Im Diesel-Abgasskandal nimmt das Kraftfahrt-Bundesamt die VW-Tochter Audi ins Visier. Wegen des Verdachts auf eine unzulässige Abschalteinrichtung bei den Audi-Modelle A6 und A7 mit V6-Dieselmotor hat die Behörde eine amtliche Anhörung eingeleitet, wie ein KBA-Sprecher am Dienstag in Flensburg sagte. Zuvor hatte der „Spiegel“ darüber berichtet. Auch das Bundesverkehrsministerium bestätigte dies. In Deutschland seien rund 33.000 und weltweit insgesamt rund 60.000 zugelassene Fahrzeuge betroffen.
Audi bestätigte inzwischen den Sachverhalt und gab an, die „Auffälligkeiten in der Motorsteuerung“ selbst festgestellt und gemeldet zu haben. „Auffälligkeiten melden wir an die Zulassungsbehörde, da unser höchstes Interesse einer rückhaltlosen Aufklärung gilt“, sagt Audi-Chef Rupert Stadler. „Das haben wir auch in diesem Fall unverzüglich getan.“ Betroffen ist demnach nur eine Version des V6-Dieselmotors mit drei Litern Hubraum, nämlich jene mit 272 PS Leistung. Die Auffälligkeiten seien bei den laufenden systematischen Überprüfungen von Motor- und Getriebekombinationen bekannt geworden, schreibt Audi in einer Mitteilung. Die Auslieferungen in den Handel seien sofort gestoppt worden, die Kunden, die einen der betroffenen Wagen bestellt haben, sollen informiert werden. Audi geht davon aus, dass sich die Mängel per Software beheben lassen.
Audi soll nach „Spiegel“-Informationen die Produktion der Wagen eingestellt haben, Audi hat das in seiner Mitteilung aber nicht bestätigt. Bei den beiden Baureihen handelt es sich um technisch eng miteinander verwandte Autos, beide tragen sogar intern die selbe Kennung. Beide Baureihen stehen allerdings auch vor einem Modellwechsel: Die Nachfolger mit Euro-6d-temp-Zertifizierung und überarbeiteten Motoren sind bereits vorgestellt und sollen im Sommer auf den Markt kommen. Der kolportierte Produktionsstopp kurz vor dem geplanten Modellwechsel dürfte somit nur geringe Auswirkungen haben. Der erneute Image-Schaden sowie der drohende Zwangsrückruf wiegen aber umso schwerer. Die 60.000 Fahrzeuge müssen zu den bereits bekannten 850.000 Dieselautos hinzugerechnet werden.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Der Autobauer hat nun in der Anhörung Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen. Bestätigt sich, dass die Fahrzeuge eine unzulässige Abschalteinrichtung haben, drohen verpflichtende Rückrufe, wie dies bereits bei Millionen von VW-Dieselautos der Fall war. Laut Ministerium sind die Emissionstypgenehmigungen der Fahrzeuge in Luxemburg erteilt worden.
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Audi soll die Abgasreinigung heruntergefahren haben
Laut „Spiegel“ soll es sich um Audi A6-Fahrzeuge mit der neueren Schadstoffklasse Euro 6 handeln – die Diesel-Modelle des beliebten Dienstwagens erfüllen diese Norm bereits seit 2014. Diese Autos seien mit einem sogenannten SCR-Katalysator zur Reinigung der Stickoxide ausgestattet. Dieser benötige für eine reibungslose Funktion Harnstoff – AdBlue, der in einem zusätzlichen Tank untergebracht ist. Der Harnstoff wird in den Abgasstrom eingespritzt und sorgt dafür, dass die Stickoxide in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf umgewandelt werden – wenn der AdBlue-Tank noch ausreichend gefüllt ist.
Damit der Kunde nicht selber Harnstoff nachfüllen müsse, sondern erst die Werkstatt beim nächsten Service, habe Audi die Einspritzung der Reinigungsflüssigkeit offenbar 2400 Kilometer bevor sie zuneige geht stark gedrosselt. In der Zeit, da die Zufuhr von Harnstoff abgeregelt sei, funktioniere der SCR-Katalysator zur Reinigung von Stickoxiden im Abgas nicht oder nur extrem eingeschränkt. Das giftige Gas entweicht damit laut Bericht in hohen Konzentrationen aus dem Auspuff.
Die Staatsanwaltschaft dehnt ihre Ermittlungen bei Audi deshalb aus. Die Fahrzeuge, die das Kraftfahrt-Bundesamt nun zusätzlich untersuche, würden auch Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München am Dienstag. Beide Behörden arbeiteten eng zusammen. Die Zahl der wegen Betrugs und strafbarer Werbung Beschuldigten in dem Münchner Verfahren liege unverändert bei 18 Personen, darunter zwei frühere Vorstände. Ein früherer Manager sitzt in Untersuchungshaft.
Der von Audi entwickelte V6-Diesel mit drei Litern Hubraum kommt auch in weiteren Baureihen zum Einsatz – bei Audi auch im A4, A5, A8, Q5 und Q7. Aber auch bei VW im Touareg sowie früher in einigen Porsche-Modellen. Der Sportwagenbauer hat den Verkauf von Autos mit Dieselmotor aber vorerst eingestellt. Je nach verwendetet Motor-Version und -Software könnte auch bei diesen Baureihen eine eingehende Prüfung auf die verbotene Harnstoff-Reduzierung ins Haus stehen – die von Audi genannte Motorenversion mit 272 PS wurde noch im Audi A4, A5 und Q7 eingesetzt. Die anderen Versionen, die zwischen 190 und 326 PS leisten, sind bis jetzt nicht betroffen.
Das Image des Diesel ist bereits schwer belastet. Gründe sind der Abgasskandal, bei denen unzulässige Abschalteinrichtungen eine Hauptrolle spielen, sowie drohende Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge. In vielen Städten werden Schadstoff-Grenzwerte überschritten. Dabei geht es um den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide. Diesel sind ein Hauptverursacher. Die Neuzulassungen von Dieselfahrzeugen sind seit Monaten auf Talfahrt.