Wirtschaft von oben #240 – Neue Auto-Supermacht So bereitet China den Auto-Tsunami vor

Allein die Jinling-Werft am Yangtze soll bis 2026 mehr als 50 Autotransportschiffe bauen. Quelle: LiveEO/Pleiades

Schon heute ist China der größte Autobauer und Autoexporteur des Planeten. Doch das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was auf Mercedes, Volkswagen und Co. zurollt, zeigen Satellitenbilder. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Während westliche Autobauer in den Corona-Jahren ihre Investitionen massiv zurückgeschraubt haben, hat die junge chinesische Konkurrenz die Gunst der Stunde genutzt. Sie zog eine riesige Autofabrik nach der anderen hoch. Für den inländischen Markt sind die bei Herstellern wie BYD, NIO und Geely entstehenden Produktionskapazitäten zu groß. Viele Werke sind Insidern zufolge nur zur Hälfte ausgelastet, manche noch geringer. Doch neueste Satellitenbilder von LiveEO suggerieren nun, dass ein sehr viel größerer Plan dahinter steckt. China will den globalen Markt in den nächsten Jahren mit Abermillionen von Autos überschütten – vor allem mit batteriebetriebenen.

Aktuell scheitert das vor allem daran, dass chinesische Hersteller ihre produzierten Wagen nicht außer Landes bekommen. Es fehlt ihnen vor allem an den notwendigen Autotransportern, sogenannten Ro-Ro-Schiffen. Auf einem solchen in den vergangenen Monaten einen freien Platz für ein Auto zu ergattern, war praktisch unmöglich. Schließlich hatte das Land seine Fahrzeugexporte zwischen 2019 und 2022 bereits versechsfacht. Die Frachtraten kletterten um mehr als 800 Prozent. Weltweit gibt es zwar mehr als 700 solcher Schiffe. Davon aber werden weniger als 100 von chinesischen Firmen betrieben. Und nur etwa zehn seien für den Hochseetransport geeignet, berichtete der Verband der chinesischen Schiffsindustrie im Sommer. 

Chinesische Werften werden deshalb laut dem Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) allein bis 2026 um die 200 neue Ro-Ro-Schiffe bauen, 76 davon für chinesische Kunden. Ro-Ro steht für „roll on/roll off“. Die Schiffe verfügen über mehrere durch Rampen verbundene Fahrzeugdecks. Große Exemplare fassen heute typischerweise zwischen 7000 und 9000 Autos.

Binnen nicht einmal drei Jahren sollen sie also doppelt so viele dieser Schiffe zusammenschweißen wie in den acht Jahren zuvor. Ein weiterer Hinweis auf die Auto-Flut, die die Welt erwartet, findet sich in chinesischen Häfen. Dort wurden zuletzt riesige Flächen in Verladeparkplätze für Neuwagen verwandelt. Und weitere Flächen kommen gerade dazu. Es ist ein beispielloser Großangriff auf heutige Platzhirsche wie Volkswagen, Toyota, BMW und Stellantis, die alle mit der Elektromobilität hadern.

Um den Engpass auf See zu überwinden, hatte etwa der staatliche Schifffahrtskonzern Cosco im August 2022 zusammen mit dem Hafen Shanghai und dem chinesischen Autobauer SAIC das Unternehmen Yuanhai Car Carrier Transportation gegründet. Yuanhai baue nun eine professionelle Fahrzeugtransportflotte von Weltrang auf, um es chinesischen Automobilen besser zu ermöglichen, globale Märkte zu erschießen, schrieb kürzlich das Organ der kommunistischen Partei, die Zeitung „People’s Daily“.

Jinling-Werft, Nanjing, China

30.07.2023: Zwei fertige Autotransporter liegen im Wasser und der nächste wird im Trockendock daneben montiert.

Bilder: LiveEO/Pleiades

Die ersten Schiffe seien schon unterwegs, auf Routen zwischen China und Europa. Yuanhai habe 24 Transporter geordert, genug, um am Ende pro Jahr 700.000 Autos in die Welt zu verschiffen.

Wo die neuen Schiffskolosse gebaut werden

Allein die CSC Jinling-Werft bei Zhenjiang wird offenbar in den nächsten Monaten mehr als 50 Ro-Ro-Schiffe ausliefern. Ein aktuelles Satellitenbild zeigt, wie diese gerade in Serie gebaut werden. Zwei mehr oder weniger fertige 200 Meter lange Exemplare liegen im Wasser vor der Werft. Im Trockendock wird bereits das nächste montiert, und daneben sind weitere Rumpfteile und eine Brücke zu erkennen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/SPOT

Die 300 Kilometer von der Yangtze-Mündung entfernt gelegene Werft ist allerdings nicht der einzige Schiffsbauer, der die Transporter liefern soll. Die Werft Guangzhou International am Perlfluss-Delta soll bis 2026 laut CSIS 42 solche Kolosse bauen, die Yantai-CIMC-Raffles-Werft im Norden 20 Stück beisteuern. Aus einer Handvoll weiterer Werften sollen kleinere Zahlen kommen.

Wie massiv der Leidensdruck der chinesischen Autobauer ist, darauf deutet die Tatsache hin, dass nicht nur der bisherige VW-Partner SAIC Anstrengungen unternimmt, sich von Logistikanbietern unabhängig zu machen und deshalb eine eigene Flotte aufbaut. BYD etwa hat sechs Schiffe bestellt und eine Option auf zwei weitere. Der staatlich kontrollierte Autohersteller Chery entwickelt mit der Wuhu-Werft am Yangtze sogar eigene Schiffe.

Die Vorbereitung, den Weltmarkt für Autos zu beherrschen, laufen an anderer Stelle schon etwas länger: In den großen Häfen des Landes. Dort entstehen immer mehr gewaltige Exportparkplätze an den Auto-Terminals. Und weil der Platz knapp wird, neuerdings sogar Exportparkhäuser.

Am deutlichsten ist diese Entwicklung am Perlflussdelta bei Guangzhou zu erkennen. Hier zeigen Satellitenbilder, wie eine vier mal ein Kilometer große Insel zu einem Mega-Exportparkplatz umgewandelt wurde. Noch 2017 bestand sie zum größten Teil aus Reisfeldern. Selbst in diesem Jahr kamen Parkflächen dazu. Und die Vorbereitungen für weitere Bauvorhaben auf dem Eiland laufen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Pleiades

Laut der Hafenbehörde von Guangzhou haben hier von Januar bis September 258.000 Autos das Land verlassen. Das sind zwar 56 Prozent mehr als im Jahr davor. Aber dennoch bei weitem nicht das, was der ausgebaute Hafen hier bewältigen kann. Insgesamt hat er inzwischen die Kapazität, drei Millionen Autos pro Jahr abzufertigen. Auf dem Gelände kommen aktuell etwa 80.000 Wagen unter. Und zwölf Autotransportschiffe lassen sich hier zeitgleich beladen und entladen.

Die Autohäfen von Shanghai, das 1200 Kilometer weiter nördlich liegt, haben in den ersten sieben Monaten des Jahres dagegen bereits 1,02 Millionen Autos verschifft – 55 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Am alten Terminal im Norden waren es 567.000. Das ist eines der ältesten im Lande. Hier ließ sich die Fläche kaum mehr erweitern, da der Hafen im Stadtgebiet der rasant wachsenden Metropole liegt. Stattdessen hat der Hafenbetreiber auf bisher normalen Parkflächen einfach mehrstöckige Parkhäuser hochgezogen, um die Fahrzeuge für den Export zu lagern.

Nördliches Autoterminal im Hafen Shanghai, Shanghai, China

25.09.2023: Autotransportschiffe für Binnengewässer liefern Autos aus den Werken an. Auf dem Bild ist zu erkennen, dass die Wagen aus dem linken Schiff die Spur in Richtung Land nehmen. Ein hochseetauglicher Autofrachter steht rechts offenbar bereit, um Wagen in die Welt zu verschiffen.

Bilder: LiveEO/Pleiades

Das neueste dieser Parkhäuser kam dazu, während sich China in den Corona-Jahren mit seiner Null-Covid-Politik vom Rest der Welt abgeschottet hatte und die Welt nicht genau hingesehen hat. Es hat den Satellitenbildern nach acht Etagen. Die neueste Aufnahme zeigt zudem die Logistikkette dahinter. Drei für Binnengewässer konzipierte mehrstöckige Autofrachter, die an ihrem offenen Parkdeck auf dem Dach zu erkennen sind, liefern Fahrzeuge über den Yangtze aus dem Inland an. Anhand der Richtungspfeile auf der Fahrbahn im Hafen ist erkennbar, wie die in weiße Folie eingeschweißten Neuwagen von einem der Schiffe zu einem Exportparkplatz rollen.

Daneben ist ein hochseetaugliches Ro-Ro-Schiff fest gemacht, dessen Rumpf vollständig geschlossen ist, damit kein Salzwasser an die Neuwagen gelangen kann. Die meisten Autos, die das Land von diesem Terminal aus verlassen, haben heute noch einen Verbrennungsmotor. Nur etwa 30 Prozent sind dem Hafenbetreiber zufolge zuletzt batteriebetrieben gewesen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/SPOT

Anders ist das im südlichen Hafen von Shanghai. Das Autoterminal hier hat laut der Tageszeitung „China Daily“ zwischen Januar und Juli 176.000 Autos exportiert. Immerhin 70 Prozent davon hatten einen E-Antrieb. Insgesamt machen batteriebetriebene Fahrzeuge heute etwa die Hälfte des Exportwertes aus, zeigen Daten des chinesischen Zolls. 

Noch stärker als beim Terminal im Norden der Metropole wurden die Parkflächen hier in den letzten Jahren erweitert, zeigen die Satellitenbilder. Und weil auch hier der Platz für eine Expansion langsam knapp wird, kam an dieser Stelle während der Corona-Jahre ebenfalls ein riesiges Parkhaus dazu. Ausnutzen lassen sich die Kapazitäten aufgrund des Mangels an Schiffen allerdings nur begrenzt.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Pleiades

Dem staatlichen Fernsehsender CGTN zufolge versuchen die Häfen und Logistikfirmen deshalb kreative Auswege zu finden. Sie verwenden etwa spezielle Standardcontainer, um die Fahrzeuge außer Landes zu schaffen. Darin lassen sich drei bis vier Autos verschachtelt stapeln.

Damit aber nicht genug. Der staatliche Logistikkonzern Cosco hat inzwischen spezielle Regale entwickelt, in denen sich die Fahrzeuge übereinander gestapelt in normalen Schüttgutschiffen transportieren lassen. Jene Schiffe liefern nun Holzstämme für die chinesische Papierindustrie aus Europa und transportieren auf dem Rückweg chinesische Autos nach Europa. Die Wagen werden direkt im bisherigen Holzterminal des Shanghaier Hafens verladen.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

Das neueste Bild zeigt, wie sich dort nun mehr und mehr Autos sammeln, die teilweise schon auf die Gestelle geladen sind. Mithilfe der Gestelle passen vier Fahrzeuge übereinander in einen Schüttgutfrachter.

Rund 100 Kilometer südlich von Shanghai, nahe der Industriestadt Ningbo, ist seit 2015 sogar ein komplett neues Autoterminal entstanden. In Ningbo wird heute unter anderem der Smart gebaut, nachdem Mercedes die Produktion an den chinesischen Partner Geely übergeben hat. Schon 2020 hatte das Terminal die Kapazität, 600.000 Autos pro Jahr zu exportieren. Da die Parkflächen 2021 den Satellitenbildern zufolge mehr als verdoppelt wurden, dürfte auch dieser Hafen inzwischen mehr als eine Million Autos verschiffen können.

Doch auch hier macht sich der aktuelle Engpass beim Transport deutlich bemerkbar. Im gesamten Jahr 2022 machten in Ningbo gerade mal 39 Autotransporter fest und der Hafen fertigte lediglich 80.000 Fahrzeuge ab. 

Sobald die Werften die neuen Autotransportschiffe ausliefern, dürfte der Knoten platzen. Dann wird das Land Millionen E-Autos in alle Welt schicken. Dahinter steckt ein Plan der Zentralregierung in Peking, die sogenannte New-Energy-Vehicle zu einem der zehn Schlüsselsektoren erklärt hat, in denen das Land weltweit führend sein soll. Bis spätestens 2049, zum 100. Jubiläum der Volksrepublik, will die Kommunistische Partei das Land zur führenden Supermacht in diesen Bereichen machen.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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