Fleisch „Wenn sich Fleischhersteller nicht ändern, enden sie wie Kodak“

Laut einer aktuellen Forsa-Studie wollen aber 55 Prozent der Deutschen weniger Fleisch konsumieren - um sich gesünder, klimafreundlicher und nachhaltiger zu ernähren. Quelle: REUTERS

Dank Tönnies: Die Expertin für den pflanzlichen Lebensmittelmarkt bei der NGO ProVeg, Ulrika Brandt glaubt, dass der Siegeszug alternativer Fleischprodukte kaum noch aufzuhalten ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Schufterei in Schlachthöfen, Coronavirus-Ausbrüche, Keime im Kotelett - die Fleischindustrie steht aktuell mächtig in der Kritik. Zeigt sich das auch im Supermarktregal? 
Ulrika Brandt: Ja, der Markt für rein pflanzliche Produkte ist rasant gewachsen. Im März und April ist in den USA laut den Marktforschern von Nielsen die Nachfrage nach pflanzenbasierten Produkten um 268 Prozent nach oben geschossen, Hafermilch konnte sogar um mehr als 400 Prozent zulegen. Die Nachfrage nach Fleisch vom Tier legte dagegen nur um 40 Prozent zu. Und deutschen Herstellern geht es genauso.

Alles wegen Corona?
Schon vor der Coronapandemie haben pflanzliche Produkte ihre tierischen Alternativen bei den Zuwachsraten abgehängt. Viele Faktoren kommen zusammen: Das sich für alle spürbar ändernde Klima, Berichte über den enormen Wasser- und Landverbrauch der Fleisch- und Milchproduktion, über die unethische Haltung von Tieren, aber auch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein. Die Pandemie machte der breiten Bevölkerung jetzt auch erstmals den Zusammenhang bekannt zwischen Massentierhaltung und Zoonosen, also von Tieren übertragbaren Infektionskrankheiten wie Covid-19.

...was aber vor allem asiatische Märkte zu betreffen scheint, wo die Tiere vor Ort geschlachtet werden.
Nein, das ist nicht nur weit weg auf irgendwelchen Tiermärkten der Fall. Das findet überall in der Massentierhaltung statt, wo Tiere auf engstem Raum gehalten werden. Also auch bei uns in Deutschland. Die Spanische Grippe etwa, der 1918 weltweit mehr als 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen, ist so entstanden. Sie ist durch Schweine auf den Mensch übertragen worden. 75 Prozent aller neuen Infektionskrankheiten sind tierischen Ursprungs, also Zoonosen.

Ulrika Brandt ist Expertin für den pflanzlichen Lebensmittelmarkt bei der internationalen Ernährungsorganisation ProVeg mit Sitz in Berlin, die sich für pflanzliche Ernährung einsetzt. Quelle: WirtschaftsWoche (M)

Mit pflanzlichen Produkten passiert das nicht? 
Die Herstellung von pflanzlichen oder auch kultivierten Fleischalternativen ist sicher. Die einfache Formel lautet: Kein Fleisch vom Tier - keine Gefahr durch Zoonosen.

Von dieser Einsicht bis zum Verzicht auf Fleisch ist es aber ein weiter Weg.
Laut einer aktuellen Forsa-Studie wollen 55 Prozent der Deutschen weniger Fleisch konsumieren - um sich gesünder, klimafreundlicher und nachhaltiger zu ernähren. Vielen liegt auch das Tierwohl am Herzen. Zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung gehört es, sich von lang gepflegten Gewohnheiten zu verabschieden. Und das ist grundsätzlich schwer.

Und setzt natürlich voraus, dass die alternativen Lebensmittel bei den Verbrauchern auch gut ankommen.
Absolut. Geschmack ist das A und O. Dann kommt die Textur, das ist das Mundgefühl. Zwei weitere wichtige Faktoren sind natürliche Zutaten und der Preis. Alle entscheiden, ob ein Produkt langfristig Erfolg haben wird. Mittlerweile gibt es sehr gute Fleischalternativen am Markt. Allerdings kommen auch noch Produkte in die Regale der Supermärkte, die gruselig schmecken. 

Schaffen es die Fleischalternativen wirklich schon aus der Nische des Biosupermarkts hinaus?
Der Markt für Fleischalternativen wird sich in den kommenden fünf Jahren mehr als verdoppeln, das Marktvolumen betrug weltweit Schätzungen zufolge 2019 bereits 12,1 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2025 soll es auf fast 28 Milliarden US-Dollar steigen. Ein plakatives Beispiel dafür, dass die Produkte im Mainstream ankamen, lieferte die letztjährige Oscar-Verleihung: Da wurden vorwiegend vegane Gerichte serviert. Dafür stark gemacht hatte sich der Schauspieler Joaquin Phoenix, der bei den Verleihungen den Oscar für seine Hauptrolle in Joker bekam.

Haben da überzeugte Fleischesser nicht aufgeheult?
Ich glaube nicht. Die Auswahl war sehr groß und vielfältig. Und gerösteter Blumenkohl-Toast mit bittersüßen Schalotten, goldenen Rosinen und Sumac oder Süßkartoffel-Tempura mit Minz-Koriander-Aioli, um nur zwei Vorspeisen aus dem Oscar-Menü zu nennen, sind außerordentlich lecker.

Aber sind die Fleischalternativen zu Burger, Hack oder Geschnetzeltem auch wirklich gesund? Oft heißt es, jüngst etwa vom Umweltbundesamt, darin seien jede Menge Zusatzstoffe, die gesundheitlich bedenklich seien?
Da sind leider viele Gerüchte und nicht sehr fundierte Einzelmeinungen im Umlauf. Eine wissenschaftlich aufgebaute Studie, die das bestätigen würde, gibt es nicht. Wir raten Herstellern aus der Lebensmittelindustrie immer zu einem Clean Label. Das bedeutet, möglichst wenige und natürliche Zutaten zu verwenden. Generell haben die Produkte viele Vorteile gegenüber Fleisch von Tieren.

Zum Beispiel?
Sie verfügen über hochwertige pflanzliche Proteine, sind meist weniger fett und enthalten zudem weniger gesättigte Fettsäuren. Cholesterin, wie im Fleisch, ist gar nicht vorhanden. Im Gegensatz zu ihren tierischen Pendants verfügen sie sogar über die für Darmgesundheit außerordentlich wichtigen Ballaststoffe. Und: Sie sind nicht krebserregend.

„Die Gladiatoren im alten Rom waren Vegetarier“

Davon sollte man doch eigentlich ausgehen.
Sicher, aber für Fleisch vom Tier gilt das nicht. Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits 2015 verarbeitetes Fleisch als krebserregend der Gruppe eins eingestuft. Das bedeutet, dass ausreichende Beweise aus epidemiologischen Studien vorliegen, dass Lebensmittel wie Speck, Wurst und Schinken Krebs verursachen. Rotes Fleisch wie Rindfleisch, Kalbs-, Lamm- und Schweinefleisch wurde in Gruppe 2A eingeordnet, das heißt, dass diese Lebensmittel wahrscheinlich Krebs verursachen.

Dabei heißt es immer, Fleisch mache stark.
Es ist ein lang gehegtes Vorurteil, dass tierische Proteine aus Fleisch- und Milch entscheidend für  herausragende, sportliche Leistungen oder Kraft sind. Das Gegenteil ist der Fall. Sie wirken übersäuernd und fördern Entzündungen. Wussten Sie, dass die Gladiatoren im alten Rom Vegetarier waren? Pflanzliche Produkte bräuchten eine großangelegte Image-Kampagne, wie sie jahrzehntelang von der Fleisch- und Milchindustrie gefahren wurden - übrigens unterstützt mit EU-Geldern.

Sie meinen Kampagnen wie „Die Milch macht’s!“?
Ja, und das war nur der Slogan der Kampagne, die in den Achtzigerjahren lief. Schon davor, seit den 50ern bis heute, hat die Milchwirtschaft viele Millionen investiert, um mehr Milch zu verkaufen. Dabei wurde immer suggeriert, Milch sei gesund und müsse deshalb täglich getrunken werden. 



Und das ist falsch?
Kuhmilch enthält neben tierischen Fetten, Zucker und Allergenen das kritische Wachstumshormon IGF1. Ein häufiger und starker Konsum erhöht nachweislich sogar das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken. Renommierte Ernährungswissenschaftler sagen auch ganz deutlich, dass Kuhmilch für unsere Ernährung nicht essenziell ist. Wenn das so wäre, würden auch mehr als zwei Drittel der Menschheit nicht überleben. Sie können Kuhmilch nicht beschwerdefrei trinken, weil ihnen ein Enzym für die Verdauung des Milchzuckers fehlt.

Wäre es da nicht schlauer, wenn sich die Hersteller von pflanzlichen Produkten bewusst von tierischen Produkten absetzen, statt weiter von Hack oder Burgern zu sprechen?

Nein, denn Begriffe wie Fleisch, Käse, Fisch sind gelernt. Jeder weiß, was es ist. Und wenn auf der Packung „rein pflanzlich“, „wie“ Gyros oder das „V-Label“ steht, das nur vegetarische oder vegane Produkte bekommen, dann ist das für die Verbraucher eindeutig.

Vorbehalte haben dennoch offensichtlich viele. Laut einer Umfrage der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Körber-Stiftung kann sich aber nur ein knappes Viertel der Befragten Laborfleisch als Alternative vorstellen.
Dabei geht es um das Thema kultiviertes Fleisch. Das ist den meisten Konsumenten noch nicht wirklich bekannt. Und wenn das aus Zellkulturen entwickelte Fleisch, das wie beim Bierbrauen in einer Art Braukessel hergestellt wird, lapidar als Laborfleisch bezeichnet wird, dann ruft das natürlich negative Assoziationen hervor. Den Herstellern ist klar, dass sie im Vorfeld die Vorteile kommunizieren müssen. Es wird auch noch einige Zeit dauern, bis diese Produkte auf den Markt kommen. Aber die aktuellen Entwicklungen sind aber vielversprechend.

Aber könnte es nicht auch sein, dass die Konsumenten nach der Corona-Pandemie wieder in alte Muster zurückfallen - und sich wie eh und je Billigfleisch auf den Grill werfen?
Nein, denn die großen Probleme der Fleischindustrie bleiben ja: die sich verstärkende Klimakrise und der damit verbundene Druck des Kapitalmarkts auf die Unternehmen, sich nachhaltiger aufzustellen. Das globale Bevölkerungswachstum und die Erkenntnis, dass wir mit der bisherigen Art, Fleisch und Milchprodukte herzustellen, die vielen Menschen schlichtweg nicht mehr ernähren kann. Die Unternehmensberatung Kearney rechnet darum damit, dass Fleischalternativen aus Pflanzen und Zellkulturen schon im Jahr 2030 knapp 30 Prozent des Fleischmarkts Marktes ausmachen werden.

Und was wird aus den Fleischherstellern? 
Fleischhersteller und andere Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, die sich nicht ändern und die nicht in den Markt alternativer Proteine einsteigen, werden enden wie der Fotokonzern Kodak, der die Digitalkamera verschlafen hat: Sie werden früher oder später aus dem Markt verschwinden.

Mehr zum Thema
Während Deutschland über Skandale in Schlachthöfen diskutiert, dringen innovative Anbieter mit neuen Produkten in die Supermärkte vor. Verbraucher stürzen sich drauf – die Fleischindustrie steht vor ihrem Kodak-Moment.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%