Wirtschaft von oben #120 – Kroatien Auf dieser Umgehungsstraße wird ein ganzes Land umfahren

Pelješac-Brücke: Chinas Seidenstraße auf dem Balkan. Quelle: LiveEO/Skywatch

Die Pelješac-Brücke war nicht gerade unstrittig: Das Projekt wurde von der EU finanziert. Europäische Baufirmen wurden trotzdem enttäuscht, denn den Zuschlag erhielt ein chinesischer Staatskonzern. Viel entscheidender: Ein Land verliert so auf einen Schlag den Kontakt zu Europa, zeigen Satellitenbilder. „Wirtschaft von Oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Für sich betrachtet ist die weiße Brücke, die sich da seit einigen Wochen durch die Inselwelt der Adria spannt, ein mäßig beeindruckender Bau. 2400 Meter ist die Pelješac-Brücke lang, 400 Meter kürzer als die Verbindung zwischen der Insel Rügen und dem deutschen Festland, nicht wesentlich größer als die längste Rheinbrücke bei Duisburg. Selbst die längste reine Fahrradbrücke in der niederländischen Provinz Zeeland zählt doppelt so viele Meter wie das kroatische Bauwerk.

Dennoch hat die Eröffnung der Brücke für viel Aufsehen gesorgt, aus gutem Grund: Die Verbindung zwischen dem kroatischen Festland und der Halbinsel Pelješac ist Teil der wohl ungewöhnlichsten Umgehungsstraße der Welt. Keine Stadt und kein Naturschutzgebiet wird hier umfahren, sondern gleich ein ganzes Land: Bosnien-Herzegowina.

Der Blick auf eine Karte Kroatiens macht gleich den Anlass des Baus klar. Als immer schmaler werdender Streifen zieht sich das Territorium des Staates entlang der Adriaküste nach Süden bis zum äußersten Punkt Dubrovnik. Kurz vor dem beliebtesten Touristenziel des Landes aber reißt die Verbindung ab: Ein kaum 14 Kilometer langes Loch tut sich auf: die Bucht von Neum, einziger Zugang Bosniens zum Mittelmeer.


So strategisch bedeutsam der Flecken für den bosnischen Staat sein mag, so ein ärgerliches Hindernis bildet der Abschnitt seit jeher für Reisende gen Süden. Die Autobahn, bis kurz vor der Grenze gut ausgebaut, endet abrupt. Stattdessen geht es über eine gewundene Küstenstraße, zwei Pflichtpausen an den Grenzübergängen inklusive.

Seit 2007 gab es Pläne in Kroatien, das Stück einfach zu umgehen. Als Halbinsel nämlich setzt sich der südliche, kroatische Küstenabschnitt parallel zum Festland nach Norden fort und bildet so einen Fjord, über den der bosnische Teil an die Adria angebunden ist – und an dessen schmalster Stelle jetzt die Brücke entstanden ist.


Schon der Bau der Brücke sorgte für einigen Ärger, schien er doch ein weiteres Einfalltor für chinesische Investoren in Europa zu sein. Nach langen erfolglosen Versuchen wurde der Auftrag für den Bau der Brücke nämlich an den chinesischen Staatskonzern CRBC vergeben. Anders als beim umstrittenen Bau einer Autobahn in Montenegro oder der Eisenbahntrasse zwischen Budapest und Belgrad flossen hier aber keine Kredite, die eine Abhängigkeit hätten begründen können. Die chinesischen Arbeiter versprachen bloß einen billigeren Preis und eine sehr kurze Bauzeit – und lieferten beides.

Erst 2018 hatte CRBC den Zuschlag bekommen. Wie sich auf den exklusiven Satellitenbildern von LiveEO aus dem Sommer des Jahres zeigt, waren zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Vorarbeiten erfolgt. Nur drei Jahre später – in einer Zeitspanne also, in der für die neue Rheinbrücke bei Leverkusen lediglich erste Pfeiler gebaut worden sind – ist das Bauwerk nun komplett fertig.


Die leuchtend weiße Hängebrücke hat im Kontrast zur blauen Adria das Potenzial, ein Wahrzeichen der Region zu werden. Derzeit wirkt sie vor allem wie eine Geste des Hohns an die anderen beteiligten Baukonzerne, darunter die österreichische Strabag. Die Gesellschaft hatte seinerzeit scharf gegen die Vergabe an CRBC protestiert und war auch juristisch dagegen vorgegangen, letztlich ohne Erfolg.

Und so begannen die Chinesen mit dem Bau der Brücke, während die Strabag für große Teile der Landanbindung verantwortlich ist.


Über die Halbinsel Pelješac führten zuvor nur kleinere örtliche Straßen, die mit der Last des sommerlichen Reiseverkehrs völlig überfordert gewesen wären. Deshalb soll eine neue Überlandtrasse den Brückenkopf in Brijesta mit der Fernstraße Nummer 8 verbinden und dabei die Stadt Ston großräumig umgehen. Auch dieses Bauwerk ist durchaus aufwändig, allein vier Tunnel müssen gegraben werden, für alle ist die Strabag verantwortlich. Die Gesellschaft zeigt sich seither begeistert vom eigenen Baufortschritt, mit den Chinesen aber können die Österreicher nicht mithalten.

So majestätisch sich die Pelješac-Brücke übers Meer spannen mag, auch Wochen nach ihrer Eröffnung bleibt sie erstmal ein Bauwerk ohne Funktion. Zwar konnte die Strabag im Juni den Durchbruch für den längsten Tunnel auf der Strecke vermelden, die aktuellen Bilder aus der Luft aber zeigen, das noch viel Arbeit zu erledigen ist, bis die neue Straße auf der Halbinsel steht, so klafft etwa in der Umfahrung Stons (rechts unten im oberen Bild) noch ein großes Loch.


Auch auf der nördlichen Seite der Brücke in Komarna ist noch längst nicht alle Arbeit erledigt, hier soll die Brücke an die bestehende Nord-Süd-Achse andocken. Der Plan sieht derzeit vor, dass beide Zufahrten im kommenden Sommer, pünktlich zur Ankunft der jährlichen Urlaubskarawane, fertig sind.

Sollte das gelingen, im bosnischen Neum könnte es still werden – ob das aber eine gute oder eine schlechte Entwicklung für das Land ist, darüber streiten sich die Einwohner. Die Diskussionen verlaufen dabei zum einen entlang ethnischer Grenzen, der Regierungsvertreter der bosnischen Kroaten Dragan Čović verteidigte das Projekt früh, anders als der damalige Staatspräsident Bakir Izetbegović. Aber auch rein wirtschaftlich betrachtet halten sich Für und Wider die Waage. Einerseits beschränkt die neue Brücke die Höhe nach Bosnien einfahrender Schiffe dauerhaft auf gut 50 Meter. Es gibt derzeit jedoch ohnehin keinen Hafen, der so große Kähne aufnehmen könnte. Zugleich befreit die Brücke den Badeort Neum vom Lärm und Dreck des Durchfahrtsverkehrs, auch wenn das die Händler ihr Geschäft kostet, die genau davon lebten.

Eindeutig sind die Folgen des Brückenbaus deshalb nur in einer Hinsicht: Sie entfernen Bosnien ein entscheidendes Stück von der Europäischen Union, die den rund 550 Millionen Euro teuren Bau der Umgehungstrasse zu 85 Prozent mitfinanziert. Und damit auf sehr sichtbare Weise demonstriert hat, dass sie das arme Binnenland Bosnien-Herzegowina eher nicht als Teil der Gemeinschaft sieht, allen gegenteiligen Gesprächsformaten zum Trotz. Beton ist stärker als Papier.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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