Dieselskandal Stuttgarter Richter erwarten neue Klagewelle gegen Mercedes-Benz

Der Stern glänzt wieder, doch Altlasten aus dem Dieselskandal machen den Stuttgartern zu schaffen Quelle: dpa

Vor einigen Tagen erklärte der Europäische Gerichtshof die Thermofenster-Technik in der Abgasreinigung von Autos für illegal. Für Mercedes-Benz könnte das nach Ansicht von Richtern des Landgerichts Stuttgart gefährlich werden. Das geht aus internen Gerichts-E-Mails hervor. 

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Richter am Landgericht Stuttgart rechnen wegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) mit einer Welle neuer Klagen gegen Mercedes-Benz. Das geht aus internen E-Mails des Gerichts, die die WirtschaftsWoche einsehen konnte, hervor. Der EuGH hatte Mitte Juli entschieden, dass eine Abgasreinigung, die nur in engen Temperaturbereichen funktioniert (Thermofenster) illegal ist. Eine Klage eines Mercedes-Kunden vor dem Landgericht Ravensburg ist beim EuGH anhängig, aber noch nicht entschieden.

Nach dem EuGH-Urteil schrieb Thomas Mehring, Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart, in einem internen E-Mail-Rundschreiben an rund 120 Richter des Landgerichts: Sollte der EuGH in dem Ravensburger Fall ebenso entscheiden, wie in dem Urteil von Mitte Juli, dann „würde in den Daimler-Klagen allein das Thermofenster zum Erfolg der Klagen führen. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber eine Flutwelle neuer Klagen erscheint mir dann vorprogrammiert.“ 

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat Mercedes-Benz wegen Thermofenstern bereits zum Rückruf von Hunderttausenden Fahrzeugen verpflichtet. Zehntausende Kunden klagen gegen Mercedes, unter anderem im Rahmen einer Musterklage am Oberlandesgericht Stuttgart. Nach Ansicht von Mercedes-Benz begründet ein Thermofenster keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Ein Sprecher des Landgerichts bestätigte gegenüber der WirtschaftsWoche den Inhalt der E-Mail: „Die von Ihnen in Bezug genommenen E-Mails informieren alle Zivilrichterinnen und Zivilrichter des Landgerichts über eine für die Rechtsanwendung durch die deutschen Gerichte maßgebliche Auslegung europäischen Rechts.“ Ob eine neue Klagewelle tatsächlich komme, so der Sprecher, „lässt sich derzeit noch nicht absehen“. Es sei jedoch zu befürchten, dass zahlreiche neue Klagen „zu einer erheblichen Verlängerung der durchschnittlichen Verfahrensdauer“ führen könnten: „Eine weitere Klagewelle wäre vor allem deshalb problematisch, da es der Justiz bislang an geeigneten prozessualen Instrumenten fehlt, um mit Massenklagen effizient umzugehen.“ 

Das Oberlandesgericht Stuttgart scheint das EuGH-Urteil anders einzuschätzen als die Richter am Landgericht. In einem neuen Urteil (24 U 115/22 vom 28. Juni 2022) kommt der 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts zu dem Schluss, dass Klägern in Deutschland unabhängig von der Sicht des EuGH kein Schadensersatz zustehe. Siegmar Ade, Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart, hält dieses Urteil der höheren Instanz für gewagt: „Mutige Entscheidung :-)“, kommentierte er das Urteil in einem internen E-Mail-Rundschreiben an andere Richterinnen und Richter. Das Oberlandesgericht halte, so Ade, „vorsorglich mit seinem Urteil schon einmal kräftig gegen EuGH und voraussichtlich Bundesgerichtshof“. 

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Ein Sprecher des Oberlandesgerichts Stuttgart wollte sich gegenüber der WirtschaftsWoche nicht dazu äußern, ob sich das Gericht in Opposition zum EuGH oder zum Bundesgerichtshof sieht. Das Gericht werde sich nicht, so der Sprecher, zu den in „internem E-Mail-Verkehr getätigten Meinungen, Einschätzungen, Spekulationen oder ähnlichem von Kolleginnen und Kollegen eines anderen Gerichts“ äußern. Die Entscheidung des EuGH von Mitte Juli habe „für den Senat keine relevanten Auswirkungen auf dessen Daimler-Diesel-Verfahren“. 

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