Der Aufsichtsrat von Volkswagen soll am Nachmittag in Wolfsburg zusammenkommen, um über den geplanten tiefgreifenden Konzernumbau und die vorzeitige Ablösung von Konzernchef Müller durch Diess zu beraten. Es wird mit einer Sitzung bis in die Nacht gerechnet, erst danach wird der Chefwechsel offiziell bekannt gegeben. Die Aufseher zogen ihre Beratungen um einen Tag vor, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Ursprünglich war das Treffen für Freitag geplant. Ein Aufsichtsratssprecher wollte sich dazu nicht äußern.
Die Ablösung von Müller ist aber bei weitem nicht die einzige Personalveränderung beim Führungsumbau: Auch Konzern-Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz steht vor dem Absprung. Über das Ausscheiden des langjährigen Chefeinkäufers berichtete auch die „Automobilwoche“. Mit 17 Jahren Angehörigkeit ist er der dienstälteste VW-Vorstand. Nach dem Bericht des Fachblatts bekommt Porsche-Chef Oliver Blume, bisher schon ständiger Gast in der Konzernführung, einen Vorstandsposten. Ein weiterer Insider bestätigte das.
Personalvorstand Karlheinz Blessing wiederum soll durch Gunnar Kilian ersetzt werden, der bisher Generalsekretär und rechte Hand des Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh ist. Osterloh erhielte damit einen noch stärkeren Einfluss, als er durch die bei Volkswagen besonders ausgeprägte Mitbestimmung ohnehin schon hat. Nach Informationen des Handelsblatts wird Konzernchef Müller auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstandsvorsitz bis zum Auslaufen seines Vertrages im Jahr 2020 im Konzern verbleiben.
Der überraschende Chefwechsel hat viele im Konzern kalt erwischt und sorgt für Unmut. So war Insidern zufolge die Arbeitnehmerseite weitgehend nicht eingebunden. „Keiner wusste was. Das ist der helle Wahnsinn, was sich da abspielt“, sagte ein Insider. Vor allem die mangelnde Kommunikation des Aufsichtsrats wurde kritisiert. „Das öffnet massiven Spekulationen Tür und Tor. “ Bei einer VW-Tochter erfuhren die Betriebsräte von dem bevorstehenden Rückzug des Konzernchefs Matthias Müller und dem Wechsel zum bisherigen VW-Markenchef Herbert Diess aus den Medien. „Hier herrscht Stirnrunzeln über die Art, wie das bekannt wurde“, erklärte ein zweiter Insider. Auch einige Konzernvorstände hätten sich vor den Kopf gestoßen gefühlt, berichtete das „Handelsblatt“. „Die Art und Weise, wie der Wechsel verkündet wurde, ist unsäglich“, sagte ein Manager der Zeitung.
Der Aufsichtsrat hatte sich Insidern zufolge dazu gezwungen gesehen, die Börse in einer Pflichtmitteilung zu informieren, blieb dabei aber vage. „Die Art und Weise, wie Veränderungen einer solchen Tragweite intern kommuniziert wurden, ist mehr als verbesserungswürdig“, schimpfte ein VW-Arbeitnehmervertreter. Diese Kritik müssten sich die Anteilseigner gefallen lassen. Im Aufsichtsrat, der später am Donnerstag tagt, werde das zur Sprache gebracht.
Auch bei der Verkündung der Ablösung Müllers im Kreise des Vorstands war nicht alles ganz sauber abgelaufen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hatte die neun Vorstände am Dienstag gerade über den Chefwechsel informiert, da legte Diess seine eigenen detaillierten Pläne schon auf den Tisch - in Anwesenheit von Müller. Das Vorpreschen des VW-Markenchefs habe neben der Kommunikation des Aufsichtsrats einige Vorstandskollegen vor den Kopf gestoßen. Finanzvorstand Frank Witter sei entrüstet gewesen. Es bestehe nun die Gefahr, dass er oder andere Topmanager von sich aus VW verlassen könnten, berichtete die Zeitung unter Berufung auf nicht näher bezeichnete hochrangige Kreise des Wolfsburger Autoherstellers. Witter wollte sich dazu auf Anfrage von Reuters nicht äußern.
Strukturveränderungen bringen Machtwechsel
Doch was genau könnte der Aufsichtsrat nun beschließen? Nach „Spiegel“-Informationen sollen die einzelnen Marken in vier Gruppen aufgeteilt werden - für Volumenmodelle (VW, Skoda, Seat), Oberklasse-Autos (Audi, Bentley), Sportwagen (Porsche, Bugatti, Lamborghini) und Nutzfahrzeuge (MAN, Scania, leichte Nutzfahrzeuge). Ein Sprecher des VW-Aufsichtsrates wollte dies nicht kommentieren.
Der zukünftige Konzernchef Diess wird dann Insidern zufolge auch die geplante Volumenmarken-Gruppe um VW, Seat und Skoda leiten, erklärten zwei Personen mit Kenntnis des Vorgangs am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Diess wird mit riesiger Macht ausgestattet“, sagte ein Insider.
In der Debatte ist seit längerem auch eine separate Ausgliederung des Lkw-Geschäfts mitsamt eigenem Börsengang oder eine Holding-Struktur. Eine Verlagerung der Sparte von Braunschweig nach München werde kommen, hieß es aus Kreisen der Kontrolleure zu einem Bericht des „Handelsblatts“. Der Schritt dürfte auch im Zusammenhang mit einem möglichen Börsengang der Volkswagen Truck & Bus GmbH stehen.
Der Zeitung zufolge könnten die Haupteigner von Volkswagen - der Porsche/Piëch-Clan, das Land Niedersachsen und das Scheichtum Katar - durch die Ausgliederung der Lastwagen und Busse ihren Einfluss auf diesen Bereich weitgehend einbüßen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte sich für einen Verbleib der Sparte in Braunschweig stark gemacht. München ist aber auch bereits die Heimat von MAN.
Den letzten grundlegenden Umbau hatte Volkswagen 2012 vollzogen. Damals hatte der Konzern unter anderem die Allianz seiner Nutzfahrzeug-Geschäfte vertieft, die Aktivitäten in China ausgebaut und Dutzende Management-Positionen neu besetzt - bei VW selbst, Audi, den leichten Nutzfahrzeugen, Bentley und in anderen Bereichen.
„Dieselgate“ erhöhte dann den Druck, weitere Kosten einzusparen. 2015 wurde eine Trennung von Konzern- und Markenfunktionen angeschoben. Die Verantwortung der Vertriebsregionen wurde ebenfalls gestärkt. So schuf VW eine eigene Marktregion Nordamerika, wo die Kernmarke lange der Konkurrenz hinterherfuhr. Später rief Müller die „Strategie 2025“ aus - ein Ziel war der Abbau des Zentralismus im VW-Reich.
Im Asien-Geschäft peilt der Konzern nun auch eine Partnerschaft mit dem japanischen Lkw-Bauer Hino Motors an, der zum Erzrivalen Toyota gehört. Beide Seiten gaben am Donnerstag in Tokio eine entsprechende Rahmenvereinbarung bekannt. Der Fokus der möglichen Kooperation liege auf konventionellen sowie Hybrid- und Elektroantrieben, der Vernetzung der Lastwagen sowie autonomen Fahrsystemen, sagte VW-Lkw-Chef Andreas Renschler auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Hino Motors-Chef Yoshio Shimo. Organisatorisch bestehe das größte Potenzial im gemeinsamen Einkauf. Es werde eine Kooperation „zweier starker Partner in der globalen Transportindustrie“, so Renschler.
Bisherige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG
2007-2015: Er musste wegen des Skandals um manipulierte Abgaswerte in den USA seinen Hut nehmen.
2002-2006: Ein Grund für seine überraschende Ablösung soll die zunehmende Distanz zwischen ihm und seinem einstigen Förderer, dem früheren VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, gewesen sein.
1993-2002: Er führte das angeschlagene Unternehmen mit drastischen Sparmaßnahmen und einer neuen Modellpolitik zurück in die Gewinnzone und leitete den Wechsel zu seinem Nachfolger Bernd Pischetsrieder selbst mit ein.
1982-1992: Unter seiner Führung wurde Volkswagen zum größten europäischen Automobilbauer. Operative Verluste und hohe Produktionskosten sollen bei seiner vorzeitigen Ablösung eine Rolle gespielt haben.
1975-1981: Die VW-Leitung gab er aus gesundheitlichen Gründen ab.
1971-Anfang 1975: Er trat wegen eines dramatischen Nachfragerückgangs in der Autobranche sowie nach Differenzen mit dem Aufsichtsrat und dem Betriebsrat zurück.
1968-1971: Nach Auseinandersetzungen über die Personalpolitik und die gewerkschaftliche und politische Mitbestimmung bei VW gab er das Amt vorzeitig auf.
1948-1968: Die Chefposition war ihm von der britischen Militärregierung übertragen worden. Vor ihm hatte wenige Monate Hermann Münch das Unternehmen geleitet.