Abgas-Skandal Daimler muss europaweit 774.000 Wagen zurückrufen

Daimler: Rückruf von 774.000 Wagen in Europa wegen Abgas-Skandal Quelle: AP

Bisher hat Daimler zurückgewiesen, dass an der Abgasreinigung seiner Diesel etwas nicht rechtens sein könnte. Verkehrsminister Scheuer sieht das anders – mit unangenehmen Folgen für den Autobauer.

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Daimler muss europaweit 774.000 Diesel-Fahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung zurückrufen. In Deutschland seien 238.000 Fahrzeuge betroffen, teilte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nach einem Gespräch mit Vorstandschef Dieter Zetsche am Montag in Berlin mit. Der Bund werde „unverzüglich“ einen amtlichen Rückruf anordnen. In einer Videobotschaft sagte Scheuer, man habe „intensiv und stundenlang“ verhandelt. Daimler will den Rückruf umsetzen, kündigte aber auch einen Widerspruch dagegen an.

Nach Angaben des Ministeriums geht es neben dem Kleintransporter Vito, bei dem das KBA schon vorher eine unzulässige Abschalteinrichtung moniert hatte, nun insbesondere um ein Modell der C-Klasse sowie um eine Variante des sportlichen Geländewagens GLC. Beides sind sogenannte Volumenmodelle, werden also besonders häufig verkauft. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Autos nach Konzernangaben in den drei Millionen Diesel enthalten, für die Daimler ohnehin schon ein freiwilliges Update der Motor-Software angekündigt hat.

Zetsche kündigte beim Verlassen des Ministeriums an, man werde sich „unverzüglich“ um die Software der betroffenen Fahrzeuge kümmern. Zugleich kündigte er Widerspruch an, um die rechtlichen Fragen zu klären. Nach Angaben von Verkehrsminister Scheuer hat der Autobauer Daimler erklärt, „dass mit maximalem Abarbeitungstempo und in kooperativer Transparenz mit den Behörden die vom Bund beanstandeten Applikationen in der Motorsteuerung beseitigt werden.“

An der Börse hat die Daimler-Aktie – ähnlich wie die anderer Autobauer – empfindlich auf die Vorwürfe der Diesel-Abgasmanipulation reagiert. BDI-Präsident Kempf findet angesichts der Dieselkrise klare Worte.

Für den Kleintransporter Vito 1,6 Liter Diesel mit der neuen Abgasnorm Euro 6 hat das KBA wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bereits einen Pflichtrückruf angeordnet. Betroffen sind weltweit 4900 Fahrzeuge, darunter gut 1370 in Deutschland.

Daimler hatte die Feststellung des KBA zum Vito zurückgewiesen. „Die Funktionen sind Teil eines komplexen Abgasreinigungssystems, das eine robuste Abgasreinigung bei unterschiedlichen Fahrbedingungen und über die Nutzungsdauer eines Fahrzeugs sicherstellen soll“, hieß es nach Bekanntwerden des Bescheids zunächst. Den Vorwurf, dass die Programmierung zweier Funktionen der Motorsteuerung nicht den geltenden Vorschriften entsprechen soll, werde man zur Not auch vor Gericht klären lassen.

Scheuer hatte Zetsche bereits vor zwei Wochen zu einem ersten Gespräch über Abgas-Vorwürfe nach Berlin geladen, um mehr Informationen zu bekommen.

Unter den Daimler-Beschäftigten sorgen die Diesel-Vorwürfe laut Betriebsrat zunehmend für Unruhe. „Ihre größte Sorge ist, dass rund um das Thema Abgas noch viel mehr auf den Tisch kommen könnte als bisher bekannt“, sagte der Betriebsratsvorsitzende des Motorenwerks in Untertürkheim, Wolfgang Nieke, den „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“ (Dienstag). Zetsche habe anfangs gesagt, dass bei Daimler nicht betrogen werde - darauf hätten sich die Beschäftigten verlassen. Bei Betriebsversammlungen um den 20. Juni herum würden die Beschäftigten Antworten hören wollen.

Verbraucherschützer forderten ein Ende der „Salamitaktik“ im Abgas-Skandal. „Es kann nicht sein, dass ein Autokonzern nach dem anderen mit jahrelanger Verzögerung und erst nach Detektivarbeit entlarvt wird“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller. „Diese Salamitaktik kostet immer mehr Verbrauchervertrauen und führt zu einem beträchtlichen Wertverlust bei den geschädigten Autobesitzern.“ Scheuer müsse „die Daumenschrauben anziehen“. Daimler müsse Garantien abgeben, dass die Umrüstungen sinnvoll seien und keinen Schaden nach sich zögen.

Die deutschen Autobauer in der Diesel-Krise
Die Abgas-Affäre bleibt für Volkswagen ein juristischer Großkampf. Quelle: dpa
Gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn laufen - wie auch gegen den neuen VW-Chef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch - Untersuchungen wegen möglicher Marktmanipulation. Quelle: dpa
Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen Audi-Chef Rupert Stadler ein und durchsuchte seine Wohnung Quelle: dpa
Die Zahl der Beschuldigten bei Audi ist damit laut Staatsanwaltschaft auf 20 gestiegen. Als einziger von ihnen sitzt ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wieder freigekommen. Bei Audi hat das KBA bisher für 216.000 Diesel-Autos quer durch die Modellpalette einen Rückruf angeordnet, zuletzt ging es Anfang Juni um rund 60.000 Exemplare der Oberklasse-Typen A6 und A7. Quelle: dpa
Seit knapp einem Jahr ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch bei der VW-Tochter Porsche. Quelle: dpa
Im Sommer 2017 hatte Porsche zunächst rund 21 500 Geländewagen vom Typ Cayenne mit 3-Liter-Motor wegen einer vom KBA beanstandeten illegalen Abschalteinrichtung zurückrufen müssen. Quelle: dpa
Daimler-Chef Dieter Zetsche musste sich am Montag eine bittere Pille bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abholen: Quelle: dpa
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