
Was passiert, wenn in China das „Ende des Goldrausches“ hereinbricht, wie Olaf Kastner, Chef des Gemeinschaftsunternehmens von BMW mit dem heimischen Hersteller Brilliance warnt? In den vergangenen zwei Jahren gab es auf dem chinesischen Markt nur eine Richtung: nach oben. Jetzt gehen die Verkaufszahlen erstmals abwärts. Gut drei Prozent Autos weniger als im Vorjahresmonat verkauften die Hersteller diesen Juni. Das allein ist noch kein Grund zur Sorge.
In Unruhe versetzt Hersteller wie Händler dieser Tage die Entwicklung an den Börsen. Seit dem 12. Juni ist der wichtigste chinesische Aktienmarkt in Shanghai um fast 30 Prozent eingebrochen. Die BMW-Aktien rutschten am Mittwochmorgen zusätzlich belastet von einem kritischen Analysten-Kommentar mit -3,43 Prozent auf 90,68 Euro ans Dax-Ende. Die Vorzugsaktien von Volkswagen verbilligten sich um zwei Prozent, die Papiere von Daimler verloren fast drei Prozent an Wert.
Die Zentralbank will den Börsenrutsch mit weiteren Krediten stoppen. Wie sie am Mittwoch mitteilte, will sie mit Hilfe einer staatlichen Firma „reichlich Liquidität“ bereitstellen, um damit für Stabilität an den Märkten zu sorgen. In dieser Situation wird klar – kein Glück währt ewig.
Volkswagen ist abhängig vom chinesischen Markt
Um die Verletzlichkeit der Autonation Deutschland abzuschätzen, hat die WirtschaftsWoche das Center of Automotive Management CAM in Bergisch Gladbach bei Köln beauftragt, die Unternehmen Volkswagen, Daimler und BMW einem Stresstest zu unterziehen. Dabei stellten wir auch die Frage: Was passiert, wenn die Nachfrage in China für die Dauer von mehr als einem Jahr um 20 Prozent abstürzt? Welcher Autobauer ist für diesen Fall am besten gerüstet und mit welchen Auswirkungen müssen die Mitarbeiter an den deutschen Standorten rechnen?
Der Volkswagen-Konzern ist derzeit von allen deutschen Herstellern mit Abstand am abhängigsten vom chinesischen Markt. 37 Prozent aller Fahrzeuge der Wolfsburger wurden im Jahr 2014 in China verkauft. VW hält gemeinsam mit seinen Joint-Venture-Partnern FAW und SAIC bereits einen Marktanteil von 20 Prozent. Und der Absatz soll weiter steigen – von gegenwärtig 3,5 Millionen auf fünf Millionen Autos im Jahr 2019. Gut 22 Milliarden Euro sollen dafür nach China fließen, 30.000 neue Jobs entstehen.
„Für Volkswagen geht es mehr als um Absatz und Gewinn. Für VW in China geht es auch um eine bessere Zukunft des Landes“, so der fürs China-Geschäft verantwortliche Vorstand Jochem Heizmann. Die Chance, dass VW die Folgen eines massiven Absatzeinbruchs in China auf die dortigen Werke beschränken könnte, hält Stresstester Stefan Bratzel, Leiter des CAM für begrenzt: „Massenentlassungen in China wären aufgrund des politischen Drucks sehr schwierig.“ Die Belastungen gingen in Milliardenhöhe und würden den Konzern zu Investitionsstopps und Sparprogrammen in deutschen Werken zwingen.
Die Krisenszenarien der deutschen Autobauer
Eine globale Finanzkrise vergleichbar mit der Krise von 2008/2009 trifft die globalen Automobilhersteller. Innerhalb weniger Wochen brechen die Autoverkäufe auf den wichtigsten Automobilmärkten USA, Europa und China um etwa 20 Prozent ein. Dadurch verschärfen sich auch die Kreditbedingungen erheblich. Auch das folgende Jahr lässt zunächst keine Erholung erwarten.
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 2.000.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 750.000 davon in Deutschland
- bis 50.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Sehr verletzlich
Quelle: Center of Automotive Management
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 400.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 200.000 davon in Deutschland
- bis 15.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Verletzlich
Szenario: Globaler Absatzrückgang um 20 Prozent
- 430.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 200.000 davon in Deutschland
- bis 12.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weniger verletzlich
Der chinesische Pkw-Markt bricht in Folge von wirtschaftlichen Problemen – denkbare wäre das Platzen einer Immobilienblase – innerhalb eines Jahres um drastische 20 Prozent ein und bleibt ein volles Jahr 20 Prozent niedriger als im Vorjahr. Die Aussichten für das nächste Jahr lassen ebenfalls keine Erholung erwarten.
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 750.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 650.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 8.000 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Sehr verletzlich
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 60.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 35.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 1.500 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weniger verletzlich
Szenario: Absatzrückgang um 20 Prozent in China
- 100.000 verkaufte Fahrzeuge weniger weltweit
- 60.000 weniger produzierte Autos in China
- bis 1.700 betroffene Arbeitsplätze in Deutschland
Fazit: Weinger verletzlich
Neue oder bisher branchefremde Unternehmen wie Tesla, Google oder Apple gewinnen im Zuge der schnellen Durchsetzung der Elektromobilität und des vernetzten sowie autonomen Fahrens an Bedeutung und bedrohen mit ihren Geschäftsmodellen die etablierten Hersteller.
- Mittel bis wenig innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittelgroße Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Kaum Erfahrung mit Mobilitätskonzepten
Fazit: verletzlich
- Mittel innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittelgroße Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Erste Erfahrung mit Mobilitätskonzepten (Car2Go, Moovel)
Fazit: Weniger verletzlich
- Mittel bis sehr innovativ mit Blick auf radikale Veränderungen
- Mittlere bis sehr große Kompetenz bei Elektro- und Hybridfahrzeugen
- Sehr hohe Kompetenz bei vernetztem Fahren
- Erste Erfahrung mit Mobilitätskonzepten (DriveNow)
Fazit: Kaum verletzlich
Die träfen VW besonders hart, da die Wolfsburger viel mehr selber herstellen als Daimler und vor allem BMW. Der Widerstand der starken Gewerkschaften und des Landes Niedersachsens mit seiner Sperrminorität an VW, die beide seit Jahrzehnten für ein hohes Maß an Eigenfertigung und Jobs unter dem Konzerndach sorgen, wäre groß, müsste VW Stellen im Inland streichen.
Ein massiver Absatzeinbruch von 750.000 weniger verkauften Fahrzeugen in China schlüge daher mit zwei bis vier Milliarden Euro und 5000 bis 8000 gefährdeten Jobs hier zu Lande zu Buche.