Wirtschaft von oben #167 – Amazonas Hier verschwindet der größte Regenwald der Welt

Der Rückgang der Vegetation des Amazonas wird im Dreiländereck zwischen Bolivien, Brasilien und Paraguay besonders deutlich. Fast die Hälfte des Gebietes besteht nicht mehr aus Urwald, sondern aus landwirtschaftlichen Flächen und Siedlungen. Quelle: LiveEO/Google Earth

Die Abholzung des brasilianischen Regenwaldes kennt unter Präsident Jair Bolsonaro keine Grenzen. Landwirte, organisierte Banden und illegale Goldschürfer beuten den Amazonas immer weiter aus, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Unliebsame Berichterstatter leben gefährlich. Und vor Gericht hat ein notorischer Abholzer jetzt einen Sieg errungen. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Zwei Wochen dauerte die Suche, dann wurde aus den Befürchtungen Gewissheit: Der britische Journalist Dom Phillips und der Brasilianer Bruno Pereira, der sich jahrzehntelang für indigene Völker im Amazonas eingesetzt hat, sind tot. Ermordet aufgefunden in den Tiefen des Regenwaldes, in einer kaum erschlossenen Gegend – und doch höchst gefährlich.

Morde sind nichts Neues in diesem größten aller Waldgebiete. Verbrecherbanden, illegale Goldsucher und Großindustrielle – sie alle treibt die Hoffnung auf ein gutes Geschäft. Ungewöhnlich ist allerdings, dass die Kriminellen nun auch vor der Ermordung eines Ausländers nicht haltmachten. Philipps und Pereira gerieten zwischen die Fronten eines Kampfes zwischen indigener Bevölkerung, deren Grund und Boden in Brasilien eigentlich gesetzlich geschützt sind, und denen, die unerlaubterweise immer weiter in diese Räume vordringen.

Die Eskalation der Gewalt ist ein neuer Höhepunkt in der Erschließung – oder Zerstörung – des Amazonas. Die Entwaldung hat extreme Ausmaße angenommen, wie exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO belegen. Und der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat daran erheblichen Anteil.


Einer der Bundesstaaten, in denen die Abholzung in den vergangenen Jahren besonders stark war, ist Rondônia. Waren Anfang des Jahrtausends höchstens 20 Prozent der Fläche besiedelt und bewirtschaftet, sind es mittlerweile weit mehr als zwei Drittel.

Das Muster der Erschließung ist stets ähnlich: Zunächst werden Schneisen für Straßen geschlagen, die wie schmale Streifen auf den Fotos erscheinen. An diesen Wegen entstehen dann größere Anbauflächen.


Neben dem Bergbau und Feuern aufgrund von Trockenheit oder Brandstiftung, um Platz zu schaffen, ist die Vieh- und Landwirtschaft der Hauptgrund für das Verschwinden des Amazonas. Sie ist der wichtigste Exportsektor Brasiliens. Landwirtschaftlich genutzte Flächen machen rund 20 Prozent der Landfläche Südamerikas aus. Die Agrarwirtschaft ist auch einer der größten Arbeitgeber: „Da 40 Prozent der aktiven Bevölkerung auf den Feldern arbeitet, ist die Landwirtschaft ein Industriebereich von zentraler Bedeutung für die südamerikanische Wirtschaft“, sagt Roberto Maldonado von der Naturschutzorganisation WWF. Die Hauptanbaukulturen sind Gerste, Weintrauben, Mais, Kartoffeln, Sojabohnen, Weizen, Zuckerrohr und Kaffee.

Vor allem die Getreideprodukte sind seit Beginn des Ukrainekrieges begehrter denn je. Die Agrarpreise sind auf Rekordhöhen gestiegen. Davon profitierten die Großgrundbesitzer im Amazonas-Gebiet und Brasiliens Wirtschaft an sich. Investmentbanken rechnen für 2022 mit einem Handelsbilanzüberschuss von rund 80 Milliarden Dollar – das wäre doppelt so viel wie 2021.

Der Amazonasstaat hat nicht nur Agrargüter im Angebot, deren Preise durch die Krise stark gestiegen sind, sondern auch industrielle Rohstoffe wie Eisenerz, Aluminium oder das seltene Niob und vor allem: die am Weltmarkt heiß begehrten Energierohstoffe wie Öl und Ethanol.


Der amtierende brasilianische Präsident Bolsonaro, ein stramm rechter Ex-Militär, ist zwar nicht unbedingt ein Verfechter des radikalen globalen Freihandels. Es liegt nicht zuletzt an ihm, dass das Abkommen zwischen der EU und dem Bündnis südamerikanischer Staaten Mercosur bis heute nicht recht Früchte trägt. Die reichen Schätze des Amazonas fährt er mit einer aggressiven Strategie ein. Bolsonaro ist eine unheilige Allianz mit Goldsuchern, Sojafarmern und Holzfällern eingegangen, durch die sich Brände und Rodungen im Amazonasgebiet vervielfacht haben. In seiner Amtszeit sind die Rodungen noch einmal stark angestiegen.

Lesen Sie auch: Bolsonaros unheilige Allianz erschwert Kooperation mit Westen

Das erschwert eine Kooperation des Westens mit Brasilien. Der Präsident will indigene Schutzgebiete für den Abbau etwa von Düngemitteln und Kalium öffnen. Darin sehen Umweltschützer einen schweren Eingriff in die Natur – und Menschenrechtler einen Eingriff in die Gebiete der Indigenen, die in Brasilien besonderen Schutz genießen. Einige Stämme leben nach wie vor so abgelegen, dass sie wenig bis gar keinen Kontakt zur Außenwelt haben.

Hugo Loss, früherer Leiter der Umweltfahndung bei der brasilianischen Naturschutzbehörde, erklärte den Amazonas jüngst in einem „Zeit“-Interview zum Kriegsgebiet. Loss erklärte, gerade die Gegend, in der sich Bruno Pereira und Dom Phillips aufhielten, sei gefährlich.


Folgt man Loss‘ Schilderungen, sind Teile des Amazonas zu rechtslosen Räumen geworden, in denen sich organisierte Verbrecherbanden und illegale Goldgräber über Gesetze und Anweisungen hinwegsetzen.

Die Rodungen bringen den Amazonas aus dem Gleichgewicht. In manchen Monaten registriert die brasilianische Weltraumbehörde 200 Quadratkilometer zerstörten Wald in Brasilien. Dies entspricht in etwa der Fläche Hannovers.

Juristisch gegen die Zerstörung vorzugehen, ist nicht leicht. Und manchmal bekommen die Abholzer selbst Recht zugesprochen, wie ein Fall aus Mato Grosso Anfang August zeigt. Ein Unternehmen mit Verbindungen zu einem Mann, der schon zu Millionen Euro schweren Geldstrafen wegen der Vernichtung von Tausenden Hektar Regenwald verurteilt wurde, erstritt, dass die Ausweisung des Nationalparks Cristalino II im Jahr 2001 nicht rechtmäßig gewesen sei, weil die Öffentlichkeit nicht eingebunden gewesen sei. Die Regierung des drittgrößten brasilianischen Staates ging zunächst nicht dagegen vor - und das Urteil wurde rechtskräftig. Vor wenigen Tagen erwirkte die Staatsanwaltschaft die Neuauflage des Verfahrens.


Brasilien hat das Problem der Entwaldung längst nicht allein. In Venezuela sind laut dem Monitoring des Andean Amazon Project in den vergangenen vier Jahren 140.000 Hektar Wald verloren gegangen. In Südkolumbien haben sich Landfläche und -nutzung ebenfalls stark verändert.

Gut beobachten lässt sich die Veränderung der Vegetation auch im Dreiländereck zwischen Bolivien, Brasilien und Paraguay, östlich der bolivianischen Stadt Santa Cruz. Fast die Hälfte des Gebietes besteht nicht mehr aus Urwald, sondern aus landwirtschaftlichen Flächen und Siedlungen. Das sah Mitte der Achtzigerjahre noch ganz anders aus.


Etwa 22 Prozent der Landfläche Südamerikas sind laut WWF nach wie vor mit Wäldern bedeckt. Diese bilden mehr als ein Viertel des globalen Waldvorkommens ab. Die Abholzung des Regenwaldes habe jedoch Auswirkungen auf gesamte Ökosysteme, sagt Brasilien-Experte Roberto Maldonado. „Durch sie reduzieren sich die Regenfälle und es kommt zu Abflussverlusten.“ Die Folge: Die Menschen in Ländern wie Brasilien, Venezuela und Bolivien hätten weniger Wasser, was wiederum Wirtschaftsaktivitäten schädige, die eigentlich durch die erschlossenen Flächen weiter wachsen sollen. Maldonado sagt: „Weniger Regen kann zu Dürren führen, wodurch die Viehproduktion drastisch sinken kann.“ Ein Teufelskreis.


Jair Bolsonaro stellt sich im Oktober zur Wiederwahl. Sein eher linksgerichteter Herausforderer und Ex-Präsident Lula da Silva liegt in den Umfragen vorne. Nur eine der Fragen, mit denen sich die Brasilianerinnen und Brasilianer vor der Stimmabgabe beschäftigen müssen: Welcher Kandidat ist bereit, das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Potenzialen und dem Schutz des Regenwalds und aller, die darin leben und arbeiten, wiederherzustellen?

Hier finden Sie alle Beiträge aus der Rubrik „Wirtschaft von oben“

Hinweis: Dieser Artikel ist ursprünglich am 16. Juli 2022 erschienen. Wir haben ihn aktualisiert.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%