Dass Li auch bei Daimler in eine ähnliche Richtung drängen wird, steht außer Frage. Sehr wahrscheinlich würde er aber nicht zu denselben Maßnahmen greifen. Carl-Peter Forster, früherer Opel-Chef und inzwischen Multi-Aufsichtsrat im Geely-Imperium, sieht bei Li Shufu einen „Respekt vor den Marken“. Soll heißen: Li weiß um die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen selbst zwei europäische Premiummarken wie Mercedes-Benz und Volvo arbeiten. Während er bei Volvo mit der kleineren Zielgruppe und dem Image, sichere und nachhaltige Autos zu bauen, schnell auf mehr Elektromobilität drängen kann, sind bei Daimler im Volumengeschäft andere Maßnahmen gefragt. Der Weg ist derselbe, die Hebel jedoch andere.
Li versteht es allerdings, Synergien zu heben. Geely hat sich mit Technologie und Design aus Schweden premiumorientierter positioniert. Und das kommt an: 2017 stieg der Absatz der chinesischen Kernmarke auf 1,247 Millionen Einheiten – ein Anstieg um 63 Prozent.
Volvo profitiert andersherum von China. Neben dem Vertrieb, wo es hilft, als Teil eines chinesischen Unternehmens wahrgenommen zu werden, und der Produktion liegen die Vorteile vor allem im Einkauf. Als Teil der Geely-Holding konnte Volvo zu chinesischen Preisen einkaufen. Das habe „signifikante Kostenvorteile“ gebracht, sagte Forster einmal gegenüber dem Fachmagazin „Automobil Produktion“. Und von dem jüngst angekündigten Elektroautowerk in der heimatlichen Provinz Zhejiang südlich von Shanghai (samt eigener Batterieproduktion) sollen alle Marken der Gruppe profitieren.
Was all das für Daimler bedeutet, ist derzeit schwer abzuschätzen. „Ob sich der Daimler-Vorstand über den Einstieg von Li Shufu wirklich freut, darf angezweifelt werden, da Li Shufu sich sicherlich stärker im Unternehmen einbringen wird, als die bisher größten Aktionäre Kuwait und Renault/Nissan“´, sagt Analyst Frank Schwope von der NordLB. „Mehr Freude könnten in der Zukunft möglicherweise die Daimler-Aktionäre haben, falls der Einstieg von Li Shufu den Ausbau der Elektromobilität im Konzern beschleunigt. Schließlich gelten ab 2019 verbindliche Elektroauto-Quoten im Reich der Mitte. Zudem könnte die Expansion von Daimler in China in den nächsten Jahren mit Hilfe des chinesischen Eigners leichter fallen.“
Noch ist unklar, wie groß der Einfluss von Li Shufu auf das operative Geschäft sein wird. Dass er kurzfristig, obwohl er größter Einzelaktionär ist, einen Sitz im Aufsichtsrat bekommt, gilt als unwahrscheinlich. Wie sehr er, obwohl bekennender Mercedes-Fan, über die aktuelle Daimler-Führung verärgert ist, bleibt ebenfalls im Dunklen. Eine erste Offerte, über eine Kapitalerhöhung bei Daimler einzusteigen, hatte das Management um Dieter Zetsche entschieden abgelehnt. Er könne sich am freien Markt bedienen, hieß es damals. Li ließ sich nicht lange bitten.
Dass ein Mercedes bald auf Volvo-Technik zurückgreift oder umgekehrt, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Zumindest im Autobereich. Seit Volvo Cars 1999 an Ford ging, teilen sich die Schweden mit dem gleichnamigen Lkw- und Bus-Hersteller nur den Markennamen. Li ist allerdings auch dort größter Einzelaktionär – und könnte mit den Nutzfahrzeug-Sparten des Daimler-Konzerns zusammenarbeiten.
Das Potenzial für Kooperationen geht zudem über die reinen Pkw- oder Lkw-Marken hinaus: Li hat 2013 die insolvente und traditionsreiche London Taxi Company gekauft. Das Nachfolgeunternehmen London Electric Vehicle Company LECV will sich jetzt im Markt für leichte Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb etablieren – die Basis bildet die Volvo-Pkw-Technik.
Im Kern des Erfolgs steht für Forster eine ethische Selbstverpflichtung Lis: „Wenn er investiert, dann sieht er das auch als seine Verpflichtung, das Unternehmen zu entwickeln.“ Und davon kann auch Daimler profitieren.
Große deutsche Autobauer und ihre Partner in China
Mitten in der Aufregung um den Einstieg des chinesischen Autobauers Geely haben der Stuttgarter Hersteller und sein langjähriger Partner BAIC Motor angekündigt, Milliarden in den Ausbau ihrer gemeinsamen Produktionskapazitäten in der Volksrepublik zu stecken. Das Joint Venture namens Beijing Benz Automotive Co. (BBAC) produziert seit 2005 Pkw der Marke Mercedes und seit 2013 Motoren.
BAIC ist Daimlers wichtigster Partner in China. Gemeinsam wollen Daimler und BAIC Autos mit alternativen Antrieben auf den Markt bringen. Die Schwaben halten neben ihrem Anteil am Joint Venture BBAC noch zehn Prozent an BAIC Motors und wollen sich an deren Elektroauto-Tochter Beijing Electric Vehicle (BJEV) beteiligen. Die Holding des chinesischen Geely-Konzerns hatte am Freitag ihren Einstieg bei den Stuttgartern mit knapp 9,7 Prozent bekanntgegeben. Haupteigner Li Shufu will eine Allianz für das autonome Fahren und die Elektromobilität schmieden. Elektroautos baut Daimler bisher schon im Joint Venture mit dem lokalen Hersteller BYD.
Der Münchner Hersteller startete 2003 mit Brilliance ein Gemeinschaftsunternehmen: Die "BMW Brilliance Automotive", abgekürzt BBA, betreibt inzwischen zwei Autofabriken und ein Motorenwerk inklusive Batteriefabrik in der Volksrepublik. Vergangene Woche kündigte BMW an, sich mit dem chinesischen Autobauer Great Wall für den Bau von Elektro-Minis zusammenzutun. Produktionsstandort und Investitionssumme sind noch offen. Gemeinsam mit dem langjährigen Partner Brilliance bietet BMW bereits ein E-Auto unter dem Markennamen Zinoro in China an.
Als erster deutscher Autokonzern entschied sich der Wolfsburger Hersteller vor mehr als 30 Jahren für den Schritt nach China. VW gründete 1985 eine Gemeinschaftsfirma mit dem lokalen Autobauer SAIC namens "Shanghai-Volkswagen Automotive Company". 1991 rief der Konzern ein zweites Gemeinschaftsunternehmen mit First Automobile Works (FAW) im Nordosten des Landes ins Leben. Im vergangenen Jahr besiegelte VW zudem eine Partnerschaft mit dem chinesischen Hersteller Anhui Jianghui (JAC) zur Produktion von Elektroautos. Das erste batteriebetriebene Modell der Partner soll bei der Messe in Peking vorgestellt werden.
Die VW-Tochter arbeitet in China seit 1988 mit FAW zusammen. 1995 stiegen die Ingolstädter in das Joint Venture des Mutterkonzerns mit FAW ein; gemeinsam halten sie 40 Prozent der Anteile. Im vergangenen Jahr entschied sich Audi, neben der langjährigen Partnerschaft auch ein Bündnis mit SAIC einzugehen. Damit vergrätzte der Hersteller allerdings seine Händler, langer Streit und sinkende Verkaufszahlen waren die Folge. Schließlich verständigte sich Audi mit den Vertragshändlern, die Modelle aus der neuen Partnerschaft mit SAIC über das bestehende Vertriebsnetz zu verkaufen.