Wirtschaft von oben #212 – Britische Atomkraft Hier manifestieren sich die Spannungen zwischen China und dem Westen in der britischen Kernenergie

Das Atomkraftwerk Hinkley Point C soll nach mehreren Verzögerungen frühestens 2027 ans Netz gehen. Es wird eine Leistung von 3200 Megawatt haben und mehr als 32 Milliarden Pfund kosten – deutlich mehr als anfänglich geplant. Quelle: LiveEO/SPOT

Der Bau von Hinkley Point C, einer der größten Atomreaktoren Europas, schreitet mit chinesischer Beteiligung voran, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Schon jetzt aber ist er ein Mahnmal für ausufernde Kosten. Und es kracht gewaltig zwischen Chinesen, Frankreichs Energiekonzern EDF und Briten. Weitere Atomkraft-Projekte sind bereits abgesagt. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Der Lärm von Baumaschinen und Generatoren mischt sich in die kalte Meeresluft, es riecht nach Diesel. Dutzende Baukräne ragen über dem gigantischen Areal in die Höhe. Seit dem Baubeginn im März 2017 wuseln 5000 Arbeiter Tag und Nacht über eine der größten Baustellen Europas. Sie bauen, rund eine Autostunde südwestlich von Bristol, das Atomkraftwerk Hinkley Point C.

Die 1,74 Quadratkilometer große Baustelle, auf der geschweißt, betoniert und gehämmert wird, ist dermaßen weitläufig, dass mehr als 240 Fußballplätze auf die Fläche passen würden. Darüber thront mächtig: der 250 Meter hohe Big Carl, der größte Baukran der Welt. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie Hinkley Point C in den vergangenen Jahren angewachsen ist.

Für den Bau und den zukünftigen Betrieb von Hinkley Point C sind der französische Staatskonzern EDF und die staatliche China General Nuclear Power Group (CGN) zuständig. Während sich Deutschland erst kürzlich mit viel Geschrei aus dem Atomzeitalter verabschiedet hat, sind in Großbritannien derzeit noch sechs Atomkraftwerke am Netz. Sie sollen in den kommenden Jahren abgeschaltet werden.


Schluss ist damit aber nicht. Hinkley Point C ist der erste Atomkraftwerk-Neubau in fast 30 Jahren. Weitere sollen folgen.

 

Die beiden Blöcke des Kraftwerks, die um mehrere Monate zeitversetzt voneinander gebaut werden und die man auf den Satellitenaufnahmen gut erkennen kann, sollen nach mehreren Verzögerungen frühestens 2027 ans Netz gehen. Ihre geplante Laufzeit: 60 Jahre. Mit ihren hochmodernen EPR-Druckwasserraktoren wird Hinkley Point C eines der größten Atomkraftwerke Europas sein.

Seit Jahresbeginn hat das Projekt mehrere wichtige Meilensteine erreicht: Die Arbeiten im Meer vor dem Kraftwerk – von wo aus über riesige Rohre Kühlwasser in die Anlage gepumpt werden wird – sind fast abgeschlossen. Und kürzlich wurde auch der erste der beiden Reaktordruckbehälter geliefert und eingebaut. Er hat einen Durchmesser von 5,5 Metern, ist 13 Meter lang, wiegt 500 Tonnen und wird den wärmeerzeugenden Reaktorkern von der Außenwelt abschirmen.

Das Schicksal von Hinkley Point A und B

Die benachbarten Kernkraftwerke Hinkley Point A und B wirken im Vergleich dazu wie Lagerhallen. Sie gingen 2000 und 2022 vom Netz und werden noch mehrere Jahrzehnte zurückgebaut.


Das Mammutprojekt Point C droht allerdings zu einem Mahnmal für die ausufernden Kosten der Kernenergie zu werden. Und es erinnert schon jetzt daran, wie sehr sich in den vergangenen Jahren die Beziehungen zwischen Großbritannien und China verschlechtert haben.

Zum einen musste EDF die ursprünglich für 2025 geplante Eröffnung mehrmals verschieben, zuletzt auf 2027. Der Energiekonzern begründet die Verspätung mit der Covid-Pandemie. Die Kosten des Projekts musste EDF ebenfalls mehrfach korrigieren: War anfangs noch von 18 Milliarden Pfund die Rede, soll der Kraftwerksbau aktuell mehr als 32 Milliarden Pfund verschlingen – eine Kostensteigerung von 80 Prozent.

Das könnte EDF teuer zu stehen kommen. Denn der chinesische Partner CGN hat sich bei der Vertragsunterzeichnung 2016 lediglich dazu bereit erklärt, 33,5 Prozent der damals geschätzten 18 Milliarden Pfund hohen Kosten zu übernehmen. Er hat dafür einen Anteil von 33,5 Prozent an dem Projekt bekommen. Angesichts der jüngsten Querelen zwischen den Regierungen in London und Peking wäre es keine Überraschung, wenn CGN die nächste Finanzierungsrunde aussitzen würde.

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Dabei sitzt das Geld bei EDF gerade jetzt alles andere als locker. Der Staatskonzern hat im vergangenen Jahr einen Rekordverlust in Höhe von 18 Milliarden Euro eingefahren. Dafür verantwortlich war nicht nur der Energiepreisdeckel, den die Regierung in Paris inmitten der explodierenden Energiepreise verhängt hat. Wegen geplanter Wartungsarbeiten und technischer Schwierigkeiten mussten zeitweise bis zu 32 der 56 französischen Atomkraftwerke vom Netz gehen. Die Atomstromnation Frankreich wurde zum Stromimporteur.

Daher wäre es keine Überraschung, wenn EDF den britischen Staat um Unterstützung bitten würde. Dabei werden die britischen Steuerzahler und Stromkunden ohnehin tief in die Tasche greifen, um den Bau von Hinkley Point C zu finanzieren: Über 35 Jahre hinweg soll EDF einen garantierten Strompreis in Höhe von 92,50 Pfund pro Megawattstunde erhalten. Fällt der Marktpreis unter diesen Betrag, müssen Stromkunden im gesamten Land für die Differenz in Form einer Sonderabgabe aufkommen – ganz gleich, ob sie EDF-Kunden sind oder nicht. Die Ausgabenwächter vom National Audit Office (NAO) haben diese Regelung deswegen scharf gerügt.

Auf die britischen Verbraucher kommen somit Mehrkosten von bis zu 35 Milliarden Pfund zu. Dabei wird das Kraftwerk gerade einmal eine zusätzliche Nettoleistung von 3,2 Gigawatt liefern. Zum Vergleich: Britische Windkraftanlagen hatten bereits im vergangenen Jahr eine Kapazität von über 28 Gigawatt, Tendenz rapide steigend.


EDF betreibt riesigen Aufwand, um das imposante Werk am Bristolkanal fertigzustellen. Auch die Logistik drumherum ist auf den Satellitenbildern gut erkennbar. Im Süden der eigentlichen Baustelle befinden sich Rückhaltebecken für die Wasserversorgung, eine Abraumhalde, in der Schutt von der Baustelle zwischengelagert wird, und Büros, von denen aus die Ingenieure und Bauleiter den Bau von Hinkley Point C überwachen. Im Südosten des Geländes sieht man die Wohnquartiere für rund 500 Arbeiter.

Hinkley Point C sollte eigentlich nicht die einzige Kooperation zwischen EDF und CGN in Großbritannien bleiben. Zwei weitere Projekte waren angedacht: in Sizewell und Bradwell, nordöstlich von London. In Bradwell sollte der chinesische Staatskonzern sogar zum ersten Mal in Europa einen chinesischen Hualong-1-Reaktor verbauen dürfen. Die technische Zulassung dafür erteilten die britischen Behörden im vergangenen Jahr. Dass das noch klappt, kann man nach dem derzeitigen Stand der Dinge allerdings ausschließen. Denn die Beziehungen zwischen London und Peking haben sich in den vergangenen Jahren deutlich abgekühlt.

David Cameron, erklärter China-Fan 

Kurz nach seinem Amtsantritt 2010 war der damalige Premier David Cameron – ein erklärter China-Fan – mit großen Schritten auf Peking zugegangen. Die beiden Länder traten in einen Energiedialog. 2014 unterzeichneten London und Peking ein Abkommen zur Nutzung ziviler nuklearer Energie. Schon dieses Abkommen sah vor, dass die britische Regierung es chinesischen Konzernen gestatten würde, in Großbritannien chinesische Atomkraftwerk-Designs zu bauen und zu betreiben. 2015 unterzeichneten CGN und EDF ein Abkommen zum Bau und Betrieb von Atomkraftwerken in Hinkley Point, Sizewell und Bradwell.

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Ein Grund dafür, dass Großbritannien überhaupt noch auf die teure und schwierig zu finanzierende Atomenergie setzt, dürfte militärisch sein. Das Land ist auf einen zivilen Atomenergiesektor angewiesen, um sein überschaubares Atomwaffenarsenal einigermaßen selbstständig aufrechtzuerhalten. Kritiker bemängelten daher schon früh die Beteiligung eines chinesischen Staatskonzerns.

Wohl auch deswegen legte Theresa May, die nach dem Votum der Briten 2016, aus der EU auszutreten, den Job des Premiers von David Cameron übernahm, den Bau von Hinkley Point C kurz nach ihrem Amtsantritt auf Eis. Nur sechs Wochen später und nach reichlich Druck aus Peking gab sie wieder grünes Licht. „Einige zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen“ seien getroffen worden, ließ Downing Street damals kleinlaut wissen.

Boris Johnson, Premier ab 2019, erklärte noch vor zwei Jahren, dass er eine „positive Handels- und Investitionsbeziehung“ mit China anstrebe und bei der Bewältigung „transnationaler Herausforderungen wie dem Klimawandel“ zusammenarbeiten wolle. Doch das Verhältnis zwischen London und Peking war bereits angeschlagen, unter anderem wegen des zunehmend drakonischen chinesischen Vorgehens in der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong.

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Wohl unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zog Großbritanniens Regierung im vergangenen Jahr die Reißleine: Im November erklärte die britische Regierung, dass sie CGN 100 Millionen Pfund für ihre Anteile an dem Sizewell-Projekt zahlen werde. Das kam einem Rauswurf gleich. Der britische Staat ist seitdem zu 50 Prozent an der Entwicklung des nächsten geplanten Atomkraftwerks beteiligt, die anderen 50 Prozent hält EDF. Insgesamt soll London 700 Millionen Pfund in die Entwicklung von Sizewell investieren. Für den Bau und eventuellen Betrieb des Kraftwerks sollen andere Investoren gefunden werden. Nur vermutlich nicht in China.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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