine Namen von Unternehmen – aber sagen wir, es geht um einen Umformbetrieb. Die haben einen hohen Gasverbrauch. Bei einem Umsatz von 100 Millionen Euro, vier Prozent Marge und auf acht Millionen Euro verdoppelten Energiekosten war die Marge schon Anfang des Jahres weg. Unverschuldet. Jetzt sagt der Unternehmer zum Autobauer, dass er nichts mehr verdient und er so nicht weiter liefern könne. Und der Autobauer antwortet: Das ist nicht mein Problem.
Die Hersteller sind aber doch auf die Zulieferer angewiesen.
Wenn ein Hersteller einen Zulieferer unbedingt braucht, weil er ihn kurzfristig nicht ersetzen kann, dann hält er ihn manchmal mit Liquiditätshilfen gerade so am Leben – zynisch! Die Autobauer andererseits halten sich gerade an allen Fronten schadlos: Sie quetschen die Zulieferer aus, sie drehen an der Preisschraube für Auto-Käufer, geben keine Rabatte mehr, und der Staat finanziert Kurzarbeit, die wegen Lieferengpässen im Elektronik-Bauteilebereich oft gezogen wird. Und in der Öffentlichkeit spielen sie die Unschuldigen. Dieser Machtmissbrauch ist nicht in Ordnung.
Wieso gehen die Zulieferer nicht zum Kartellamt? Die könnten eine Sektoruntersuchung machen...
Das sollten wir möglicherweise verfolgen. Fakt ist aber: Die Hersteller strafen ihre Lieferanten ab, wenn sie sich kritisch äußern. Niemand kann ohne Repressalien was sagen, auch nicht zum Kartellamt. Lieferverträge werden kaltschnäuzig gebrochen, der Rechtsweg ist natürlich möglich, aber dann kauft der Autobauer sofort woanders.
Wer ist der Schlimmste unter den Autobauern?
Volkswagen wird mir gegenüber ein bisschen häufiger genannt als andere.
Warum?
Sie treten härter als die anderen auf und sehen ihre Zulieferer nicht als Geschäftspartner. VW ist sich seiner Marktmacht sehr bewusst und übt ungehemmt Druck aus. Sprache und Sitten sind rau.
Haben Sie eine Lösung?
Die Branche braucht ein neues Leitbild. Und andere Autos. Wir appellieren seit Jahren an die Vernunft. Es ist eine Frage von neuen Ideen, ganzheitlichen Konzepten und Anstand: Zulieferer müssen als Partner für Innovationen gesehen werden und nicht als preiswerte Melkkuh.
Was halten Sie von der neuen Forderung der IG Metall, die Löhne um 7 bis 8 Prozent zu erhöhen?
Die kommende Tarifrunde baut vermutlich einen enormen Kostendruck auf. Wir rechnen mit Insolvenzen.
Die Gewerkschaft ist schuld an Insolvenzen?
Sprunghaft höhere Lohnkosten schmälern die Marge weiter und irgendwann ist der Spaß vorbei. Schon heute sind von unseren insgesamt 1040 Mitgliedsunternehmen nur 8 Prozent im Tarifvertrag – die restlichen können sich das längst nicht mehr leisten. Noch höhere Kosten würden viele Zulieferer nicht verkraften.
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