Neue Studie Energiewende: Wie weit sind die Versorger wirklich?

Ein Heizkraftwerk am Frankfurter Westhafen. Die Stadtwerke gehören zu den Fortschrittlicheren in Deutschland, nun wollen sie die Abwärme der zahlreichen Rechenzentren in der Bankenmetropole zum Heizen nutzen  Quelle: dpa

Die deutschen Energieversorger kommen unterschiedlich schnell mit ihren Klimaschutz-Bemühungen voran. Reicht das, um die Klimaschutz-Ziele der Politik umzusetzen? Eine neue Studie gibt Auskunft.

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2030 sollen in Deutschland 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Sonne, Wasserkraft und Biogas kommen. So steht es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. 2020 war gut die Hälfte des Weges dorthin geschafft: im Durchschnitt steuerten die Erneuerbaren deutschlandweit 45 Prozent des Stroms bei.

Erzeugen, handeln und liefern sollen ihn die gut 1100 Stromversorger in Deutschland. Und die sind sehr unterschiedlich weit in ihren Dekarbonisierungsbemühungen, wie eine aktuelle Bestandsaufnahme der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman zeigt. Die Analyse entstand in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und lag der WirtschaftsWoche vorab vor.

Die Berater haben darin die Dekarbonisierungspläne der deutschen Energieversorger genauer analysiert. Die gute Nachricht: „Alle haben inzwischen eine Strategie, wie sie langfristig klimaneutral werden können“, sagt Thomas Fritz, Energiemarktexperte und COO bei Wyman Deutschland, „das war etwa vor fünf Jahren noch nicht der Fall.“ Die schlechte: Die eigenen Pläne der Energieversorger werden noch nicht ausreichen, um die Klimaschutz-Ziele der Politik ganz umzusetzen. 

Ihre persönliche Energiewende: Das sind die Aktien fürs grüne Gewissen

84 Prozent der Energieversorger planen zwar nach eigenen Angaben den Ausbau der erneuerbaren Energien in ihren Portfolios, 76 Prozent wollen ins Ladenetz für Elektroautos investieren, 48 Prozent ihre Energieeffizienz weiter verbessern und 36 Prozent haben sich den schrittweisen Rückbau ihrer fossil betriebenen Kraftwerke auf ihre Agenda geschrieben. Knapp ein Viertel strebt eine Netzoptimierung oder den Netzausbau an. Genügen aber wird all das nicht. Jedenfalls im Durchschnitt. Vor allem beim Ausbau der eigenen grünen Stromerzeugungskapazitäten hakt es.



Würden die Energieversorger ihre eigenen Pläne in Summe umsetzen, würde sich ihr Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bis 2030 gegenüber 2020 um 50 Prozent reduzieren. Behalten sie aber ihr bisheriges Tempo bei, werden sie die von der Bundesregierung geforderten 80 Prozent Erneuerbaren im Strommix jedoch insgesamt nicht erreichen. Und schon die Umsetzung der selbst gesetzten Ziele dürfte für die Energieversorger zäh werden: „Die eigentlichen Schwierigkeiten werden erst noch kommen“, sagt Fritz. Es sei relativ einfach, einen kühnen Plan aufzuschreiben und die ersten Projekte zu Erzeugung und Vertrieb Erneuerbarer aufzusetzen. „Fossile Wärme und Strom aus fossilen Quellen aber bis auf wenige Ausnahmen ganz abzuschalten, wird technisch, logistisch und finanziell schwieriger.“ Fritz vergleicht den Prozess mit der Besteigung eines Achttausenders: Das Basislager sei erreicht, aber „je weiter oben, desto schwerer fällt jeder Schritt und jeder Höhenmeter.“ 

Große Versorger unter Druck von Aktionären

Für die Studie untersuchten die Experten 24 Energieversorger in drei Größenklassen genauer: Fünf große, überregionale Versorger, wie E.On oder RWE, acht Regionalversorger und elf kleinere Stadtwerke. Die Berater bewerteten die Unternehmen nach ihrer Strategie, Art und Zustand ihrer eigenen Energieerzeugung, ihrem Energiehandel, dem Zustand ihrer Netze und ihrem Vertrieb. 

Die Dekarbonisierungsbemühungen der großen Versorger wie E.On, RWE, Vattenfall oder EnBW sind in der Tendenz schon weiter als die der kleineren Stadtwerke. Denn die Großkonzerne stünden inzwischen unter „erheblichem Druck durch ihre Anteilseigner und Kapitalgeber, mehr für den Klimaschutz zu tun“, erklärt Fritz. Das sei bei den kleinen, lokalen Versorgern bislang nur partiell so.

„Der wichtigste Hebel im Stromsektor ist eine möglichst klimaneutrale Energieerzeugung und Beschaffung – in diesem Punkt bestehen auch die größten Unterschiede“, erzählt der Co-Autor der Studie, Jörg Stäglich, der bei Oliver Wyman für das globale Geschäft mit Versorgern zuständig ist. Die Konzerne hätten zum Teil ihre Größenvorteile genutzt, um ihre Klimabilanz bei der Erzeugung etwa durch den Bau eigener Windparks zu verbessern. „Natürlich sind die Chancen für ein kleines Stadtwerk, zum Beispiel einen Offshore-Windpark zu realisieren, gering“, sagt Stäglich. 

Chancenlos seien aber auch die Kleinen auf der Erzeugerseite nicht.  Der Bau und Betrieb von Solar-Freiflächenanlagen, die Beteiligung an Onshore-Windparks, der Ausbau der eigenen Verteil- und Mittelspannungsnetze, oder auch die Möglichkeiten der Kraft-Wärme-Koppelung seien bei vielen rgionalen und lokalen Versorgern noch nicht ausgeschöpft. "Auch im Einkauf des Stroms liegen noch Potenziale, wenn neben dem Preis auch andere Faktoren berücksichtigt werden", sagt Stäglich. Bei den kleinen werde der Druck, den bei den Großversorger vor allem die Kapitalgeber ausüben, künftig vermehrt auch von den Kundinnen ausgehen, glaubt Stäglich.



Wärmewende wäre die halbe Miete

Rund die Hälfte der Kohlenstoffdioxid-Emissionen der Energieversorger stammen aus dem Wärmesektor, . „Wärme ist der wichtigste Bereich, und weil die Wärmenetze in die Zuständigkeit der kleinen und regionalen Versorger fallen, haben die hier durchaus Handlungsmöglichkeiten“, urteilt Stäglich. Gerade in dichteren Ballungsräumen sind die Möglichkeiten der Fernwärme noch nicht ausgereizt, glaubt er. Die Abwärme von Gaskraftwerken etwa, die bei der Stromerzeugung ohnehin anfällt, sollte wo immer möglich auch für Fernwärme genutzt werden. Die Stadtwerke Düsseldorf etwa tun das bereits in ihrem modernisierten Gaskraftwerk Fortuna Lausward. In München bauen die Stadtwerke ein ganzes Netz an Geothermiequellen rund um die Stadt. In 2000 bis 3000 Metern Tiefe liegen viele wasserführende Schichten, die vom Erdinneren aus aufgeheizt werden. Die Stadtwerke München betreiben bereits sechs Geothermieanlagen für Fernwärmeheizung, weitere 25 sind geplant. Von 2040 an sollen die natürlichen Wärmequellen das komplette Fernwärmenetz Münchens unterhalten. 

Frankfurt hat diesen geologischen Vorteil nicht – dafür aber viele Banken. Die wiederum benötigen Rechenzentren. Deren Abwärme will die Stadt für Fernwärme nutzen. Rund ein Fünftel des Stromverbrauchs der Bankenmetropole entfällt auf die Rechenzentren. Die produzieren dabei so viel Wärme, dass sich sämtliche Wohnungen und Büros der Stadt ausreichend damit beheizen ließen – theoretisch. Denn das Fernwärmenetz der Stadt ist aktuell nicht für die nur lauwarme Abluft der Rechenzentren ausgelegt, die bei nur 35 bis 40 Grad liegt. Es bräuchte größere Leitungen dafür. Bei Neubauten geht es schon: Im Stadtteil Gallus entstehen 1300 Wohnungen, die mit der Abwärme eines benachbarten Rechenzentrums beheizt werden sollen.  

Stadtwerke mit Schlüsselrolle in der Energiewende

Auch im Vertrieb seien bei den Stadtwerken längst noch nicht alle Hebel umgelegt, meint Stäglich. Auch kleine Stadtwerke könnten mehr Grünstromtarife für private Großverbraucher wie Wärmepumpen- oder E-Autobesitzer auflegen – immer eingedenk der Grenzen, die der Markt und die Politik dem Grünstromangebot setzten. „Dennoch schöpfen viele das Potenzial auf der Vertriebsseite noch nicht aus, zumal Befragungen zeigen, dass es bei vielen Kunden eine zusätzliche Zahlungsbereitschaft für dekarbonisierten, klimafreundlichen Strom gibt“, meint Stäglich.

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Schließlich kommt den rund 900 deutschen Verteilnetzbetreibern eine Schlüsselrolle bei der Energiewende zu, die sie weder an die Politik, noch an die größere Konkurrenz delegieren können. „Natürlich muss der grüne Strom erst einmal erzeugt werden, aber zugleich brauchen wir eine Infrastruktur, deren Transport- und Verteilnetze eine stabile Versorgung der Verbraucher gewährleisten“, erklärt Stäglich. Die Niederspannungsnetze der Stadtwerke, die letzte Meile der Elektronen auf dem Weg zum Hausanschluss, spielen deshalb eine tragende Rolle bei der Dekarbonisierung der Heizungen durch Wärmepumpen oder des Autoverkehrs durch E-Autos.

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