Der Fall kann sich jederzeit wiederholen: Für den vom Lieferstopp betroffenen VW Golf liefern rund 500 Zulieferer Einzelteile zu. Die Produktion ist auf Kante genäht, denn das Prinzip der doppelten Absicherung mit zwei Lieferanten pro Teil ist nicht überall praktikabel. Oft benötigen Autobauer spezielle Teile, die nur von einem Hersteller produziert werden. „Viele Fahrzeugtypen werden in so vielen Varianten gebaut, dass die einzelnen Stückzahlen klein sind – also lohnt es sich oft nicht, einen zweiten Lieferanten für jedes Teil zu beauftragen“, sagt Jan Dannenberg von Berylls.
Die Milliarden-Buße für VW im Überblick
Der Konzern hat mit US-Klägern einen Vergleich ausgehandelt. Demnach muss VW die knapp 15 Milliarden Dollar für verschiedene Dinge ausgeben: für einen Umweltfonds und die Förderung von emissionsfreien Autos etwa. Der weitaus größte Teil wird aber an Kunden fließen, die in den USA einen manipulierten VW oder Audi besitzen.
Die reine Entschädigung für Autobesitzer soll zwischen 5100 und knapp 10.000 Dollar pro Fahrzeug liegen. Das kommt darauf an, wie alt das Auto ist. Zusätzlich muss der Konzern den Kunden anbieten, ihre Autos zurückzukaufen. Die Diesel-Besitzer sollen dabei so viel Geld bekommen, wie ihr Auto vor Bekanntwerden der Manipulationen wert war.
Jein. Generell haben US-Kunden eine Wahlmöglichkeit: Entweder Rückruf mit einer Nachbesserung oder Rückkauf, also Rückgabe. Diese Varianten stehen in Deutschland und Europa nicht zur Auswahl. Dafür hat der Rückruf hierzulande schon begonnen und in den nächsten Wochen soll er weiter Fahrt aufnehmen, so dass zum Jahresende alle 2,5 Millionen Diesel in Deutschland nachgebessert sein könnten. In den USA hat VW bis Mai 2018 Zeit, um sich technische Nachbesserungslösungen von den Behörden absegnen zu lassen. Das gilt dort als deutlich kniffliger.
Wahrscheinlich nicht viel. Volkswagen hat wiederholt betont, dass eine Entschädigung wie in den USA in Europa und damit auch in Deutschland nicht infrage komme. Vorstandschef Matthias Müller selbst hat das mehrfach ausgeschlossen. Verbraucherschützer kritisieren, dass Kunden in den USA mehr bekommen sollen. Einige Anwaltskanzleien haben sich zum Ziel gesetzt, auch für betroffene Autobesitzer in Europa Schadenersatz zu erstreiten. Die Erfolgsaussichten sind aber aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme ungewiss.
Nein. Zum einen müssen sich nicht alle Kläger in den USA einem Vergleichsvorschlag anschließen und können individuell weiter klagen. Auch von drei US-Bundesstaaten sind inzwischen Klagen eingegangen. Zum anderen muss VW auch außerhalb der USA viele Verfahren bewältigen. In Deutschland fordern ebenfalls Kunden Entschädigungen oder Rückkäufe. Gerichte haben hier in ersten Instanzen unterschiedlich geurteilt. Zudem fühlen sich zahlreiche VW-Aktionäre von dem Konzern zu spät über die Manipulationen informiert. Sie wollen sich Kursverluste erstatten lassen.
Es kann Autoanalyst Schwope zufolge Wochen oder gar Monate dauern, bis ein neuer Zulieferer einspringen kann oder ein zweiter die doppelte Stückzahl liefert. Zulieferer müssen erst Personal und Werkzeuge aufbauen, bis sie liefern können, zudem durchlaufen die Teile bei Herstellern zeitaufwendige Kontrollen.
VW gibt zu, dass „die Absicherung aller Lieferteile durch zwei oder mehrere Lieferanten faktisch und kaufmännisch nicht möglich“ sei. Die Abhängigkeit sei heute „so eng, dass alle daran Beteiligten darauf angewiesen sind, dass Verträge eingehalten werden“, schreibt VW in einer Stellungnahme.
„Ohne Zulieferer geht gar nichts."
Im Verband der Automobilindustrie (VDA) sind sowohl Autobauer als auch die Zulieferer vertreten. Eine nicht immer einfache Konstellation. „Wir tragen Lob und Tadel von Zulieferern – meist gebündelt – zu den Einkaufschefs und umgekehrt deren Erwartungen an die Lieferanten“, sagt VDA-Geschäftsführer Klaus Bräunig – und weiter: „Ohne Zulieferer geht gar nichts. Und wer mit seinen Forderungen überzieht, zieht am Ende doch den Kürzeren, das zeigt die Erfahrung beider Herstellergruppen.“
Doch es muss nicht immer ein Streit sein – eine Naturkatastrophe oder Feuer reichen aus, um den Nachschub zu gefährden. Nicht nur aus diesem Grund überwiegen für Marc Staudenmayer, Deutschland-Geschäftsführer der Strategieberatung Advancy, die Risiken, wenn bestimmte Teile nur von einem Lieferanten bezogen werden. „Die Einsparungen gegenüber einer Lösung mit zwei Lieferanten für ein Bauteil werden im Schadensfall sofort aufgebraucht“, so Staudenmayer. Dies sei seit Jahren bekannt, allerdings sei es vielen Herstellern wichtiger, kurzfristig Geld zu sparen, als langfristig ihre Lieferungen abzusichern.
Weil der drohende Ausfall eines Zulieferers so brisant für die Autobauer ist, werden hochspezialisierte Werkzeuge, die Teile für die Autobauer fertigen, besonders geschützt. „Wichtige Werkzeuge stehen in speziellen Räumen, sodass sie etwa im Fall eines Brandes geborgen werden können und nicht kaputt gehen“, sagt Berater Dannenberg. Die Autobauer verlangen solche Investitionen von ihren Zulieferern, sonst bekommen sie mitunter keinen Auftrag.