Wirtschaft von oben #313 – Nukleare Abschreckung: Hier baut Frankreich die Atombomben, die Deutschland wohl bald mitfinanziert
Die politische Abkehr des US-Präsidenten Donald Trump von der EU wirft die Frage auf, wie Europa in Zukunft seine nukleare Abschreckung gegenüber Ländern wie Russland aufrechterhalten kann. Denn bisher basiert die vor allem auf Atomraketen, die die USA auch in Deutschland stationiert haben.
Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lehnt eine eigene Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen zwar ab. Doch will er mit Frankreich und Großbritannien über eine nukleare Teilhabe verhandeln – den einzigen Ländern, die in Westeuropa solche strategischen Bomben besitzen. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik soll unter deren Atomschirm schlüpfen.
Besonders eine Allianz mit Frankreich steht dabei im Raum, weil Deutschland über das gemeinsame Ariane-Raketenprogramm schon indirekt mit den französischen Atomwaffen verbunden ist. Die Airbus-Tochter Ariane stellt nicht nur zivile Raketen her, sondern für französische Atomsprengköpfe auch die ballistische Trägerrakete M51, die das Land auf seinen strategischen U-Booten stationiert hat.
Atomwaffen zu entwickeln, zu bauen und zu warten ist extrem aufwendig und teuer. Deshalb hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in den vergangenen Jahren Deutschland immer wieder offeriert, es könne sich an den Kosten beteiligen und dafür unter den Atomschirm kommen. Ein Angebot, das die Ampel-Koalition geflissentlich ignoriert hatte.
Allein 2024 hat Frankreich in die Modernisierung seiner Atomwaffen und Atomstreitkräfte 6,6 Milliarden Euro gesteckt, 2023 waren es 5,6 Milliarden, 2022 rund 5,3 Milliarden. Vergangenes Jahr summierten sich diese Ausgaben auf immerhin 14 Prozent des Verteidigungsetats. Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO zeigen nun, in was der deutsche Steuerzahler künftig investieren würde, sollte Deutschland die Offerte annehmen.
Es sind riesige abgesperrte Komplexe, in denen die französische Regierung die Atomsprengköpfe entwickeln und bauen lässt. Klasssische Atomkraftwerke liefern spaltbares Material, und Werften bauen die nächste Generation strategischer U-Boote. Auf U-Booten stationierte Raketen gelten als Herzstück der atomaren französischen Abschreckung.
In den vergangenen Jahren hatte Frankreich seinen Bestand an Atomsprengköpfen auf 290 Stück reduziert – rund 50 für Flugzeuge und 240 für die U-Boote. Sollte das Land seinen Schutzschirm auf die komplette EU ausweiten, müsste das Arsenal deutlich wachsen. Parallel wird ungeachtet dessen in den Anlagen schon an der nächsten Generation von Sprengköpfen gearbeitet. Zuständig dafür ist die Direktion für militärische Anwendung (DAM) innerhalb der Kernenergiekommission CEA. Die übernimmt auch die Wartung und Demontage. Das alles passiert vor allem an drei Standorten, die quer über Frankreich verteilt sind.
Entwicklung und Simulation der Kriegstechnik finden in Bruyères-le-Châtel statt. Hier, 30 Kilometer südlich von Paris, steht heute einer von Europas leistungsfähigsten Supercomputern: der Eviden Exa1, der bis zu 216 Quadrillionen Rechenoperationen pro Sekunde durchführen kann.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Ab diesem Jahr soll am Standort zudem der Jules-Verne-Supercomputer installiert werden, eine offenbar noch leistungsfähigere Maschine. Mit der Technik simulieren und optimieren die CEA-Wissenschaftler und Ingenieure die Explosion von Atomsprengköpfen. Diese virtuelle Apokalypse ist eine extrem komplexe Rechenaufgabe. Rund die Hälfte aller militärischen CEA-Mitarbeiter ist hier am Standort beschäftigt.
Niedrig aufgelöste Satellitenbilder zeigen, dass diese Anlage der CEA in den vergangenen Jahren an mehreren Stellen erweitert wurde. Weil die Kernenergiekommission den Standort inzwischen auch nichtmilitärisch nutzt und die genaue Nutzung der Gebäude geheim ist, ist es schwer abzugrenzen, ob es sich um Erweiterungen im Zusammenhang mit den Atomwaffen handelt. Aussagekräftige Aufnahmen von dem streng bewachten Gelände sind zudem rar. Fast alle von europäischen Anbietern bereitgestellten Satellitenbilder sind verpixelt. Anders ist das bei Aufnahmen chinesischer und indischer Anbieter – ein Indiz, dass diese Staaten die Entwicklung in den Anlagen genau verfolgen.
Um die im Supercomputer in Bruyères-le-Châtel errechneten nuklearen Explosionen zu validieren, hat die CEA in Le Barp bei Bordeaux zwischen 2002 und 2014 den Laser Megajoule gebaut. Im Grunde sind das mehrere gewaltige Laserkanonen, mit denen eine zwei Millimeter kleine Kugel beschossen wird, die die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium enthält – jene Materialien, die in der französischen Wasserstoffbombe verwendet werden.
CEA Laser Megajoule, Le Barp, Arrondissement Arcachon, Frankreich
12.01.2025: Mittig im Gebäude steht die Reaktionskammer, in den Hallen rechts und links sind die Laserkannonen untergebracht. Sie lösen in winzigem Maßstab eine Kernfusion wie in einer Wasserstoffbombe aus, um die Berechnungen des Supercomputers zu validieren.
Bild: LiveEO/Sentinel, LiveEO/Up42/TripleSat
Dabei erhitzt sich die Außenhülle der Kugel so schlagartig, dass eine Druckwelle ins Innere wirkt, was eine unkontrollierte Verschmelzung der Atomkerne auslöst – wie bei der Explosion einer Wasserstoffbombe. Das alles passiert in einer zehn Meter großen, kugelförmigen Experimentierkammer, die mit einer dicken Schicht aus Aluminium und Borsalzbeton ummantelt ist.
Das 100 mal 350 Meter messende Gebäude ersetzt die Atomtests, die Frankreich zuerst in der Wüste von Algerien und später auf dem Südsee-Atoll Mururoa gezündet hat. Allein auf Mururoa waren es seit 1966 mehr als 100 Bomben. Die Explosionen haben das vulkanische Fundament des Atolls so nachhaltig beschädigt, dass es heute zu zerbrechen droht und einen Tsunami auslösen könnte. Auch gibt es in Französisch-Polynesien etwa siebenmal häufiger Schilddrüsenkrebs als auf dem französischen Festland, berichten lokale Politiker. Frankreich hatte sich auch deshalb 1996 – anders als beispielsweise Pakistan, Indien und Nordkorea – dem internationalen Atomteststopp unterworfen.
Produziert, gewartet und gelagert werden die atomaren Sprengköpfe dann im Zentrum Valduc, 30 Kilometer nördlich der Senfhauptstadt Dijon. Auch demontiert werden sie hier. Die CEA hat den Standort zuletzt infolge des französisch-britischen Teutates-Vertrags von 2010 erweitert, belegen Satellitenbilder. Mehrere neue Gebäude sind dazugekommen. Das Abkommen regelt eine Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien – das bisher stark von den USA abhängig ist. Das soll die Kosten für beide Länder reduzieren und die Notwendigkeit von Atomtests auch künftig ausschließen.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Die Anlage in Valduc umfasst unter anderem drei Hochleistungs-Röntgenachsen, darunter den relativ neuen Röntgengenerator Airix, mit dem das CEA die Explosion einer Atombombe vor der nuklearen Phase nachstellen kann. Satellitenbilder zeigen auch hier, wie der Standort in den vergangenen Jahren erweitert wurde. Zudem befindet sich direkt nebenan jener Bereich, in dem Frankreich offenbar seine Atomsprengköpfe lagert.
Weil Atomsprengköpfe nur eine sehr begrenzte Haltbarkeit haben, müssen sie regelmäßig gewartet und erneuert werden. Denn das instabile Isotop Tritium, das der Hauptexplosionsstoff in Wasserstoff- und Neutronenbomben ist, hat nur eine Halbwertzeit von etwas mehr als zwölf Jahren. Das zwingt Frankreich zurzeit, seine Tritium-Produktion wieder neu anzuwerfen, um neue Bomben bauen zu können.
Atomkraftwerk Civaux, Département de la Vienne, Frankreich
05.03.2025: In dem Kraftwerk wird das Wasserstoffisotop Tritium extrahiert, das als wichtigstes Reaktionsmaterial einer Wasserstoffbombe gilt.
Bild: LiveEO/Sentinel
Dabei ist das Land auf seine zivilen Atomkraftwerke angewiesen. In denen wird lithiumhaltiges Material bestrahlt, indem es in einem Reaktorkern den vorhandenen Neutronenflüssen ausgesetzt wird. Aus dem bestrahlten Material lässt sich dann Tritium extrahieren. Etwas, das im zivilen Atomkraftwerk Civaux des Energiekonzerns EDF passiert.
In der U-Boot-Werft Cherbourg in der Normandie hat derweil im vergangenen Jahr der Bau des ersten Bootes der Triomphant-Nachfolge-Generation begonnen. Wie die heißen wird, ist noch unklar. Auch hier ist der Zugang zu hochauflösenden Satellitenbildern aus Geheimhaltungsgründen stark eingeschränkt.
U-Boot-Werft Cherbourg, Cherbourg, Département Manche, Frankreich
20.04.2024: In der Werft wird zurzeit das erste von vier strategischen Atom-U-Booten der nächsten Generation gebaut. Die soll die Boote der aktuellen Le-Triomphant-Klasse ablösen.
Bild: LiveEO/Google Earth/Airbus
Das neue strategische U-Boot soll die Le-Triomphant-Klasse ab 2035 nach und nach ersetzen. Die Kosten allein hierfür werden auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Zum Vergleich: Das ist ungefähr zehnmal so viel, wie die vier neuen U-Boote vom Typ 212CD kosten, die die deutsche Bundesmarine neu beschaffen will. Allein, um vier der französischen Atom-U-Boote zu bauen, sind rund 100 Millionen Arbeitsstunden angesetzt.
Le-Triomphant-Atom-U-Boote, Brest, Département Finistère, Frankreich
24.06.2023: In der Bretagne liegen die strategischen U-Boote mit den Atomraketen, wenn sie nicht auf See versteckt sind. Zwei Stück sind hier deutlich zu erkennen.
Bild: LiveEO/Google Earth/Airbus
Der Plan ist auch bei diesen neuen Booten: Eines versteckt sich auf See, eines steht als Reserve bereit, und zwei sind in der Wartung. Stationiert sind sie in Brest an der Atlantikküste.
Während der potenzielle Feind oberirdische Einrichtungen wie die Luftwaffenbasis Saint-Dizier kennt, auf denen die rund 40 mit nuklearen Cruise-Missile bestückbaren Raffaele-Kampfflugzeuge stationiert sind, ist der Standort eines strategischen U-Boots geheim. Es versteckt sich Monate unbemerkt irgendwo unter Wasser, ohne Kommunikation mit der Außenwelt. Würde etwa Russland Europa mit Kernwaffen angreifen, könnte eines der vier U-Boote der Triomphant-Klasse aus einer geheimen Position heraus zurückschlagen. Die U-Boote sind damit das wichtigste Element der atomaren Abschreckung. Womöglich demnächst auch für Deutschland.
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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.