
Wirtschaft von oben #290 – USA: Satellitenbilder offenbaren Joe Bidens größten Wirtschaftsflop
Joe Bidens wichtigstes Wirtschaftsgesetz wurde lange als eine Art Goldstandard der Klimapolitik gefeiert: Der Inflation Reduction Act versprach Unternehmen hohe Steuernachlässe für Investitionen in klimafreundliche Technologien. Doch zwei Jahre, nachdem der noch amtierende US-Präsident das Gesetz verkündet hat, stecken viele Projekte – speziell für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft – in der Krise. Das zeigen aktuelle Satellitenbilder von LiveEO.
Denn inzwischen hat das US-Finanzministerium einen Entwurf jenes Regelwerks vorgelegt, der genau vorgibt, wer unter welchen Umständen wie viel Steuernachlass erhält. Seitdem macht sich Ernüchterung breit, weil für viele Vorhaben weit weniger herausspringt als erhofft. Für den US-Ölriesen ExxonMobil etwa, der in Baytown bei Houston sauberen, erdgasbasierten Wasserstoff herstellen will. Das dabei entstehende CO2 will er rund um den Golf von Mexiko im Boden verpressen.
Oder für Plug Power, einst ein gefeierter Wasserstoffpioniere. Der Brennstoffzellenhersteller will überall im Land Elektrolyseure aufstellen, die aus erneuerbarem Strom und Wasser reinen Wasserstoff herstellen. Auch er hat zahlreiche Projekte auf Eis gelegt. Darunter die weltgrößte Wasserstofffabrik bei Rochester im Bundesstaat New York.
Insgesamt gibt es laut dem Beratungsunternehmen McKinsey nicht mal für jedes fünfte bis 2030 geplante Projekt eine endgültige Entscheidung, zu investieren.
Die umstrittenste Vorgabe in der Durchführungsverordnung ist die zur Herkunft der Energie für die Wasserstofferzeugung. So müssen sich die Kraftwerke in derselben Region wie die Wasserstoffanlage befinden und innerhalb der vergangenen drei Jahre gebaut worden sein. Der Strom muss zudem innerhalb derselben Stunde der Wasserstoffproduktion kohlenstoffarm etwa aus Wind-, Solar- oder Wasserkraft produziert werden. Ist das Kraftwerk älter als drei Jahre oder zu weit weg, gibt das Abzug – und zwar jede Menge. Für ExxonMobil bedeutet das etwa: Der Konzern hätte nicht auf drei US-Dollar je Kilogramm Wasserstoff Anspruch, sondern nur auf 60 Cent.
Diese enge Vorgabe der Politik erlaubt es Entwicklern von Wind- oder Solarparks, die gerade erst gebaut werden oder kurz vor dem Bau stehen, ihren Strompreis massiv anzuheben. Viele Wasserstoffprojekte würden sich dadurch erst recht nicht mehr lohnen, erzählt ein Industrieinsider. Und das, obwohl die Branche fest damit gerechnet hat, dass die Biden-Regierung eher pragmatische Vorgaben macht, die den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft begünstigen. Nun drohen die strengen Regeln den Hochlauf abzuwürgen.
Anfang des Jahres drohte ExxonMobil gar, den Bau der größten Fabrik der Welt für klimafreundlichen Wasserstoff ganz abzublasen. 2,4 Millionen Tonnen des Energieträgers soll die Anlage künftig pro Jahr produzieren und bisher klimaschädlich hergestellten Wasserstoff bei der Produktion etwa von Kunststoff und Chemieerzeugnissen ersetzen. Geplant ist sie in Baytown, einem kleinen Städtchen östlich von Houston in Texas.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Pleiades
Satellitenbilder zeigen nun, dass auf jener Fläche, auf der die Wasserstofffabrik entstehen soll, nach wie vor keine Bauarbeiten stattfinden. Auch wenn sie zumindest von allerlei Material befreit wurde, das bisher darauf lagerte. Stattdessen hat ExxonMobil 35 Prozent der Anteile am Vorhaben an den Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi verkauft, der dadurch auch einen Teil des gestiegenen Risikos übernehmen wird.
Die strikteren Vorgaben mögen zwar dafür sorgen, dass jene Anlagen von Anfang an klimafreundlicher laufen. Doch sie verhindern auch die eine oder andere Investition komplett. So warnte etwa Carnegie-Mellon-University-Professorin Paulina Jaramillo im Februar in einer Stellungnahme ans Finanzministerium, dass strengere Regeln „das Henne-Ei-Problem verschärfen werden, bei dem potenzielle Wasserstoffverbraucher wegen des unsicheren Angebots zögern zu investieren, und Anbieter aufgrund der unzureichenden Nachfrage von Investitionen absehen“.
Genau das trifft zurzeit auch einen vermeintlichen Star der US-Wasserstoffökonomie: Plug Power, ein Unternehmen, das Brennstoffzellen baut und zugleich per Elektrolyse grünen Wasserstoff dafür herstellen will. Zwar hat es im US-Bundesstaat Georgia, zehn Kilometer von der Staatsgrenze zu Florida entfernt, eine erste solche Fabrik hochgezogen. Im März startete hier die Wasserstoffproduktion. Zudem hat das Unternehmen auch eine zweite Anlage im Bundesstaat Tennessee realisiert.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Pleiades
Doch viele weitere Vorhaben in den USA hängen in der Luft, zumindest solange die finale Vorgabe des Ministeriums auf sich warten lässt – von der sich einige immer noch Verbesserungen erhoffen. Diese Hängepartie wirkt sich heftig auf den Börsenkurs des Unternehmens aus: Seit September 2022 verlor die Aktie 93 Prozent ihres Werts – und das in Zeiten, in denen etwa die Kurse von Atomkraftwerksbetreibern Rekordwerte erreichen.
So musste Plug Power auch den Bau der weltgrößten Fabrik für grünen Wasserstoff pausieren, den das Unternehmen schon 2022 im Bundesstaat New York begonnen hatte. Geplante Kosten: 290 Millionen Dollar. Aktuelle Satellitenaufnahmen zeigen, dass es hier seit längerem keine Baufortschritte mehr gibt. „Wir hatten unrealistische Erwartungen von der Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel anfangs abspielen wird“, gab Plug-Power-Chef Andy Marsh kürzlich im Gespräch mit der „Financial Times“ zu.
Bilder: LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Google Earth, LiveEO/Pleiades, LiveEO/SPOT
Auch in den Augen von Plug Power ist das US-Finanzministerium zu einem guten Stück Schuld an der Misere. Viele Akademiker hatten das Ministerium im Vorfeld eher zu strengen Vorgaben gedrängt. Leah Stokes etwa, Professorin an der University of California Santa Barbara, argumentierte im vergangenen Frühjahr in der „New York Times“, dass „laxe Normen schlechtes Verhalten belohnen und das Potenzial von sauberem Wasserstoff untergraben“. Inzwischen allerdings hoffen viele auf Entgegenkommen: „Eine Lockerung der Wasserstoffvorschriften gibt langfristigem Energieüberfluss und innovativer Dynamik Vorrang vor kurzfristiger Schadensbegrenzung und technokratischer Kontrolle“, schreibt etwa die US-Denkfabrik Breakthrough Institute in einem Plädoyer für pragmatischere Vorgaben.
Solche könnte am Ende sogar Donald Trump bringen und damit dem Klimaschutz einen Dienst erweisen. Mehrere Ölkonzerne, darunter Phillips 66, Occidental Petroleum (Oxy) und ExxonMobil haben sich offenbar erst kürzlich beim Präsidentschaftskandidaten dafür ausgesprochen, den Inflation Reduction Act beizubehalten. Was dieser nun im Falle eines Wahlsieges vorhat, ist unbekannt.
Gerade für Occidental Petroleum wäre es eine Katastrophe, wenn Trump das Gesetz streichen würde. Denn anders als in der Wasserstoffwirtschaft funktionieren die Anreize in jenem Feld, das der Konzern verfolgt, zurzeit offenbar ganz gut. So baut dieser gerade für 1,3 Milliarden Dollar die weltgrößte Anlage, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre saugt – Direct Air Capture genannt. Diese Anlage namens Stratos nimmt einem aktuellen Satellitenbild zufolge inzwischen Form an und könnte demnächst in Betrieb gehen.
Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/SPOT, LiveEO/Google Earth/Airbus, LiveEO/Pléiades Neo
Occidental will das Treibhausgas anschließend in langsam versiegende Ölquellen pressen, um deren Ausbeute wieder zu erhöhen. Dabei wird das CO2 dauerhaft unter Tage eingelagert. Das Verfahren nennt sich Enhanced Oil Recovery und wird seit vielen Jahren mit konventionell aus Öl- und Gas hergestelltem CO2 betrieben. Indem Oxy das CO2 aus der Luft nimmt, kann das Unternehmen mindestens einen Teil des so geförderten Öls tatsächlich als klimaneutral vermarkten.
Die derzeitige US-Regierung will das mit einem Steuernachlass von 130 Dollar je im Rahmen von Enhanced Oil Recovery verpresster Tonne CO2 belohnen. Stratos soll jährlich eine halbe Million Tonnen einlagern – macht 65 Millionen Dollar Steuergutschrift. Ein aktuelles hochaufgelöstes Satellitenbild zeigt den Aufbau der Anlage. In der wird künftig zuerst Luft mit riesigen Ventilatoren angesaugt, in einer speziellen Flüssigkeit dann das CO2 der Luft gebunden, anschließend in einem chemischen Verfahren an feste Pellets angeheftet. Und von denen wird es durch Erhitzen abgelöst und kann verpresst werden.

Oxy hat aber nicht nur in den Bau der Anlage investiert. Zuvor hatte der Ölkonzern den kanadischen Entwickler der Technologie, Carbon Engineering, für 1,1 Milliarden Dollar übernommen. Und nicht nur in Texas ist das Interesse mittlerweile groß, die Förderung des IRA beizubehalten. Das gilt auch für die New Yorker Wall Street. So hatte sich vergangenes Jahr auch die Private-Equity-Gesellschaft Blackrock mit einer halben Milliarde an Stratos beteiligt.
Ob nun Kamala Harris von den Demokraten oder Trump mit den Republikanern ins Weiße Haus einzieht, das Ziel der Energiewirtschaft in den USA dürfte klar sein: Der Inflation Reduction Act muss bleiben. Aber zumindest beim Wasserstoff müssen die dazugehörigen Regeln auch sehr viel pragmatischer werden, fordert ein Industrieinsider. Nur so kann dem Wasserstoff die Zukunft gehören.
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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.












