Tracking der Energiewende #20 Mit Gülle gegen Putin

Alle reden von der Atomkraft – dabei bieten Biogasanlagen erheblich mehr Potenzial, um einer Energieknappheit zu begegnen. Quelle: imago images

Alle reden von der Atomkraft – dabei bietet Biogas erheblich mehr Potenzial, um einer Energieknappheit zu begegnen. Doch dafür müsste sich die Förderpolitik grundlegend ändern.

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Es klingt wie ein Hoffnungsschimmer vor dem absehbar gasknappen Herbst und Winter: Der landwirtschaftliche Großbetrieb Ruhe Agrar aus Niedersachsen bringt die erste deutsche Anlage zur Erzeugung von Bio-LNG ans Netz, weitere könnten folgen. Aus Mais, Gülle und anderen landwirtschaftlichen Resten wird die Anlage Flüssiggas erzeugen. Und der Laie frohlockt gleich: Würde in all den Biogasanlagen statt Strom das begehrte LNG erzeugt, könnte das nicht unser Energieproblem auf einen Schlag lösen?

Doch Justus Ruhe von Ruhe Agrar wiegelt ab: „Was wir herstellen, ist LNG als Kraftstoffersatz, der Einsatz in der Wärmeerzeugung lohnt sich derzeit überhaupt nicht – auch wenn das technisch kein Problem wäre.“ Von grundsätzlicher Bedeutung ist seine Anlage in Darchau im Landkreis Lüneburg, die pro Tag acht Tonnen Bio-LNG erzeugen wird, trotzdem. Denn viele Biogasanlagen in Deutschland sind derzeit von der Stilllegung bedroht, da sich der Betrieb nach dem Auslaufen der festen Vergütungssätze für die Stromeinspeisung nicht mehr lohnt.

Immer mehr Betreiber steigen deshalb auf die Herstellung von Biosprit um, der als LNG in bisher mit Gas betankten Fahrzeugen zum Einsatz kommen oder von den Mineralölkonzernen dem fossilen Kraftstoff beigemischt werden kann. Theoretisch aber könnten die Anlagen noch viel mehr, schildert Ruhe: „Die Anlagen könnten ihren Beitrag leisten, um die Gasknappheit zu lindern, wenn man den Landwirten dafür die richtigen Rahmenbedingungen setzen würde.“

Die Rahmenbedingungen also. Wie so oft bei der Energiewende hakt es auch im Bereich Biogas mal wieder an der Regulierung. Einen kleinen Beitrag zur Gasversorgung leisten die Anlagen heute schon. Knapp 10.000 Biogasanlagen gibt es in Deutschland, 230 davon sind ans Gasnetz angeschlossen, speisen ihr Methan direkt dort ein. Prinzipiell könnten das alle deutschen Anlagen, die neben ein bisschen Gas derzeit vor allem sehr viel Strom liefern und immerhin knapp neun Prozent des Bedarfs im Land decken, nur rund einen Prozentpunkt weniger als die Solarenergie. Doch Ruhe sagt: „Finanziell ist die Direkteinspeisung von Biomethan derzeit eine sehr knappe Kalkulation“, für sein Unternehmen, das mit Biogas rund 15 Megawatt Strom erzeugt, so viel wie vier große Windkraftanlagen.

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Dass sich die direkte Gaserzeugung derzeit nicht lohnt, liegt vor allem an den strengen gesetzlichen Regeln. Wird in Biogasanlagen Methan erzeugt, um es direkt ins Gasnetz einzuspeisen, dürfen nur 44 Prozent der Ursprungsmasse Mais sein, der Rest muss aus Restprodukten der Landwirtschaft, etwa Gülle, bestehen. So soll verhindert werden, dass zu viel landwirtschaftliche Fläche allein für die energetische Nutzung blockiert wird. „Die Regeln für die Substratmischung müssten geändert werden, dann könnte auch die Gaserzeugung attraktiver werden“, sagt Ruhe.

Durch Zertifikate attraktiv

Derzeit kommen für die Herstellung nur Biogasanlagen infrage, deren Betreiber entweder selbst auch Vieh züchten oder die sich in einer Region befinden, in der sie einfach Gülle zukaufen können. Doch selbst dort, wo diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, entscheiden sich ordentlich kalkulierende Landwirte derzeit für die Herstellung von Biokraftstoffen, schildert Ruhe. „Neben dem eigentlichen Handelspreis sind es vor allem die Kohlendioxidzertifikate, die den Kraftstoff attraktiv machen.“ Die müssen zwar sowohl Mineralölkonzerne als auch Energieversorger erwerben, die Preise unterscheiden sich jedoch massiv. Bei Kraftstoffen liegen sie bei rund 600 Euro pro eingesparter Tonne Kohlendioxid, bei Wärme sind es nur 50 Euro.


Da die Kraftstoffmengen, welche die Bauern absetzen dürfen, ebenfalls gedeckelt sind, könnte sich bei weiter steigenden Gaspreisen zwar möglicherweise dennoch ein Absatzmarkt für das Biomethan ergeben. Die Hürden dafür sind allerdings hoch, da dafür zunächst neue Gasleitungen von der Anlage zum nächsten Einspeisepunkt gelegt werden müssen, die sich gerne mal acht oder zehn Kilometer von einem Hof entfernt befinden. Für jeden Kilometer kalkulieren Landwirte mit rund 100.000 Euro Kosten. Und schnell ginge all das schon gar nicht. „Vom Antrag bis zum Bau der Leitung vergehen derzeit mindestens drei Jahre“, sagt Ruhe. 

Vier Prozent, immerhin

Und so konzentriert sich die Branche derzeit auf einen anderen, zwar deutlich kleineren Beitrag, der sich jedoch schnell umsetzen ließe. Aufgrund der strengen Quotenregelungen für die Befüllung von Biogasanlagen nutzen die ihre Kapazität derzeit nicht voll aus. So dürfen diese nach dem Baugesetzbuch eine Gaserzeugung von 2,3 Million Normkubikmeter Biogas pro Jahr nicht überschreiten. Zudem ist die vergütungsfähige Strommenge bei jeder Anlage auf einen bestimmten Wert begrenzt, der selten der tatsächlichen Leistung entspricht.





Das Wirtschaftsministerium erwägt nun, diese Begrenzungen auszusetzen. Dann könnten die Biogasanlagen deutlich mehr Strom als aktuell liefern – der dann wiederum in Gaskraftwerken eingespart werden könnte, die derzeit noch Strom herstellen. Der Fachverband Biogas hält insgesamt eine Steigerung von im Schnitt 20 Prozent, insgesamt also 19 Terrawattstunden (TWh) Gas beziehungsweise sieben TWh Strom, für möglich. Das entspricht knapp vier Prozent der russischen Erdgasimporte vor Beginn des Kriegs in der Ukraine. Da viele Betriebe aufgrund der guten Ernten aus dem vergangenen Jahr noch über gut gefüllte Lager verfügen, wäre diese Ausweitung wohl innerhalb weniger Wochen möglich.

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