
Der anstehende Rückruf Hunderttausender Dieselautos wegen zu hoher Abgaswerte setzt neben den Herstellern auch den Bundesverkehrsminister stärker unter Druck.
„Da kommt noch Einiges nach“, sagte der Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert (SPD), zu dem am Freitag von Ressortchef Alexander Dobrindt (CSU) vorgelegten Bericht über Nachmessungen an mehr als 50 Modellen verschiedener Autobauer. Er nehme an, dass der von der Opposition aus Grünen und Linken geforderte Untersuchungsausschuss zum Abgas-Skandal bald beschlossen werde. „Zugleich kommt der Verkehrsminister nächsten Mittwoch in den Verkehrsausschuss, um über die aktuelle Situation zu berichten.“
Monatelange Prüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) hatten ergeben: Bei 22 von 53 getesteten Dieselwagen bestehen Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen wirklich mit dem Schutz von Motorbauteilen zu tun hat. Bei rund 630 000 Autos sollen die Hersteller daher nun die Technik nachbessern. Betroffen sind unter anderem Mercedes, Opel, Audi, Porsche und die leichten VW-Nutzfahrzeuge, aber auch ausländische Marken wie Fiat.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Zwar steht bisher nur beim VW-Konzern, der am Freitag einen Rekordverlust infolge des Diesel-Debakels meldete, der Einsatz einer Betrugs-Software zur Manipulation von Emissionstests fest. Die gesamte Autobranche rutscht jedoch wegen der teils drastischen Abweichungen zwischen realen Testwerten und offiziellen Firmenangaben zum Schadstoffausstoß zusehends in eine Vertrauenskrise.
„Die neuen Erkenntnisse aus dem Untersuchungsbericht beunruhigen mich sehr“, sagte Burkert. „Es hat den Anschein, als sei die Tinte noch nicht trocken in den USA bei dem Vertrag mit VW über Entschädigungen - schon kommt eine Horde schwarzer Schafe daher.“ Am Donnerstag hatte ein US-Richter Eckpunkte einer Einigung mit Volkswagen verkündet.
Umweltverbände werfen dem Verkehrsministerium und dem ihm unterstellten KBA schon seit längerem eine Mauschelei mit der Autoindustrie vor. Es gibt daher Forderungen, die Zuständigkeit für die Kfz-Zulassung vom KBA auf das Umweltbundesamt (UBA) zu übertragen. Die EU-Kommission will die nationalen Aufseher ebenfalls stärker an die Kandare nehmen. „Um die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu schützen, muss in Zukunft klar gelten: Alle Autos halten die Grenzwerte ein, egal ob im Sommer oder im Winter, im Prüflabor oder auf der Straße“, sagte UBA-Chefin Maria Krautzberger.
Aus Sicht der Bundestags-Opposition soll der geplante Abgas-Ausschuss prüfen, ob Untersuchungen zugunsten der Autokonzerne verschleppt wurden. „Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass Dobrindt das letzte halbe Jahr genutzt hat, um sich mit den Konzernen abzustimmen, dann haben wir ein richtiges Problem“, sagte der Linke-Abgeordnete Herbert Behrens, der den Ausschuss voraussichtlich leiten wird, der dpa. Es gibt auch Kritik daran, dass der Minister den Rückruf als freiwillig statt als verpflichtend ausgab. „Ich sehe eine große Gefahr für Arbeitsplätze, wenn jetzt mit der Vertuschung weitergemacht wird.“
Der Autoverband VDA hatte den Dobrindt-Bericht begrüßt, weil es nun „Klarheit und Transparenz“ über die tatsächlichen Schadstoffwerte gebe. Der Geschäftsführer des Naturschutzbundes Nabu, Leif Miller, meinte hingegen: „Die Bundesregierung hat Anteil an der heutigen Misere. Weder wurden in Verkehr gebrachte Fahrzeuge ordnungsgemäß kontrolliert, noch ist die europäische Richtlinie umgesetzt, wonach Strafen für Hersteller im Falle von Verstößen festzulegen sind.“
Die Deutsche Umwelthilfe bemängelte, es habe bis zur Veröffentlichung der KBA-Ergebnisse zu lange gedauert. Der Verein hatte eigene Tests in Auftrag gegeben und eine Unterlassungsklage gegen Daimler wegen Verbrauchertäuschung vor dem Landgericht Stuttgart eingereicht.
Der Stuttgarter Konzern wies die Vorwürfe zurück. Die Belegschaft zeigt sich indes besorgt darüber, dass US-Behörden von Daimler verlangen, das Zustandekommen von Abgaswerten intern zu untersuchen. „Natürlich führt das zu Verunsicherung in der Belegschaft“, sagte Betriebsratschef Michael Brecht den „Stuttgarter Nachrichten“. „Wir brauchen in allen aufgeworfenen Fragen maximale Transparenz.“