Vernetzte Fahrzeuge Konzerne beginnen Autofahrer zu bevormunden

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Datensammlung in riesiger Grauzone

So sündigen die Deutschen im Straßenverkehr
Verkehrsunfälle 2013Auf Deutschlands Straßen hat es 2013 weniger gekracht – zumindest im ersten Halbjahr. Die Polizei erfasste 1,15 Millionen Verkehrsunfälle, das sind rund 17.000 weniger als im ersten Halbjahr 2012. Dabei starben 1.454 Menschen, im Vorjahreszeitraum waren es noch 1.693. Die Tendenz ist positiv - trotzdem bleibt noch viel zu tun, wie die folgenden Daten aus dem Verkehrszentralregister (VZR) und einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigen. Quelle: dpa
Männer sind die größeren VerkehrssünderEin Blick ins VZR zeigt: Hier sind deutlich mehr Männer als Frauen gelistet. Gerade mal zwei Millionen der rund neun Millionen Eintragungen ist weiblich. Auch laut einer aktuellen Umfrage der GfK im Auftrag der Gothaer Versicherungen sind Frauen deutlich braver hinterm Steuer als Männer. Quelle: dpa
Beliebtestes Vergehen: Zu schnell fahrenZu schnelles Fahren ist das häufigste Vergehen im Straßenverkehr. 56,9 Prozent der rund neun Millionen im VZR eingetragenen Fahrer, sind wegen zu hoher Geschwindigkeit im Register gelandet. Auch in der GfK-Studie geben mit 41, 7 Prozent die meisten Befragten zu, 2013 öfter stärker aufs Gaspedal gedrückt zu haben, als erlaubt. Quelle: dpa
Am Steuer telefonierenAm zweithäufigsten gaben die Befragten der GfK-Studie an, hinterm Steuer zu telefonieren. Das machen 19,3 Prozent gerne, ohne die obligatorische Freisprechanlage zu benutzen. Quelle: dpa
Essen und trinken am SteuerEssen und trinken sind beim Fahren zwar nicht verboten, können jedoch ablenken: Etwa wenn der Ketchup aus dem Hamburger aufs Hemd tropft und man einen kurzen Blick auf den Fleck riskiert. 17,3 Prozent der Teilnehmer der GfK-Umfrage gaben an, vergangenes Jahr hinterm Steuer gegessen oder getrunken zu haben.  Damit ist das die dritthäufigste Sünde im Straßenverkehr. Quelle: dpa
Attraktiven Frauen und Männern hinterherguckenDie Verlockungen des anderen Geschlechts verführen überall: 14 Prozent konnten ihnen 2013 nicht widerstehen und schauten beim Fahren attraktiven Frauen oder Männern hinterher. Hier ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern besonders groß. Während sich nur fünf Prozent der Frauen nicht zusammen reißen konnten, waren es bei den Männern ganze 22 Prozent. Quelle: AP
Über rote Ampeln fahrenRichtig gefährlich wird es, wenn Menschen bei rot über die Ampel fahren.  Elf Prozent der durch die GfK befragten Autofahrer haben zugegeben, dies 2013 bereits getan zu haben. Quelle: dpa

Wo die Reise hingehen kann, zeigt ein Beispiel: Seit Januar 2013 ist eine neue Kfz-Police der Düsseldorfer Sparkassen-Direktversicherung mit Telematik-Option auf dem Markt. Der Kunde muss sein Auto mit einer Telematik-Box ausstatten, die überwacht, ob er eher vorsichtig oder aggressiv fährt. Sie registriert überhöhte Geschwindigkeit, hastiges Bremsen und Beschleunigen, Nacht- und Stadtfahrten. Verhält der Fahrer sich vorbildlich, sinkt sein Versicherungsbeitrag um bis zu fünf Prozent. Der Versicherer bekommt nur eine abstrakte Punktzahl übermittelt, die den Fahrstil benotet.

Trotz der Anonymisierung sieht Michael Brenner, Rechtsprofessor an der Jenaer Universität, in dieser Entwicklung einen klaren Trend in Richtung „entmündigter und gläserner Autofahrer“. „Die Datensammlung geschieht in einer riesigen Grauzone“, kritisiert Brenner. Wem etwa gehören die Daten aus dem Auto? Sie sind Eigentum des Fahrers, wenn sie sich ihm eindeutig zuordnen lassen. Doch das ist bei Messwerten, die zum Beispiel das Steuergerät des Elektronischen Stabilitäts-Programms speichert, oft nicht möglich.

Und spätestens wenn ein Unfall passiert und die Polizei die Personalien des Fahrer aufnimmt, wird es zusätzlich brisant. „Sobald sich Daten einem einzelnen Fahrer zuordnen lassen, dürfen sie nach dem Bundesdatenschutzgesetz nur noch in Ausnahmefällen verwendet werden“, sagt Brenner. Sonst könnte etwa bei einem Unfall das eigene Fahrzeug den Autofahrer verraten. Das würde einen wesentlichen Grundsatz des deutschen Rechts verletzen: Niemand muss sich selbst belasten.

Daniela Mielchen, Hamburger Verkehrs-Rechtsanwältin, die sich für den Deutschen Anwaltverein um das Thema vernetztes Fahren kümmert, fordert „einheitliche Regelungen darüber, welche Daten erhoben werden, wie lange sie gespeichert und an wen sie weitergeleitet werden“.

Umso mehr als die Datensammelwut schnell zu schwierigen moralischen und rechtlichen Fragen führt: Die Infos aus dem Fahrzeug könnten etwa entlarven, wer an Zebrastreifen oder Fußgängerampeln häufig aggressiv fährt. Rein statistisch betrachtet, könnte man dem Fahrer unterstellen, dass er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit demnächst einen schweren Unfall verursacht. Soll die Polizei dem Fahrer in so einem Fall zum Schutz von Kindern die Fahrerlaubnis entziehen, ihn vorsorglich zur medizinisch-psychologischen Untersuchung schicken?

Der Albtraum des Science-Fiction-Thrillers „Minority Report“ aus Hollywood würde im Auto Wirklichkeit: Jemand wird bestraft, ohne dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen.

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