Wirtschaft von oben #360 – Blue Origin: Hier schießt Jeff Bezos jetzt die ersten deutschen Weltraumtouristen ins All
Hans Königsmann kennt sich mit Raketen aus – der gebürtige Berliner war mehr als zehn Jahre lang Vizepräsident und Chefingenieur für Raketenstarts bei SpaceX, Elon Musks Raumfahrtunternehmen. An diesem Donnerstag wagt Koenigsmann sich selbst auf einen Astronautensitz: Er wird bei Flug 37 von New Shepard mit an Bord sein, einer Suborbitalrakete des Raumfahrtunternehmens Blue Origin.
Neben Königsmann wird auch Michaela Benthaus mitfliegen, Ingenieurin bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) und nach einem Mountainbike-Unfall querschnittsgelähmt.
Koenigsmann und Benthaus sind die beiden ersten Deutschen, die an einem Flug von New Shepard teilnehmen.
Die gut 19 Meter hohe Rakete ist für Kurztrips ins All konzipiert: Vom Startplatz in Texas geht es in nur zehn Minuten hinaus ins All und wieder zurück. Dabei erreicht die Rakete die offizielle Grenze zum Weltraum bei 100 Kilometern Höhe.
Ein paar Minuten lang werden Koenigsmann und Benthaus die Schwerelosigkeit und einen einzigartigen Blick auf die Erde genießen – bis die Raumkapsel an drei Fallschirmen zurück zur Erde schwebt.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus
Seit 2021 bietet das Raumfahrtunternehmen Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos diese Suborbitalflüge an – vor allem für Weltraumtouristen. An Bord waren auch schon Star-Trek-Schauspieler William Shatner, Popstar Katy Perry und auch Bezos selbst. Mehrere hunderttausend Dollar soll ein Flugticket in der Rakete kosten. Für das Spektakel hat Blue Origin einen eigenen Weltraumbahnhof in Texas aufgebaut.
Die Touristenflüge ins All sind nur ein kleiner Teil der Weltraumambitionen des Amazon-Gründers.
23.08.2025: Im Westen von Texas hat Blue Origin diesen Weltraumbahnhof für Suborbitalflüge aufgebaut.
Schon im Jahr 2000 startete Weltraumfan Bezos Blue Origin und kündigte an, jedes Jahr eine Milliarde in die Raumfahrt zu investieren. Wenn er es hinbekäme, mit seinen Raketen die Grundlage für eine prosperierende Weltraumwirtschaft zu schaffen, sagte er 2016 in einem Interview mit dem US-Journalisten Charlie Rose, werde er mit 80 ein glücklicher Mann sein.
Lange schien es, als käme Blue Origin kaum voran, während Musks Konkurrenzunternehmen SpaceX immer größere Raketen entwickelte und wieder landen ließ, eine Satellitenflotte aufbaute und sogar den Vertrag für die astronautische Mondlandung der Nasa erhielt. Doch Bezos machte geduldig immer weiter. „Seien Sie die Schildkröte, nicht der Hase“, hatte er schon im Jahr 2004 seinen Mitarbeitern empfohlen.
Die Ausdauer zahlt sich inzwischen aus. Blue Origin hat nicht nur Dutzende Menschen ins All gebracht. Inzwischen ist auch die Schwerlastrakete New Glenn des Unternehmens erfolgreich abgehoben. Obendrein entwickeln dessen Ingenieure eine Raumstation und eine Mondlandefähre für Fracht und Astronauten der Nasa. Mehr als 10.000 Mitarbeiter arbeiten für Blue Origin, 1500 davon im neuen modernen Hauptquartier bei Seattle.
Eingeweiht im Jahr 2020, erforschen und entwickeln Ingenieure hier Technologien für Raketen und Mondfähren. Benannt ist das Hauptquartier nach dem Physiker Gerard O’Neill, der in den 70er Jahren Pläne für zylinderförmige Weltaumkolonien entwarf, mit denen Millionen Menschen dauerhaft im All leben sollten. Es ist eine Vision, die Bezos mit seinem Unternehmen in die Tat umsetzen will.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Up42/Airbus
Die Suborbitalflüge sind nur der erste Hüpfer ins All – den großen Sprung soll New Glenn erlauben. Mehr als zehn Jahre hat Blue Origin an der Rakete gearbeitet – im Januar 2025 gelang ihr erstmals der Flug.
Die Schwerlastrakete kann 45 Tonnen Fracht in den niedrigen Erdorbit bringen – ähnlich stark sind nur die Falcon Heavy von SpaceX und das Space Launch System (SLS) der Nasa. Für den Start der Riesenrakete hat Blue Origin eine eigene Startrampe am Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral aufgebaut.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth, LiveEO/Up42/Airbus
Auch am kalifornischen Weltraumbahnhof Vandenberg hat sich Blue Origin Land für eine Startrampe gesichert. Hier können Raketen in polare oder sonnensynchrone Orbits starten, was etwa für Erdbeobachtungssatelliten interessant ist, die dann immer zu ähnlichen Uhrzeiten den gleichen Ort ablichten können. Bauarbeiten haben hier aber noch nicht begonnen.
Anders als die Schwerlastrakete Space Launch System der Nasa soll die New Glenn sogar wiederverwertbar sein: Die erste Stufe soll kontrolliert zur Erde zurückkehren und auf einem Lastkahn im Meer landen. Beim ersten Flug im Januar klappte das noch nicht. Doch im November feierte das Team den Erfolg: Die Raketenstufe setzte sicher auf dem Kahn auf und kehrte auf ihm in den Hafen Cape Canaveral zurück.
Dafür hat Blue Origin eigens ein Schiff in Betrieb genommen, benannt nach Bezos’ Mutter Jackelyn. Das 115 Meter lange Vehikel wurde in Rumänien für Blue Origin hergestellt. Vor dem Raketenstart fährt das Schiff auf den Atlantik, 600 Kilometer vor die Küste von Florida. Nach einem Flug auf bis zu 127 Kilometer Höhe setzte die Raketenstufe, groß wie ein 18-Stockwerke-Hochhaus, präzise auf der Plattform im Meer auf.
26.04.2025: Im Januar ging das Landeschiff Jacklyn in Betrieb. Auf ihm landen die Raketenbooster im Meer. Links ist ein Kreuzfahrtschiff zu erkennen, darüber ein Landeschiff von Konkurrent SpaceX.
Wiederverwendbare Raketen sollen Flüge ins All preiswerter machen – und damit ganz neue Geschäftsmodelle im Orbit und darüber hinaus ermöglichen. Schon im Jahr 2022 hat Amazon 27 New-Glenn-Flüge reserviert, um sein Satellitennetzwerk Kuiper aufzubauen. Tausende Satelliten sollen weltweit schnelles Internet im All bereitstellen – und dem System Starlink von SpaceX Konkurrenz machen.
Im ersten Quartal 2026 soll die New Glenn dann auch Bezos’ Mondfähre Blue Moon auf ihre erste Reise zum Südpol des Mondes schicken. Die Landefähre ist Teil des kommerziellen Mondfrachtprogramms der Nasa, die auf dem Erdtrabanten wieder regelmäßig mit Astronauten landen will. Blue Moon, acht Meter groß, 21 Tonnen schwer, ist mächtiger als die Apollo-Landefähren – und soll 3000 Kilogramm Fracht auf die Mondoberfläche bringen.
Auch an einer Mondfähre für Astronauten arbeitet Blue Origin. SpaceX-Gründer Elon Musk hatte Bezos bei der Vergabe der Nasa-Mondmission zwar ausgestochen. Nun könnte sich der Spieß aber umdrehen. Bezos könnte Musk auf dem Weg zum Mond womöglich überholen: Weil Konkurrent SpaceX beim Bau seiner Landefähre für die erste Artemis-Mondmission nicht schnell genug vorankommt, erwägt die Nasa nun, den Vertrag für Konkurrenten wie Blue Origin zu öffnen.
Auf seinem „Rocket Park“, einem Fertigungsgelände am Weltraumbahnhof Cape Canaveral, baut Blue Origin nicht nur Raketen, sondern hat unlängst auch eine Fertigungshalle für seine Mondfähren eingeweiht. Die Vehikel, die hier entstehen, sollen künftig 100 Tonnen Treibstoff vom Orbit der Erde zu dem des Mondes transportieren – und eben auch Astronauten. Satellitenbilder zeigen, wie massiv das Unternehmen seinen Fertigungskomplex ausbaut.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Up42/Airbus
Neben Raketen, Satelliten und Raumschiffen entwickelt Blue Origin auch eine Raumstation. Orbital Reef, so ihr Name, könnte als private Station die Internationale Raumstation ISS beerben, die voraussichtlich im Jahr 2030 ihren Dienst einstellt. Blue Origin ist eines der Unternehmen, denen die Nasa dafür schon dreistellige Millionenbeträge überwiesen hat.
Für Weltraumfan Bezos ist das nur der Anfang einer Kolonisierung des Weltraums. „Ich glaube, dass in den nächsten Jahrzehnten Millionen von Menschen im Weltraum leben werden“, sagt Bezos im Oktober bei einem Auftritt auf der Italian Tech Week in Turin. Eine kühne Vision.
Einen Hauch davon werden Hans Königsmann und Michaela Benthaus bei ihrem Flug in der New Shepard zu spüren bekommen. Etwa drei Minuten lang können die beiden Deutschen die Schwerelosigkeit genießen – dann heißt es: Anschnallen – und ab zurück zur Erde.
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