Im Winter die Solaranlage für den eigenen Balkon kaufen? Was kurios klingt, könnte in der aktuellen Energiekrise eine kluge Entscheidung sein. Angesichts hoher Energiepreise und der weit verbreiteten Angst vor Blackouts bereiten sich Deutschlands Unternehmen längst auf den Ernstfall vor. Der Wunsch nach Autarkie wächst. Privathaushalte fragten zuletzt Solaranlagen für den Balkon, sogenannte Balkonkraftwerke, deutlich mehr nach – was teils zu sehr langen Wartezeiten führte.
Balkonkraftwerke sind eine Option für die vielen Deutschen, die zur Miete wohnen und daher keine Solaranlagen auf ihr eigenes Dach stellen können. Zwar erzeugen sie deutlich weniger Energie als eine Solaranlage auf dem Dach. Den erzeugten Strom können Mieterinnen und Mieter aber direkt vom Balkonkraftwerk abzapfen. Denn ein Wechselrichter in der Anlage wandelt die Energie von Gleich- in Wechselstrom um.
So können heimische Geräte direkt an einen Stecker des Balkonkraftwerks angeschlossen werden. Die Anlagen werden daher auch Stecker-Solargeräte genannt.
Wie beim Gas, so beim Strom? – Sorgen um Knappheit im Winter
Genau kann das noch niemand sagen. Eine erst vor wenigen Tagen vom Wirtschaftsministerium veröffentlichte Analyse zur Stromversorgung kommt zwar zu dem Ergebnis, „dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 gewährleistet ist“. Doch so ganz traut man dem wohl nicht. Denn das Haus von Robert Habeck (Grüne) gab bereits einen zweiten Stresstest in Auftrag, bei dem Experten die Belastbarkeit der deutschen Stromversorgung unter „weiter verschärften Bedingungen“ – noch weniger Gaslieferungen, noch weniger Atomstrom aus Frankreich – prüfen und modellieren sollen.
Energieexperten, die von der Deutschen Presse-Agentur befragt wurden, zeigten sich allerdings überwiegend recht zuversichtlich, dass das Netz der Belastungsprobe gewachsen sein wird. Tobias Federico, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Energy Brainpool, sagte: „Ich persönlich bereite mich nicht auf einen Blackout vor.“ Die Fachleute erwarten trotz der Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke zum Jahresende im Winter keine großen Engpässe beim Strom, auch weil Steinkohlekraftwerke aus der Reserve geholt würden.
Christoph Maurer vom auf Energie spezialisierten Berater Consentec hält die Lage für angespannt, aber grundsätzlich in einem normalen Winter beherrschbar. Vorsichtiger gab sich Thorsten Lenck von Agora Energiewende: „Nach unseren bisherigen Analysen ist es durchaus möglich, dass es im Winter in einigen Stunden knapp werden könnte.“
Mindestens vier, wenn man den Experten glauben darf: die massiven Probleme Frankreichs mit seinen Akw, mögliche Wetterextreme, die Versorgungslage der Gaskraftwerke und das Verhalten der Verbraucher.
Einer der größten Risikofaktoren ist ausgerechnet das Nachbarland Frankreich. Dort steht ein großer Teil der Kernkraftwerke gerade nach Entdeckung kleiner Risse im Notkühlsystem oder wegen Wartungsarbeiten still. Gelinge es nicht, genügend dieser Atomkraftwerke rechtzeitig wieder ans Netz zu bringen, könne dies aufgrund der europäischen Vernetzung zur Herausforderung für die deutschen Versorger werden, warnten Lenck und Maurer. Besonders kritisch könne es in einem kalten Winter werden, weil in Frankreich viel mit Strom geheizt werde.
Zweites Risiko: Wetterkapriolen. Besonders kritisch kann eine „Dunkelflaute“ sein – mehrere Tage mit wenig Wind- und zugleich kaum Solarstrom. Passiere das in Deutschland und Frankreich gleichzeitig und komme dann noch eine Kältewelle, sei das bedenklich, so Federico.
Drittes Risiko: die Versorgung der Gaskraftwerke mit ausreichend Brennstoff. Zwar machen sie nur einen recht kleinen Teil der Kapazitäten in Deutschland aus. Doch bei Lastspitzen können sie entscheidend sein, um die Netzstabilität zu sichern, betonte Lenck. 2021 stammten gut 15 Prozent der insgesamt erzeugten Elektrizität aus der Gasverbrennung – nun soll wegen der unsicheren russischen Lieferungen vorhandenes Gas aber mehr zum Heizen reserviert werden.
Und schließlich das schwer vorherzusagende Verbraucherverhalten. In den letzten Wochen hat die Nachfrage nach elektrischen Heizgeräten – vom Heizlüfter bis zur Konvektorheizung – deutlich zugenommen. Würde wirklich in großem Umfang damit geheizt, könnte das die Stromnetze in die Knie zwingen, warnte Maurer: „Das ist ein Szenario, das man fast um jeden Preis verhindern muss.“ Denn es würde die Möglichkeiten des Stromnetzes sowohl bei der Erzeugung als auch beim Transport überfordern. Die wachsende Zahl von E-Autos sei bisher noch kein Problem, meinte der Experte.
Sparsamer Umgang mit Strom empfiehlt sich schon mit Blick auf den eigenen Geldbeutel. Wie die Gas- sind auch die Strompreise zuletzt drastisch gestiegen. Im Juni lagen sie laut den Vergleichsportalen Verivox und Check24 um rund 30 Prozent über dem Vorjahresmonat. Der Wegfall der EEG-Umlage verschaffe den Verbrauchern etwas Entlastung, betonte Verivox-Energieexperte Thorsten Storck - doch sei dies wohl nur eine Atempause. „Spätestens zum Jahreswechsel rechnen wir erneut mit flächendeckenden Strompreiserhöhungen für Millionen Haushalte.“
Jedoch spricht nach Einschätzung der Branchenkenner vieles dafür, dass der Anstieg nicht so dramatisch sein dürfte wie beim Gas. „Der Strompreis wird sicher auch steigen, aber nicht ganz so heftig“, so Florian Stark von Check24. Die Entwicklung an den Strombörsen sei weniger drastisch. Zudem machten Kosten für Beschaffung und Vertrieb bei Strom „nur“ 44 Prozent des Preises aus, bei Gas über 60 Prozent.
Etliche Betriebe fürchten indes, die Mehrbelastung im Einkauf nicht mehr lange tragen zu können. Der Verband der Energie-Abnehmer (VEA) sprach jüngst von einem durchschnittlichen Strompreiszuwachs von fast 62 Prozent seit Januar. Die Lage sei mittlerweile existenzgefährdend.
Im Winter wird dies doppelt wichtig, um das Netz stabil zu halten und das Portemonnaie zu schonen. Wo und wann immer im Alltag Beleuchtung oder durchlaufende Maschinen nicht unbedingt nötig sind, lässt sich darauf verzichten. Immer wieder gibt es auch den Hinweis, nicht regelmäßig genutzte Elektrogeräte oder Unterhaltungselektronik ganz aus der Steckdose zu ziehen, statt sie im Standby-Modus zu lassen.
Außerdem könnte die Kraft-Wärme-Kopplung – die parallele Erzeugung von Strom und Wärme aus ein und demselben Brennstoff – die Effizienz erhöhen. Für Verbraucher gibt es etwa Mini-Blockheizkraftwerke. Auch in der Industrie kann der überschüssige Anteil heißen Dampfes, der nicht für die Bewegung einer Turbine und danach zum Generator-Betrieb nötig ist, weiter verwendet werden. Der Wirkungsgrad ist dann höher.
Die Werte für Deutschland verbessern sich allmählich, doch die Energiewende bleibt eine längerfristige Aufgabe. Nach Daten des Umweltbundesamts (UBA) nahm die Erzeugung von Strom aus Quellen wie Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie Bioenergie und Geothermie in der ersten Jahreshälfte um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Insgesamt kamen über 137 Milliarden Kilowattstunden an elektrischer Energie zusammen. Damit erzielten regenerative Träger Schätzungen zufolge rund 49 Prozent am Brutto-Stromverbrauch im Inland – 8 Prozentpunkte über dem Niveau von Ende 2021. Ähnliche Zahlen meldete jüngst der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Im Sommer klagten viele Verbraucher allerdings über Verzögerungen bei der Lieferung ihrer Balkonkraftwerke. Sollten sich Interessierte daher bereits jetzt im Winter ein Balkonkraftwerk bestellen, damit sie dann ab dem Frühjahr ihren eigenen Strom erzeugen können? Wie viel kostet eine Solaranlage für den Balkon? Und ab wann lohnt sich ein solches Balkonkraftwerk?
Alle wichtigen Fragen und Antworten zum Thema Balkonkraftwerke im Überblick:
Wie viele Solaranlagen auf Balkonen gibt es in Deutschland aktuell?
In Deutschland waren Ende 2021 etwa 190.000 Balkonkraftwerke installiert. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Die Studie verzeichnet zwischen 2020 und 2021 eine Verdopplung der Nachfrage. Aktuelle Zahlen gibt es nicht, Hersteller meldeten aber bis zum Sommer eine hohe Nachfrage. Die Zahl der installierten Solaranlagen auf deutschen Balkonen dürfte also weiter steigen.
Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt die kumulierte Leistung der Balkonkraftwerke auf 120 Megawatt. Das entspricht etwa der Nennleistung von zwanzig neuen Windrädern. Zum Vergleich: Allein im ersten Halbjahr 2022 wurden 3,5 Gigawatt an Photovoltaik-Anlagen zugebaut. Der Bundesverband Solarwirtschaft schreibt, aufgrund der „derzeit noch überschaubaren Verbreitung“ von Balkon-Solaranlagen liege ihr Anteil an der gesamten Stromerzeugung in Deutschland aktuell noch „im Promillebereich“.
Wartezeiten: Wie lange dauert es, bis die bestellte Solaranlage beim Käufer ankommt?
Aufgrund von Lieferkettenproblemen und der stark gestiegenen Nachfrage meldeten viele Hersteller von Balkonkraftwerken im Sommer Verzögerungen bei den Lieferungen um mehrere Wochen. Bei der Verbraucherzentrale heißt es, Kunden sollten sich auf mehrere Wochen Verzögerung einstellen: Martin Brandis, Experte der Energieberatung der Verbraucherzentrale berichtet, er habe selbst zwölf Wochen auf ein Angebot warten müssen. Das Wirtschaftsministerium schrieb im Sommer von Lieferzeiten von mindestens sechs Monaten.
Sollten Interessierte daher schon im Winter ihre Solaranlage kaufen, damit sie ab dem Frühling den eigens erzeugten Strom nutzen können? Dafür spricht, dass aufgrund der geringeren Nachfrage die Wartezeiten aktuell etwas geringer ausfallen dürften als vor einem halben Jahr. Andererseits gibt Energieberater Brandis zu bedenken, dass die meisten Verbraucher ihr Balkonkraftwerk selbst montierten. Sie müssten selbst entscheiden, ob sie das auch bei Regen, Schnee und Kälte tun wollen. Viele warteten lieber auf etwas wärmere Monate, um ihre Anlage zu installieren, meint Brandis.
Wie viel kosten Solaranlagen für den Balkon?
Die Kosten für Balkonkraftwerke variieren je nach Leistung und Hersteller. Günstige Modelle beginnen bei 300 Euro, größere Anlagen mit 600 Watt Leistung können bei etwas mehr als 1000 Euro liegen. Allerdings ist dies nur der Preis der Anlage inklusive Halterung für die Balkonbrüstung.
Wer die Anlage nicht selbst installiert, muss noch die Kosten für die Installation addieren. Und ohnehin fallen weitere Kosten an, wenn man die installierte Solaranlage ordnungsgemäß nutzen möchte (siehe „Was müssen Mieter bei der Installation von Solaranlagen beachten?“).
Wie viel Strom lässt sich mit dem Balkonkraftwerk erzeugen und somit einsparen?
Wie viel Strom die eigene Solaranlage auf dem Balkon erzeugen kann, hängt von vielen Faktoren ab. Ein nach Norden ausgerichteter Balkon verfügt natürlicherweise über deutlich weniger Sonneneinstrahlung als ein Südbalkon. Weitere Einschränkungen bei der verfügbaren Solarenergie können Bäume oder Nachbarhäuser sein, die zu bestimmten Tageszeiten Schatten auf den Balkon werfen.
Ebenso wichtig ist die Neigung der Solarmodule. Ein Balkonkraftwerk, das senkrecht an der Balkonbrüstung angebracht ist, ist logischerweise nicht besonders effizient, da es über weniger direkte Sonneneinstrahlung verfügt. Deutlich mehr Solarenergie können Module erzeugen, die schräg montiert sind.
Wer eine Vorstellung davon haben will, wie viel Strom und Geld mit einem Balkonkraftwerk gespart werden könnten, kann den „Stecker-Solar-Simulator“ der HTW Berlin nutzen. Als konservative Schätzung gilt für eine 300 Watt-Anlage eine Stromerzeugung von 200 Kilowattstunden pro Jahr – so viel Strom verbrauchen durchschnittliche Waschmaschinen.
Lohnt sich der Kauf eines Balkonkraftwerks?
Mit einer kleinen Solaranlage auf dem Balkon lassen sich jährlich nach aktuellen Strompreisen bis zu 100 Euro einsparen. Je nachdem, welche politischen Maßnahmen wie die Strompreisbremse angesichts der hohen Energiepreise beschlossen werden, kann diese Summe variieren. Fest steht jedenfalls, dass Mieter den Kaufpreis eines Balkonkraftwerks erst nach mehreren Jahren durch Einsparungen wieder ausgleichen können. Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt, angesichts der derzeitigen Energiepreise rechneten sich die Anlagen sehr gut.
„Reich wird damit keiner“, sagt Energieexperte Martin Brandis. Balkonkraftwerke seien „kein Modell, um in kurzer Zeit das Geld wieder reinzuholen“. Aber: „Bei steigenden Strompreisen sind sie im Moment für viele Haushalte sehr attraktiv.“ Angesichts der hohen Volatilität auf dem Energiemarkt und zudem vermehrter Debatten über mögliche Blackouts könnten sich Balkonkraftwerke also auch als eigene Energiequellen lohnen, unabhängig von der finanziellen Entscheidung. Zudem sind sie eine Maßnahme zum Klimaschutz.
Was müssen Mieter bei der Installation von Solaranlagen beachten?
Der Bundesverband Solarwirtschaft weist darauf hin, dass Stecker-Solargeräte sowohl beim Netzbetreiber als auch beim Marktstammdatenregister angemeldet werden müssen. Allerdings kritisiert der Verband „den derzeitigen bürokratischen Aufwand bei der Anmeldung“ als „unverhältnismäßig“. Der Verband fordert eine Bagatellregelung für solche kleinen Anlagen.
Außerdem müssen Mieter ihre Balkonkraftwerke zusätzlich technisch ausstatten: „Die Netzbetreiber verlangen eine Einspeisesteckdose, die von einem Fachunternehmen angebracht werden muss“, sagt Martin Brandis. Das könne einen dreistelligen Betrag kosten. Bei einem Balkonkraftwerk mit einigen hundert Kilowattstunden pro Jahr „ist die Wirtschaftlichkeit damit schon gefährdet“, so Brandis. Auch er fordert, bürokratische Hürden abzubauen: „Der offizielle Weg zur Installation eines Balkonkraftwerks sollte leichter werden.“
Oftmals nähmen Verbraucher Abstand von dem Vorhaben, ein Balkonkraftwerk zu kaufen, weil die Installation mit zu vielen Bedingungen verbunden sei. Und viele Verbraucher nutzten ihre Balkonkraftwerke heimlich, ohne den offiziellen Weg zu bestreiten und ihre Anlage beim Netzbetreiber anzumelden. Das empfehle die Verbraucherzentrale aber explizit nicht, mahnt Brandis.
Können Mieter selbst entscheiden, ob sie eine Solaranlage auf ihrem Balkon installieren?
Nein. „Mieter sollten das Einverständnis des Eigentümers einholen“, rät Energieberater Brandis. Das sei zum Beispiel notwendig, wenn das Gerät an der Fassade oder der Brüstung des Balkons montiert werde – was auf die meisten Balkonkraftwerke zutrifft. Auch sollte mit dem Eigentümer besprochen werden, falls Änderungen an der Elektroinstallation vorgenommen werden.
Vermieter können die Balkonkraftwerke aber nicht grundlos verbieten. Auf die Balkon-Solaranlage hätten Mieter „regelmäßig einen Anspruch, wenn der Anbau nicht in die Bausubstanz eingreift“, heißt es dazu vom Berliner Rechtsanwalt Uwe Bottermann. Komplizierter sei die Situation für Wohnungseigentümer. Er empfehle Eigentümern in einer Hausgemeinschaft, „vor dem Anbau die Zustimmung der übrigen Eigentümer einzuholen“, schreibt der Anwalt. Nach der bisherigen Rechtsprechung bestehe kein Anspruch auf eine Zustimmung der Eigentümer-Gemeinschaft.
Welche Rolle spielen Balkonkraftwerke bei der Energiewende?
Bezogen auf die Menge des produzierten Stroms werden Balkon-Solaranlagen kein Treiber der Energiewende in Deutschland sein. Allerdings hebt der Bundesverband der Solarwirtschaft hervor, der Vorteil der Anlagen bestehe darin, dass der Solarstrom dort produziert wird, wo er verbraucht wird. Außerdem steige durch Balkonkraftwerke „die Akzeptanz der Energiewende“. Martin Brandis von der Verbraucherzentrale sagt sogar: „Wenn ein erheblicher Teil der Mietwohnungen damit ausgestattet wird, kann das in der Summe viel ausmachen.“
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