Roter Wasserstoff Wie sinnvoll ist Wasserstoff aus Atomkraft?

Kühlturm am Atomkraftwerk in Saint-Laurent-Nouan des französischen Energiekonzerns Electricite de France (EDF). Quelle: REUTERS

In Brüssel herrscht Streit um Wasserstoff aus Atomstrom: Frankreich drängt die EU, ihn als grün einzustufen, Deutschland ist dagegen. Dabei ist fraglich, ob der „rote“ Wasserstoff überhaupt konkurrenzfähig ist.

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Wasserstoff ist ein farbloses Gas – doch Energieexperten haben viele bunte Bezeichnungen dafür gefunden: Aus Erdgas und CO2-Abscheidung hergestellter Wasserstoff ist blau, aus Ökostrom gewonnener grün, der aus Atomstrom rot.

In Brüssel ist über diese Farbenlehre nun ein heftiger Streit entbrannt: Frankreich drängt die EU, Atomstrom und daraus erzeugten Wasserstoff als nachhaltig einzuordnen. Roter Wasserstoff soll so behandelt werden wie grüner.

Geht es nach Frankreich, soll das in der Neufassung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie besiegelt werden, die frühestens Ende März beschlossen wird. Deutschland, Österreich und Spanien sind dagegen. Kernkraft sei keine erneuerbare Energie, lautet der Einwand aus dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Schließlich verbrauchen Atomkraftwerke Uranbrennstoff.

Mit einer Atomallianz, der sich zehn europäische Länder angeschlossen haben, machte Frankreich am Dienstag weiter Druck. „Sie versuchen, die Atomkraft überall dorthin zu bringen, wo sie nicht hingehört, (…) um die Politik festzulegen“, zitiert das Magazin Politico einen EU-Diplomaten, der anonym bleiben wollte. „Jeder ist ein wenig verärgert über die Franzosen – es ist sehr aggressiv.“

Es ist ein Streit, der auch die Industrie selbst entzweit. Auf der einen Seite haben sich Anhänger der Atomenergie, mehr als 50 Unternehmen, NGOs und Forschungsinstitute, zu einer Nuclear Hydrogen Initiative zusammengeschlossen, um den roten Wasserstoff zu fördern. Darunter ist auch der französische Reaktorhersteller Framatome.

„Die Kernenergie ist eine leistungsstarke Methode der Wasserstofferzeugung“, wirbt der Verband. „Kernkraftwerke sind kohlenstofffrei, liefern sehr stabil Energie und benötigen im Vergleich zu erneuerbaren Energien nur minimale Landressourcen.“ Weil Atomkraftwerke auch Hitze produzieren, lasse sich damit Wasserstoff per sogenannter Hochtemperaturelektrolyse besonders effizient herstellen. 

Kohlenstoffarm, doch der Atommüll bleibt

Ganz andere Töne schlägt die Renewable Hydrogen Coalition an, ein Interessenverband der Erzeuger grünen Wasserstoffs mit Sitz in Brüssel. „Kohlenstoffarmer Wasserstoff aus nuklearen oder fossilen Energien ist nicht erneuerbar“, heißt es von den Lobbyisten, „und hat keinen Platz in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie.“

Im aktuellen Entwurf der Richtlinie hat sich Frankreich schon teilweise durchsetzen können: Demnach können Wasserstoffhersteller künftig einen Teil ihres Stroms aus dem französischen Netz beziehen. Aufgrund des hohen Anteils an Atomstrom gilt der nämlich als „kohlenstoffarm“.

Ibrahim Dincer, Professor für Maschinenbau an der Ontario Tech University, hält das für gerechtfertigt. „Nuklearer Wasserstoff ist so grün wie erneuerbarer Wasserstoff, das zeigen unsere Studien zur Lebenszyklusanalyse“. Die CO2-Emissionen von Atomenergie und Solarstrom sind den Forschern zufolge auf ähnlichen Niveau. „Daher betrachte ich nuklearen Wasserstoff als grünen Wasserstoff. Andere Farbcodes, wie rosa oder gelb oder andere, ergeben keinen Sinn.“

Dincer rechnet damit, dass künftig viele neue Atomkraftwerke gebaut werden, um Strom und damit auch Wasserstoff herzustellen – darunter auch viele sogenannte Small Modular Reactors. Diese geplanten kleineren Kernkraftwerke sollen sich in Fabriken vorfertigen lassen, preiswerter und sicherer sein als heutige Anlagen, versprechen die Hersteller.

Oliver Powalla, Leiter Energiepolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), sieht das anders: „Wasserstoff aus Atomkraft als nachhaltig zu etikettieren ist der Versuch, alte Technologien unter einem neuen Mantel auf den Markt zu bringen und eine Förderung dafür zu erhalten“, sagt Powalla. „Fehlende sichere Endlager, die Gefahr eines Super-GAUs – die Argumente gegen die Atomkraft sind geblieben. Sie werden auch mit den geplanten Small Modular Reactors nicht ausgeräumt.“

Ähnlich äußerte sich schon vor einer Weile das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in einer Stellungnahme: „Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar“, erklärte BASE-Präsident Wolfram König. „Die Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie, erzeugt Abfälle und birgt die Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke.“ 

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