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Wirtschaft von oben #238 – Arktisches LNGJetzt steigt Russland fett ins LNG-Geschäft ein

Tief in der Arktis baut Russland seine Produktion von Flüssigerdgas (LNG) massiv aus – mit dem riesigen Terminal Arctic LNG 2. Der Westen hat mitgebaut, doch jetzt wollen die USA das Projekt mit Sanktionen zum Stillstand zwingen. Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie weit Russlands LNG-Projekt am Eismeer vorangeschritten ist.Andreas Menn 27.11.2023 - 13:29 Uhr aktualisiert
Foto: LiveEO/Sentinel

Seit Dienstag herrscht Polarnacht in Sabetta, einem Industriehafen auf der sibirischen Jamal-Halbinsel an der Karasee, das Thermometer zeigt um die Minus 20 Grad Celsius an. In dieser unwirtlichen arktischen Schneelandschaft, wo bisher fast nur Rentierzüchter lebten, produziert Russland seit 2017 Flüssigerdgas (LNG) – und baut seine Gasproduktion gerade massiv aus.

Es ist Putins Prestigeprojekt im Eis und eine beträchtliche Einnahmequelle, die auch seine Kriegskasse füllt. Zu den Käufern gehören nicht nur asiatische Staaten wie Japan und China. Auch die Europäische Union importiert LNG aus Russland, seit Kriegsbeginn sogar deutlich mehr als vorher.

Jamal liegt näher am Nordpol als an Moskau – doch über die Nordostpassage ist Asien in 16 Tagen erreichbar, europäische Häfen noch weit schneller. Mit einer zweiten Produktionsanlage (Arctic LNG 2), eisbrechenden Tankern und Umladeterminals will Russland sein Ziel erreichen, den Anteil am Weltmarkt für LNG von acht Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2035 zu steigern.

Foto: WirtschaftsWoche

Satellitenbilder zeigen: Seit 2018 sind die Bauarbeiten für Arctic LNG 2 im Gange, bis heute gehen sie voran. Westliche Konzerne haben wichtige Teile für Arctic LNG 2 geliefert, der französische Energiekonzern TotalEnergies hält sogar einen Anteil von 10 Prozent, ähnliche wie zwei chinesische Unternehmen und ein japanisches Konsortium.

Doch jetzt haben die USA Sanktionen gegen das arktische LNG-Projekt verhängt. „Unser Ziel ist, das Projekt zu killen“, sagte Geoffrey Pyatt, Chef des staatlichen Bureau of Energy Resources, das internationale Energiesicherheit befördern soll. Europäische und asiatische Kunden sollen damit daran gehindert werden, Gas von Arctic LNG 2 zu kaufen.

„Jamal LNG“ und „Arctic LNG 2“, Sibirien, Russland 29.05.2023: Jamal LNG (links) produziert am linken Ufer des Ob seit 2017 LNG. Arctic LNG 2 (rechts) soll in wenigen Wochen in Betrieb gehen. Ab den Wintermonaten bis zum Juni treibt Eis auf dem Wasser. Foto: WirtschaftsWoche

Es geht um gewaltige Investitionen. Schon die erste LNG-Exportanlage, Jamal LNG in Sabetta,N soll 27 Milliarden Dollar gekostet haben; Arctic LNG 2 soll nun noch einmal 21 Milliarden Dollar verschlingen.

Beide Anlagen verarbeiten Erdgas aus sibirischen Gasfeldern und kühlen es auf Minus 161 Grad Celsius herab. Dabei wird es flüssig und 600 mal dichter – so dass es sich mit Spezialschiffen um die ganze Welt transportieren lässt – zu LNG-Terminals, die das flüssige LNG wieder in Gas verwandeln.

Der Permafrost macht die Bauarbeiten kompliziert: Ist der Boden im Winter komplett gefroren, verwandelt sich seine Oberfläche im Sommer in Morast. Das erste Terminal am Hafen Sabetta ist darum auf tausenden Pfeilern errichtet worden, die tief in den eisigen Grund reichen und die sämtliche Aufbauten in jeder Jahreszeit stabil halten.

Bei Arctic LNG 2 haben die Ingenieure einen anderen Weg gewählt: Die zentralen Verflüssigungsanlagen werden auf drei schwimmenden Plattformen errichtet. Dafür wurde am Ufer des Ob ein ganzer Hafen neu gebaut mit einer Kaianlage, an der die Plattformen verankert werden. An Land sind weitere technische Installationen, Wohnquartiere für tausende Arbeiter, ein Flugplatz und Straßen gebaut worden.

Die schwimmenden LNG-Verflüssigungsanlagen sind nicht vor Ort gebaut worden, was logistisch wohl kompliziert geworden wäre. Stattdessen wurden sie in der Belokamenka-Werft in der Nähe von Murmansk von tausenden Arbeitern vorgefertigt.

Jede der drei geplanten Plattformen wiegt 640.000 Tonnen und ist 330 Meter lang. Die erste machte sich im Sommer auf die Reise: Schlepper zogen sie 2500 Kilometer weit über das Meer bis in die Bucht des Ob. Alle drei Anlagen zusammen sollen 19,8 Millionen Tonnen LNG pro Jahr produzieren. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 importierte Spanien mit 14 Millionen Tonnen pro Jahr das meiste LNG in Europa.

„Arctic LNG 2“, Halbinsel Gydan, Sibirien, Russland 29.09.2023: Mitte August ist die schwimmende LNG-Produktionsanlage in der Ob-Mündung angekommen, inzwischen ist sie an ihrem Platz im Hafen fest installiert. Foto: WirtschaftsWoche

Westliche Konzerne wie Linde und Technip FMC waren am Bau des Jamal-Projekts beteiligt. Doch nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben Sanktionen der EU und der USA Mitte 2022 die Zusammenarbeit beendet.

Dadurch lieferte der US-Ausrüster Baker Hughes Berichten zufolge nur vier von 20 geplanten Gasturbinen für die LNG-Anlage. Doch der russische Nowatek-Konzern fand Ersatz in China: Die Harbin Guanghan Gas Turbine Company springt mit einer Lieferung ein. Offen ist, ob deren Gasturbinen für die harschen Bedingungen in der Arktis gewappnet sind.

Welche Auswirkungen die neuen Sanktionen der USA haben werden, muss sich noch zeigen. Zuletzt hatte Russland massiv in eine Schiffsflotte investiert, um die Exporte von der Jamal-Halbinsel nach Asien und Europa auszubauen. So hat der südkoreanische Schiffsbauer Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering 15 Gastanker der Klasse Arc7 gebaut, die mehr als zwei Meter dickes Eis brechen können.

Die Nordostpassage, die Jamal mit Asien verbindet, ist im Winter nicht befahrbar. Dieses Jahr brach am 4. Juni das erste LNG-Schiff in die Arktisroute auf, wie Satellitenbilder und Transponderdaten zeigen. Um das Gas von Arctic LNG 2 abzutransportieren, baut Russland in der russischen Zvezda-Werft nun 15 weitere Arc7-Tanker, jeder 300 Meter lang.

Satellitenbilder zeigen den Tanker Fedor Litke in der südkoreanischen Opko-Werft kurz vor Auslieferung (oben, 03.11.2017). Diesen Sommer kommt der Gastanker am 4. Juni am Gasterminal in Sabetta an (Mitte). Zwei Tage später sieht man das Schiff in der Karasee durchs Eis gen Osten fahren, vor ihm macht der Eisbrecher Arktika eine Spur im Meereis frei (unten). Am 28.6. kommt der Gastanker im japanischen Hafen Yanai an. Foto: WirtschaftsWoche

Bisher sind die eisbrechenden Gastanker bis nach Europa und in asiatische Häfen gefahren. Doch nun soll sich das ändern: Russland hat zwei riesige Spezialschiffe fertigen lassen, in denen das LNG von den teureren Arktistankern auf gewöhnliche Gastanker umgeladen und dabei noch einmal herabgekühlt wird.

Satellitenbilder zeigen, wie in der Ura-Bucht, nicht weit von Murmansk, im Juni das erste der beiden Schiffe vor Anker geht: Die Saam FSU ist 400 Meter lang und 60 Meter breit, ihr Bau hat rund 750 Millionen Dollar gekostet. Statt 16 bis 24 Tage von Jamal nach Europa und zurück zu fahren, brauchen die eisbrechenden Tanker bis zur Saam FSU nur sechs Tage hin und zurück.

Im Osten, in Kamschatka, geht ein baugleiches Schiff vor Anker. Dort werden die für Asien bestimmten LNG-Lieferungen nach Durchquerung der Nordostpassage umgeladen. Statt fünf bis sechs Wochen brauchen eisbrechende LNG-Tanker dann nur noch drei Wochen für einen arktischen Rundtrip.

Satellitenbilder zeigen das schwimmende Gasumladeterminal Saam FSU beim Bau in der südkoreanischen Opko-Werft (oben, 06.11.2021). Nach einer Reise aus Südkorea ziehen Schlepper es am 28. Juni 2023 in die Ura-Bucht in der Nähe von Murmansk (Mitte). Am 1. November liegt an Land Schnee – bisher war auf Satellitenbildern kein Gastanker zu sehen, der an Saam FSU angekommen wäre. Foto: WirtschaftsWoche

Wie viel Betrieb in den nächsten Jahren an den Umladeterminals herrschen wird, muss sich zeigen – womöglich werden US-Sanktionen die Gasimporte aus Jamal künftig einschränken.

Klimaschützer würde es freuen. Die Nichtregierungsorganisation „Leave it in the Ground“ hat Arctic LNG 2 auf eine Liste von „Kohlenstoff-Bomben“ gesetzt. Damit sind Projekte gemeint, die in ihrer Laufzeit mehr als eine Gigatonne Kohlendioxid ausstoßen werden.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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